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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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eifriger als je unter den Mitbürgern für die gute Sache zu werben. Die
Auspicien sind günstig. War es doch ein hochbedeutsames Zusammentreffen,
daß in dem Augenblicke, da die Vorsehung den gegen den vornehmsten Be¬
gründer des Deutschen Reichs gerichteten schwarzen Plan vereitelte, in München
sich wirklich jene Begegnung vollzog, die, als nicht mißzuverstehende Antwort
auf die reichsfeindlichen Machinationen der bairischen Ultramontanen, ein
leuchtendes Zeugniß gab für die Festigkeit unserer nationalen Einigung!
Gehen wir unter diesen ermunternden Zeichen neugestärkten Muthes an die
Arbeit! Alsdann wird -- wir hoffen es sicher -- der 13. Juli 1874 in
unserer Geschichte als der Tag verzeichnet werden, an dem sich die Wendung
zum Guten vollzog.---

Von dem düstern, sturmbewegten Meere der Politik in das sonnige Land
der Kunst ist ein weiter Sprung. Beschränken wir uns, dem Ernst der
Stimmung gemäß, für heute auf die Tragödie. Neben Iphigenie, Medea
und Devorah ist im Wallnertheater nun auch "Maria Stuart" über die
Bretter gegangen. Es ist auf den deutschen Bühnen Sitte, die unglückliche
Schattenkönigin von der "sentimentalen Liebhaberin" darstellen zu lassen.
Clara Ziegler hat diese Mode durchbrochen; das Mannweib Elisabeth, für
welches sie wie geschaffen erscheint, verschmäht sie, um sich in die Rolle der
duldenden, gebrochenen Maria zu versenken. Wohl Mancher ist mit einigen
Bedenken über dies Unternehmen vor den Vorhang getreten; aber die gefeierte
Künstlerin hat alle Zweifler glänzend beschämt. Gerade die echt weibliche
Seite des Charakters gelangte zu schönster Geltung. Ihre volle Genialität
entfaltete Frl. Ziegler im dritten Act. Die mühsame Selbstbezwingung An¬
gesichts der Feindin, dann die stärker und stärker aufwallende Leidenschaft,
schließlich der ungeheure, niederschmetternde Zorn --- wie malte sich dieser
seelische Prozeß in jeder Miene, wie klang er aus jedem Worte mit packender
Wahrheit heraus! Noch bedeutender aber war der Anfang des Actes. Da
ward die unbändige Sehnsucht nach Freiheit mit einer Tiefe und Unmittel¬
barkeit des Gefühls zum Ausdruck gebracht, daß man ganz vergaß, es nur
mit einem "Spiel" zu thun zu haben. Auch der dämonische Jubel, als die
gehaßte Elisabeth besiegt das F^-it geräumt, war von unwiderstehlicher
Gewalt. Wem könnte es beifallen, Angesichts einer so gewaltigen Wirkung
noch an Kleinigkeiten mäkeln zu wollen! Der Thor, er würde sich nur
die eigene Freude an einer Leistung verderben, die, wie er selbst gestehen
muß, im Ganzen unübertrefflich war! -- Mit Anerkennung muß übrigens
bemerkt werden, daß die übrigen Mitspielenden, die mit nur zwei Aus¬
nahmen dem sonst nur auf dem Soccus bewanderten Personal des Wallner¬
theaters angehörten, sich recht wacker aus der Affaire zogen; namentlich
Frl. Carlsen repräsentirte die Elisabeth in durchaus achtungswerther Weise.




eifriger als je unter den Mitbürgern für die gute Sache zu werben. Die
Auspicien sind günstig. War es doch ein hochbedeutsames Zusammentreffen,
daß in dem Augenblicke, da die Vorsehung den gegen den vornehmsten Be¬
gründer des Deutschen Reichs gerichteten schwarzen Plan vereitelte, in München
sich wirklich jene Begegnung vollzog, die, als nicht mißzuverstehende Antwort
auf die reichsfeindlichen Machinationen der bairischen Ultramontanen, ein
leuchtendes Zeugniß gab für die Festigkeit unserer nationalen Einigung!
Gehen wir unter diesen ermunternden Zeichen neugestärkten Muthes an die
Arbeit! Alsdann wird — wir hoffen es sicher — der 13. Juli 1874 in
unserer Geschichte als der Tag verzeichnet werden, an dem sich die Wendung
zum Guten vollzog.---

Von dem düstern, sturmbewegten Meere der Politik in das sonnige Land
der Kunst ist ein weiter Sprung. Beschränken wir uns, dem Ernst der
Stimmung gemäß, für heute auf die Tragödie. Neben Iphigenie, Medea
und Devorah ist im Wallnertheater nun auch „Maria Stuart" über die
Bretter gegangen. Es ist auf den deutschen Bühnen Sitte, die unglückliche
Schattenkönigin von der „sentimentalen Liebhaberin" darstellen zu lassen.
Clara Ziegler hat diese Mode durchbrochen; das Mannweib Elisabeth, für
welches sie wie geschaffen erscheint, verschmäht sie, um sich in die Rolle der
duldenden, gebrochenen Maria zu versenken. Wohl Mancher ist mit einigen
Bedenken über dies Unternehmen vor den Vorhang getreten; aber die gefeierte
Künstlerin hat alle Zweifler glänzend beschämt. Gerade die echt weibliche
Seite des Charakters gelangte zu schönster Geltung. Ihre volle Genialität
entfaltete Frl. Ziegler im dritten Act. Die mühsame Selbstbezwingung An¬
gesichts der Feindin, dann die stärker und stärker aufwallende Leidenschaft,
schließlich der ungeheure, niederschmetternde Zorn —- wie malte sich dieser
seelische Prozeß in jeder Miene, wie klang er aus jedem Worte mit packender
Wahrheit heraus! Noch bedeutender aber war der Anfang des Actes. Da
ward die unbändige Sehnsucht nach Freiheit mit einer Tiefe und Unmittel¬
barkeit des Gefühls zum Ausdruck gebracht, daß man ganz vergaß, es nur
mit einem „Spiel" zu thun zu haben. Auch der dämonische Jubel, als die
gehaßte Elisabeth besiegt das F^-it geräumt, war von unwiderstehlicher
Gewalt. Wem könnte es beifallen, Angesichts einer so gewaltigen Wirkung
noch an Kleinigkeiten mäkeln zu wollen! Der Thor, er würde sich nur
die eigene Freude an einer Leistung verderben, die, wie er selbst gestehen
muß, im Ganzen unübertrefflich war! — Mit Anerkennung muß übrigens
bemerkt werden, daß die übrigen Mitspielenden, die mit nur zwei Aus¬
nahmen dem sonst nur auf dem Soccus bewanderten Personal des Wallner¬
theaters angehörten, sich recht wacker aus der Affaire zogen; namentlich
Frl. Carlsen repräsentirte die Elisabeth in durchaus achtungswerther Weise.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/166>, abgerufen am 27.05.2024.