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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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nur zu sehr rechtfertigen werde. Aber da nehmen plötzlich die spanischen
Wirren eine Gestalt an, welche aus ihnen thatsächlich bereits eine "europäische
Frage" gemacht hat. Möglich, daß die gräuliche Barbarei, welche von ent¬
menschten Banden in den baskischen Bergen geübt wird, noch nicht so bald
die volle Beachtung des offiziellen Europas gefunden hätte, wenn nicht durch
die völkerrechtswidrige Ermordung des Hauptmann Schmidt Deutschland mit
Gewalt zur Action getrieben wäre. So mag der Tod unseres unglücklichen
Landsmannes wenigstens den Anstoß geben, daß die Mächte endlich darauf
sinnen, wie Gräueln, die unserm Jahrhundert das traurigste Schandmal auf¬
drücken, ein Ziel zu setzen. Heißblütige Gemüther haben sofort von einer
regelrechten deutschen Expedition gegen die Ccirlisten geträumt. Man hat
gemeint, da die Madrider Regierung offenbar nicht im Stande sei, Deutsch¬
land für die Unthat ihrer rebellischen Unterthanen Genugthuung zu ver¬
schaffen, so sei es vollauf berechtigt, sie sich selbst zu holen. Ueber die' völker¬
rechtliche Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens würde sich indeß mindestens
streiten lassen, und politisch klug wäre es auf keinen Fall. Denn daß ein
einseitiges Fußfassen Deutschlands auf der iberischen Halbinsel für unsere
Beziehungen zu den übrigen Mächten nicht ohne bedenkliche Folgen bleiben
könnte, liegt auf der Hand; diese, d. h. unter Umständen einen allgemeinen
europäischen Krieg zu riskiren, kann aber unseren Staatsmännern im vor¬
liegenden Falle nicht in den Sinn kommen. Sollte Don Carlos, was nichts
weniger als wahrscheinlich ist, jemals die Gewalt über Spanien in seine
Hände bekommen, alsdann wäre es noch Zeit, für den gemordeten Hauptmann
Rechenschaft von ihm zu fordern; wird er mit seinen Banden vernichtet, so ist
unser Landsmann von selbst gerächt. Mit der Entsendung eines Geschwaders
in die nordspanischen Gewässer aber thut die deutsche Regierung nichts
Anderes, als was alle übrigen Mächte auch thun sollten. Wir wissen nicht,
wie weit die Nachricht auf Wahrheit beruht, daß die deutsche Regierung im
gegenwärtigen Augenblicke mit großer Energie die Anerkennung der Regierung
des Marschalls Serrano bei den europäischen Cabinetten betreibe; aber das
unterliegt keinem Zweifel, daß auch ohne diese Anerkennung die Mächte, von
denen keine einzige die Carltsten als kriegführende Partei anerkannt hat, die
aber sämmtlich mit der Madrider Regierung in officiösen Verkehr stehen,
gegen Spanien in Bezug auf den Bürgerkrieg dieselben völkerrechtlichen Ver¬
pflichtungen haben, wie gegen jede andere befreundete Macht, daß sie also
auch eine Unterstützung des carlistischen Aufstandes von außen her nach
Kräften zu verhindern suchen sollten. Nicht minder ist es Pflicht aller Mächte,
ihren in den von den Carlisten heimgesuchten Gegenden aufhältlichen Staats¬
angehörigen, resp, deren Eigenthum soviel wie möglich Schutz zu gewähren.
Und so wird es nicht Wunder nehmen können, wenn außer den deutschen


nur zu sehr rechtfertigen werde. Aber da nehmen plötzlich die spanischen
Wirren eine Gestalt an, welche aus ihnen thatsächlich bereits eine „europäische
Frage" gemacht hat. Möglich, daß die gräuliche Barbarei, welche von ent¬
menschten Banden in den baskischen Bergen geübt wird, noch nicht so bald
die volle Beachtung des offiziellen Europas gefunden hätte, wenn nicht durch
die völkerrechtswidrige Ermordung des Hauptmann Schmidt Deutschland mit
Gewalt zur Action getrieben wäre. So mag der Tod unseres unglücklichen
Landsmannes wenigstens den Anstoß geben, daß die Mächte endlich darauf
sinnen, wie Gräueln, die unserm Jahrhundert das traurigste Schandmal auf¬
drücken, ein Ziel zu setzen. Heißblütige Gemüther haben sofort von einer
regelrechten deutschen Expedition gegen die Ccirlisten geträumt. Man hat
gemeint, da die Madrider Regierung offenbar nicht im Stande sei, Deutsch¬
land für die Unthat ihrer rebellischen Unterthanen Genugthuung zu ver¬
schaffen, so sei es vollauf berechtigt, sie sich selbst zu holen. Ueber die' völker¬
rechtliche Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens würde sich indeß mindestens
streiten lassen, und politisch klug wäre es auf keinen Fall. Denn daß ein
einseitiges Fußfassen Deutschlands auf der iberischen Halbinsel für unsere
Beziehungen zu den übrigen Mächten nicht ohne bedenkliche Folgen bleiben
könnte, liegt auf der Hand; diese, d. h. unter Umständen einen allgemeinen
europäischen Krieg zu riskiren, kann aber unseren Staatsmännern im vor¬
liegenden Falle nicht in den Sinn kommen. Sollte Don Carlos, was nichts
weniger als wahrscheinlich ist, jemals die Gewalt über Spanien in seine
Hände bekommen, alsdann wäre es noch Zeit, für den gemordeten Hauptmann
Rechenschaft von ihm zu fordern; wird er mit seinen Banden vernichtet, so ist
unser Landsmann von selbst gerächt. Mit der Entsendung eines Geschwaders
in die nordspanischen Gewässer aber thut die deutsche Regierung nichts
Anderes, als was alle übrigen Mächte auch thun sollten. Wir wissen nicht,
wie weit die Nachricht auf Wahrheit beruht, daß die deutsche Regierung im
gegenwärtigen Augenblicke mit großer Energie die Anerkennung der Regierung
des Marschalls Serrano bei den europäischen Cabinetten betreibe; aber das
unterliegt keinem Zweifel, daß auch ohne diese Anerkennung die Mächte, von
denen keine einzige die Carltsten als kriegführende Partei anerkannt hat, die
aber sämmtlich mit der Madrider Regierung in officiösen Verkehr stehen,
gegen Spanien in Bezug auf den Bürgerkrieg dieselben völkerrechtlichen Ver¬
pflichtungen haben, wie gegen jede andere befreundete Macht, daß sie also
auch eine Unterstützung des carlistischen Aufstandes von außen her nach
Kräften zu verhindern suchen sollten. Nicht minder ist es Pflicht aller Mächte,
ihren in den von den Carlisten heimgesuchten Gegenden aufhältlichen Staats¬
angehörigen, resp, deren Eigenthum soviel wie möglich Schutz zu gewähren.
Und so wird es nicht Wunder nehmen können, wenn außer den deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/245>, abgerufen am 25.05.2024.