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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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verfolgt, nach dem Strand einer Insel zu entkommen, daselbst, wenngleich
nur für kurze Zeit förmlich blockirt. Je länger man in arktischen Regionen
lebt, desto mehr gewöhnt man sich es ab, diese Thiere in ihrem Element, dem
Wasser, selbst anzugreifen; es sei denn, daß irgend ein zwingender Umstand,
Nahrungs- oder Oelmangel, dies erheischte, und immer ist es rathsam, sich
bei Bootschaften ausreichend mit Patronen zu versehen. Die erfolgreichste
Jagd findet dann statt, wenn man diese Thiere auf Eisschollen schlafend
überrascht. Im letzten Stadium der Annäherung werden dabei die Riemen
eingenommen und das Boot wird geräuschlos angelegt. Die Jäger betreten
die Scholle, doch nicht in der Front, sondern im Rücken der Thiere; denn
kaum ist eins derselben, den Kopf mit Verachtung und Wuth aufrichtend,
erreicht, so weckt es auch alle anderen auf, und die ganze Heerde drängt nun,
die Jungen mitschiebend, unaufhaltsam gerade vor zum Schollenrand und
stürzt kopfüber ins Wasser. Nur diese kurze Zeit bleibt dem Jäger, und
seine Schüsse müssen rasch und sicher fallen. Wird einem weiblichen Walroß
das Junge getödtet, so trägt sie es mit den Brustflossen und fordert ihren
Feind mit dem grimmigsten Glänze ihrer Augen zum Kampfe heraus. Ein
getödtetes Walroß wird rasch, bevor es sinkt, an die Leine genommen und
am Boote festgemacht. Das Gewicht dieser Thiere ist so enorm, daß zwei
derselben, welche wir einst auf dieselbe Seite des Deckes gehißt hatten, dem
Schiffe eine merkliche seitliche Neigung gaben."

Wir glauben damit unsern Lesern hinreichende Beweise von dem hohen
Interesse dieser Schilderungen des ostgrönländischen Thierlebens gegeben zu
haben. Die ethnographischen, anthropologischen und kulturgeschichtlichen
Forschungen und Resultate der zweiten deutschen Nordpolfahrt werden uns
dagegen erst beim Erscheinen des zweiten wissenschaftlichen Halbbandes be¬
schäftigen. Hier mag nur erwähnt fein, daß die völlige Verlassenheit der ost¬
grönländischen Küste von Ansiedelungen, Eingeborenen, die dort noch von
Clavering vor 44 Jahren getroffen wurden, durch unsere Nordpolfahrer sich
als zweifellos herausstellte. Selbstverständlich machten die verfallenen Hütten,
die verlassenen Gräber der Eskimos, die bunten Steinhaufen längst verödeter
Kinderspielplätze einen höchst schwermüthigen Eindruck. -- Von der Flora
Und dem Pflanzenleben Ostgrönlands haben wir bereits bei Besprechung der
ersten wissenschaftlichen Abtheilung des Werkes unsern Lesern eine Vorstellung
zu geben versucht.*) Kehren wir. nun von dieser Abschweifung zum Gange
der Ereignisse zurück.

In der zweiten Hälfte des Monat Juli war endlich die Jahreszeit so¬
weit vorgerückt, daß abermals die Nordfahrt mit der Germania gewagt



*) Vgl. Grenzboten 1874, II. S. S7.

verfolgt, nach dem Strand einer Insel zu entkommen, daselbst, wenngleich
nur für kurze Zeit förmlich blockirt. Je länger man in arktischen Regionen
lebt, desto mehr gewöhnt man sich es ab, diese Thiere in ihrem Element, dem
Wasser, selbst anzugreifen; es sei denn, daß irgend ein zwingender Umstand,
Nahrungs- oder Oelmangel, dies erheischte, und immer ist es rathsam, sich
bei Bootschaften ausreichend mit Patronen zu versehen. Die erfolgreichste
Jagd findet dann statt, wenn man diese Thiere auf Eisschollen schlafend
überrascht. Im letzten Stadium der Annäherung werden dabei die Riemen
eingenommen und das Boot wird geräuschlos angelegt. Die Jäger betreten
die Scholle, doch nicht in der Front, sondern im Rücken der Thiere; denn
kaum ist eins derselben, den Kopf mit Verachtung und Wuth aufrichtend,
erreicht, so weckt es auch alle anderen auf, und die ganze Heerde drängt nun,
die Jungen mitschiebend, unaufhaltsam gerade vor zum Schollenrand und
stürzt kopfüber ins Wasser. Nur diese kurze Zeit bleibt dem Jäger, und
seine Schüsse müssen rasch und sicher fallen. Wird einem weiblichen Walroß
das Junge getödtet, so trägt sie es mit den Brustflossen und fordert ihren
Feind mit dem grimmigsten Glänze ihrer Augen zum Kampfe heraus. Ein
getödtetes Walroß wird rasch, bevor es sinkt, an die Leine genommen und
am Boote festgemacht. Das Gewicht dieser Thiere ist so enorm, daß zwei
derselben, welche wir einst auf dieselbe Seite des Deckes gehißt hatten, dem
Schiffe eine merkliche seitliche Neigung gaben."

Wir glauben damit unsern Lesern hinreichende Beweise von dem hohen
Interesse dieser Schilderungen des ostgrönländischen Thierlebens gegeben zu
haben. Die ethnographischen, anthropologischen und kulturgeschichtlichen
Forschungen und Resultate der zweiten deutschen Nordpolfahrt werden uns
dagegen erst beim Erscheinen des zweiten wissenschaftlichen Halbbandes be¬
schäftigen. Hier mag nur erwähnt fein, daß die völlige Verlassenheit der ost¬
grönländischen Küste von Ansiedelungen, Eingeborenen, die dort noch von
Clavering vor 44 Jahren getroffen wurden, durch unsere Nordpolfahrer sich
als zweifellos herausstellte. Selbstverständlich machten die verfallenen Hütten,
die verlassenen Gräber der Eskimos, die bunten Steinhaufen längst verödeter
Kinderspielplätze einen höchst schwermüthigen Eindruck. — Von der Flora
Und dem Pflanzenleben Ostgrönlands haben wir bereits bei Besprechung der
ersten wissenschaftlichen Abtheilung des Werkes unsern Lesern eine Vorstellung
zu geben versucht.*) Kehren wir. nun von dieser Abschweifung zum Gange
der Ereignisse zurück.

In der zweiten Hälfte des Monat Juli war endlich die Jahreszeit so¬
weit vorgerückt, daß abermals die Nordfahrt mit der Germania gewagt



*) Vgl. Grenzboten 1874, II. S. S7.
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[0355] verfolgt, nach dem Strand einer Insel zu entkommen, daselbst, wenngleich nur für kurze Zeit förmlich blockirt. Je länger man in arktischen Regionen lebt, desto mehr gewöhnt man sich es ab, diese Thiere in ihrem Element, dem Wasser, selbst anzugreifen; es sei denn, daß irgend ein zwingender Umstand, Nahrungs- oder Oelmangel, dies erheischte, und immer ist es rathsam, sich bei Bootschaften ausreichend mit Patronen zu versehen. Die erfolgreichste Jagd findet dann statt, wenn man diese Thiere auf Eisschollen schlafend überrascht. Im letzten Stadium der Annäherung werden dabei die Riemen eingenommen und das Boot wird geräuschlos angelegt. Die Jäger betreten die Scholle, doch nicht in der Front, sondern im Rücken der Thiere; denn kaum ist eins derselben, den Kopf mit Verachtung und Wuth aufrichtend, erreicht, so weckt es auch alle anderen auf, und die ganze Heerde drängt nun, die Jungen mitschiebend, unaufhaltsam gerade vor zum Schollenrand und stürzt kopfüber ins Wasser. Nur diese kurze Zeit bleibt dem Jäger, und seine Schüsse müssen rasch und sicher fallen. Wird einem weiblichen Walroß das Junge getödtet, so trägt sie es mit den Brustflossen und fordert ihren Feind mit dem grimmigsten Glänze ihrer Augen zum Kampfe heraus. Ein getödtetes Walroß wird rasch, bevor es sinkt, an die Leine genommen und am Boote festgemacht. Das Gewicht dieser Thiere ist so enorm, daß zwei derselben, welche wir einst auf dieselbe Seite des Deckes gehißt hatten, dem Schiffe eine merkliche seitliche Neigung gaben." Wir glauben damit unsern Lesern hinreichende Beweise von dem hohen Interesse dieser Schilderungen des ostgrönländischen Thierlebens gegeben zu haben. Die ethnographischen, anthropologischen und kulturgeschichtlichen Forschungen und Resultate der zweiten deutschen Nordpolfahrt werden uns dagegen erst beim Erscheinen des zweiten wissenschaftlichen Halbbandes be¬ schäftigen. Hier mag nur erwähnt fein, daß die völlige Verlassenheit der ost¬ grönländischen Küste von Ansiedelungen, Eingeborenen, die dort noch von Clavering vor 44 Jahren getroffen wurden, durch unsere Nordpolfahrer sich als zweifellos herausstellte. Selbstverständlich machten die verfallenen Hütten, die verlassenen Gräber der Eskimos, die bunten Steinhaufen längst verödeter Kinderspielplätze einen höchst schwermüthigen Eindruck. — Von der Flora Und dem Pflanzenleben Ostgrönlands haben wir bereits bei Besprechung der ersten wissenschaftlichen Abtheilung des Werkes unsern Lesern eine Vorstellung zu geben versucht.*) Kehren wir. nun von dieser Abschweifung zum Gange der Ereignisse zurück. In der zweiten Hälfte des Monat Juli war endlich die Jahreszeit so¬ weit vorgerückt, daß abermals die Nordfahrt mit der Germania gewagt *) Vgl. Grenzboten 1874, II. S. S7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/355>, abgerufen am 17.06.2024.