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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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werden konnte. Am 22. Juli morgens 9 Uhr dampfte das gute Schiff mit
wehender Flagge und unter den Hurrahrufen der ganzen in gehobenster Stim¬
mung befindlichen Besatzung aus dem Hafen, der für zehn Monate deren
Heimath gewesen war. Der Kurs wurde nordwärts zunächst nach Klein-Pen-
dulum gerichtet, um dort unter dem Stufenberge zu ankern. Es war jedoch
wegen dichten Nebels nicht weiter zu kommen. Erst am 24. Juli konnte
weiter gesteuert und auf einer harten Bergfahrt gegen das Eis Abends süd¬
westlich der Klippen von Kap Philipp Brote geankert werden. Von einer
Höhe des Landes zeigte sich hier noch etwas freies Fahrwasser nach Norden,
und es sollte daher unverzüglich weiter gedampft werden. Aber da stellte sich
heraus, daß einige der Dampfkesselröhren seit einiger Zeit angefangen hatten
zu lecken, so daß zunächst durch Vermieter und Stemmen und bezw. gänzliche
Außerbetriebsetzung einzelner Röhren dem Schaden abgeholfen werden mußte.
Aber da zu einer gründlichen Reparatur alle Mittel fehlten, so mußte schon
jetzt der Zeitpunkt ins Auge gefaßt werden, wo man den wichtigsten Theil
der Maschine ganz in Ruhestand versetzen und die Dampfkraft vollständig
entbehren mußte. Diese Aussicht war natürlich keineswegs ermuthigend und
mußte bei den weiteren Fahrten sehr in Rechnung gezogen werden. Erst am
Morgen des 26. Juli ließ sich die Reise nordwärts fortsetzen, abermals nicht
weit des Eises wegen; erst in der Nacht ließ sich eine Strecke von 8 See¬
meilen in eisfreiem Wasser nach Norden zurücklegen. Man gewann 7S°,29
nördlicher Breite und befand sich nordwestlich der Insel Shannon, also fast
in derselben höchsten Höhe wie im vorigen Sommer, doch weit näher dem
Lande. Weiter sollte die Germania nach Norden nicht kommen. Sie hatte
sich schon bis hierher nur in einer ganz engen Fahrstraße heraufgearbeitet
und vor ihr befand sich eine compacte unabsehbare Eismasse, hinter welcher
vom Maste des Schiffes aus auch nicht ein Anzeichen von offenem Wasser
mehr zu sehen war. Dieselbe trostlose Gewißheit bot am 29. Juli ein Um-
blick des Kapitäns von dem etwa 200 Meter hohen Berge unter dem Süd¬
kap der hohen (Koldewey-) Inseln: eine kleine Stelle offenen Wassers; dann
noch nordöstlich im Packeis eine einzige kleine Wacke, sonst nur schweres Eis
mit einem weißen Eishimmel gegen Norden. Dasselbe hing überall mit dem
Landeise zusammen; uns wurde klar, daß vor dem Eintritt der Herbststürme sich
diese ungeheure Masse nicht in Bewegung setzen konnte. Diese Stürme traten
aber nicht vor Mitte oder Ende August, d. h. nahe dem Ende der Schifffahrt
überhaupt ein. So mußte man, da die Instruction eine zweite Ueberwin¬
terung im Eise positiv untersagte, auf den Rückzug aus dem Eise Bedacht
nehmen. Die Wahrscheinlichkeit, hier im Laufe des Jahres noch weiter vor¬
dringen zu können, war eine äußerst geringe, ebensowenig die Wahrscheinlich'
keit größerer wissenschaftlicher Ausbeute in gar keinem Verhältniß mit der


werden konnte. Am 22. Juli morgens 9 Uhr dampfte das gute Schiff mit
wehender Flagge und unter den Hurrahrufen der ganzen in gehobenster Stim¬
mung befindlichen Besatzung aus dem Hafen, der für zehn Monate deren
Heimath gewesen war. Der Kurs wurde nordwärts zunächst nach Klein-Pen-
dulum gerichtet, um dort unter dem Stufenberge zu ankern. Es war jedoch
wegen dichten Nebels nicht weiter zu kommen. Erst am 24. Juli konnte
weiter gesteuert und auf einer harten Bergfahrt gegen das Eis Abends süd¬
westlich der Klippen von Kap Philipp Brote geankert werden. Von einer
Höhe des Landes zeigte sich hier noch etwas freies Fahrwasser nach Norden,
und es sollte daher unverzüglich weiter gedampft werden. Aber da stellte sich
heraus, daß einige der Dampfkesselröhren seit einiger Zeit angefangen hatten
zu lecken, so daß zunächst durch Vermieter und Stemmen und bezw. gänzliche
Außerbetriebsetzung einzelner Röhren dem Schaden abgeholfen werden mußte.
Aber da zu einer gründlichen Reparatur alle Mittel fehlten, so mußte schon
jetzt der Zeitpunkt ins Auge gefaßt werden, wo man den wichtigsten Theil
der Maschine ganz in Ruhestand versetzen und die Dampfkraft vollständig
entbehren mußte. Diese Aussicht war natürlich keineswegs ermuthigend und
mußte bei den weiteren Fahrten sehr in Rechnung gezogen werden. Erst am
Morgen des 26. Juli ließ sich die Reise nordwärts fortsetzen, abermals nicht
weit des Eises wegen; erst in der Nacht ließ sich eine Strecke von 8 See¬
meilen in eisfreiem Wasser nach Norden zurücklegen. Man gewann 7S°,29
nördlicher Breite und befand sich nordwestlich der Insel Shannon, also fast
in derselben höchsten Höhe wie im vorigen Sommer, doch weit näher dem
Lande. Weiter sollte die Germania nach Norden nicht kommen. Sie hatte
sich schon bis hierher nur in einer ganz engen Fahrstraße heraufgearbeitet
und vor ihr befand sich eine compacte unabsehbare Eismasse, hinter welcher
vom Maste des Schiffes aus auch nicht ein Anzeichen von offenem Wasser
mehr zu sehen war. Dieselbe trostlose Gewißheit bot am 29. Juli ein Um-
blick des Kapitäns von dem etwa 200 Meter hohen Berge unter dem Süd¬
kap der hohen (Koldewey-) Inseln: eine kleine Stelle offenen Wassers; dann
noch nordöstlich im Packeis eine einzige kleine Wacke, sonst nur schweres Eis
mit einem weißen Eishimmel gegen Norden. Dasselbe hing überall mit dem
Landeise zusammen; uns wurde klar, daß vor dem Eintritt der Herbststürme sich
diese ungeheure Masse nicht in Bewegung setzen konnte. Diese Stürme traten
aber nicht vor Mitte oder Ende August, d. h. nahe dem Ende der Schifffahrt
überhaupt ein. So mußte man, da die Instruction eine zweite Ueberwin¬
terung im Eise positiv untersagte, auf den Rückzug aus dem Eise Bedacht
nehmen. Die Wahrscheinlichkeit, hier im Laufe des Jahres noch weiter vor¬
dringen zu können, war eine äußerst geringe, ebensowenig die Wahrscheinlich'
keit größerer wissenschaftlicher Ausbeute in gar keinem Verhältniß mit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/356>, abgerufen am 27.05.2024.