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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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die "Verräther" mehren sich; selbst alte Republikaner haben dem deutschen
Kaiser geschworen, und dem wahren "Patrioten" bleibt bis zu gelegenerer
Zeit nichts übrig, als sich schweigend in seine Toga zu hüllen und im Hin¬
blick auf diesen oder jenen Abgefallenen ein schwermüthiges: "Auch Du,
Brutus!" zu seufzen.

Aber wenn unsere Unversöhnlichen augenblicklich auch schweigen, so hören
sie doch nicht auf, uns zu hassen, und ebenso wird die Mehrheit ihrer Lands¬
leute in dieser Beziehung noch Jahre lang hinter ihnen stehn. Nur Eines
hat sich geändert: wir tragen diesen Haß nicht mehr alkin. Ebenso, ja
mehr noch als wir, werden die Abgefallenen gehaßt, und diese Spaltung
gerade, welche durch die Entwickelung der Verhältnisse im Schooße der Ein¬
heimischen selbst hervorgerufen wurde, ist ein für uns höchst erfreulicher Erfolg.

Von der gegenseitigen Erbitterung der "elsässischen Elsässer" und der rein
französischen ließen sich die erstaunlichsten Beispiele erzählen, wenn es immer
die Discretion gestattete. Denn es giebt überall -- wir gebrauchen das
Gleichniß subtraetis subtralionäis -- es giebt überall, wenigstens im Elsaß,
Nicodemusgemüther, die "in der Nacht" zu einem deutschen Bekannten kommen
und ihm in dieser Hinsicht ihr Leid klagen. So haben sich z. B. einige
Mülhäuser "Patrioten" -- wohl gemerkt, nicht unreife Bürschchen, sondern
Männer gesetzten Alters -- wochenlang das bübisch-patriotische Vergnügen
gemacht, an die noch ganz französisch gesinnte Gattin eines hervorragenden
Mitgliedes der "elsässischen" Partei regelmäßig die betreffenden Schmähartikel
französischer Zeitungen über ihren Mann zu senden, und das, obwohl sie
wußten, daß die Frau in gesegneten Umständen war! Die Sache hörte all¬
mählich von selbst auf; sonst hätte Herr A. schließlich doch in gerechtem Zorn,
wie er es vorhatte, zur Reitpeitsche gegriffen, um die ihm wohlbekannten
Störer seines häuslichen Friedens öffentlich zu züchtigen, bezw. zu brandmarken,
falls sie ihn vor Gericht deshalb verklagt hätten!

Die nächste Folge solcher Behandlung der "Verräther" seitens der Un¬
versöhnlichen ist natürlich eine große Erbitterung der ersteren. Sie für ihre
Person wollten ursprünglich die Brücken, die nach Frankreich zurückführen,
keineswegs hinter sich abbrechen. nachdrücklich betonten sie, daß sie es nur
zu einem mväuö vivendi mit Deutschland, zu einer erträglichen Regelung der
traurigen Nothwendigkeit des Deutschseins bringen möchten. Aber ihre Feinde
brachen die Brücken hinter ihnen ab, schalten die Autonomsten "Verräther",
"Prussiens" u. s. w., und drängten sie so viel mehr auf die deutsche Seite,
als diese das selbst beim ersten Schritt aus dem Lager des unbedingten Fran-
zosenthums heraus geahnt und beabsichtigt hatten. Wenn es heute unter den
"elsässischen Elsässern" Hunderte giebt, bei denen es als öffentliches Geheimniß
gilt, daß sie die Rückkehr der Franzosen nicht mehr wünschen, nicht mehr


die „Verräther" mehren sich; selbst alte Republikaner haben dem deutschen
Kaiser geschworen, und dem wahren „Patrioten" bleibt bis zu gelegenerer
Zeit nichts übrig, als sich schweigend in seine Toga zu hüllen und im Hin¬
blick auf diesen oder jenen Abgefallenen ein schwermüthiges: „Auch Du,
Brutus!" zu seufzen.

Aber wenn unsere Unversöhnlichen augenblicklich auch schweigen, so hören
sie doch nicht auf, uns zu hassen, und ebenso wird die Mehrheit ihrer Lands¬
leute in dieser Beziehung noch Jahre lang hinter ihnen stehn. Nur Eines
hat sich geändert: wir tragen diesen Haß nicht mehr alkin. Ebenso, ja
mehr noch als wir, werden die Abgefallenen gehaßt, und diese Spaltung
gerade, welche durch die Entwickelung der Verhältnisse im Schooße der Ein¬
heimischen selbst hervorgerufen wurde, ist ein für uns höchst erfreulicher Erfolg.

Von der gegenseitigen Erbitterung der „elsässischen Elsässer" und der rein
französischen ließen sich die erstaunlichsten Beispiele erzählen, wenn es immer
die Discretion gestattete. Denn es giebt überall — wir gebrauchen das
Gleichniß subtraetis subtralionäis — es giebt überall, wenigstens im Elsaß,
Nicodemusgemüther, die „in der Nacht" zu einem deutschen Bekannten kommen
und ihm in dieser Hinsicht ihr Leid klagen. So haben sich z. B. einige
Mülhäuser „Patrioten" — wohl gemerkt, nicht unreife Bürschchen, sondern
Männer gesetzten Alters — wochenlang das bübisch-patriotische Vergnügen
gemacht, an die noch ganz französisch gesinnte Gattin eines hervorragenden
Mitgliedes der „elsässischen" Partei regelmäßig die betreffenden Schmähartikel
französischer Zeitungen über ihren Mann zu senden, und das, obwohl sie
wußten, daß die Frau in gesegneten Umständen war! Die Sache hörte all¬
mählich von selbst auf; sonst hätte Herr A. schließlich doch in gerechtem Zorn,
wie er es vorhatte, zur Reitpeitsche gegriffen, um die ihm wohlbekannten
Störer seines häuslichen Friedens öffentlich zu züchtigen, bezw. zu brandmarken,
falls sie ihn vor Gericht deshalb verklagt hätten!

Die nächste Folge solcher Behandlung der „Verräther" seitens der Un¬
versöhnlichen ist natürlich eine große Erbitterung der ersteren. Sie für ihre
Person wollten ursprünglich die Brücken, die nach Frankreich zurückführen,
keineswegs hinter sich abbrechen. nachdrücklich betonten sie, daß sie es nur
zu einem mväuö vivendi mit Deutschland, zu einer erträglichen Regelung der
traurigen Nothwendigkeit des Deutschseins bringen möchten. Aber ihre Feinde
brachen die Brücken hinter ihnen ab, schalten die Autonomsten „Verräther",
„Prussiens" u. s. w., und drängten sie so viel mehr auf die deutsche Seite,
als diese das selbst beim ersten Schritt aus dem Lager des unbedingten Fran-
zosenthums heraus geahnt und beabsichtigt hatten. Wenn es heute unter den
„elsässischen Elsässern" Hunderte giebt, bei denen es als öffentliches Geheimniß
gilt, daß sie die Rückkehr der Franzosen nicht mehr wünschen, nicht mehr


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[0444] die „Verräther" mehren sich; selbst alte Republikaner haben dem deutschen Kaiser geschworen, und dem wahren „Patrioten" bleibt bis zu gelegenerer Zeit nichts übrig, als sich schweigend in seine Toga zu hüllen und im Hin¬ blick auf diesen oder jenen Abgefallenen ein schwermüthiges: „Auch Du, Brutus!" zu seufzen. Aber wenn unsere Unversöhnlichen augenblicklich auch schweigen, so hören sie doch nicht auf, uns zu hassen, und ebenso wird die Mehrheit ihrer Lands¬ leute in dieser Beziehung noch Jahre lang hinter ihnen stehn. Nur Eines hat sich geändert: wir tragen diesen Haß nicht mehr alkin. Ebenso, ja mehr noch als wir, werden die Abgefallenen gehaßt, und diese Spaltung gerade, welche durch die Entwickelung der Verhältnisse im Schooße der Ein¬ heimischen selbst hervorgerufen wurde, ist ein für uns höchst erfreulicher Erfolg. Von der gegenseitigen Erbitterung der „elsässischen Elsässer" und der rein französischen ließen sich die erstaunlichsten Beispiele erzählen, wenn es immer die Discretion gestattete. Denn es giebt überall — wir gebrauchen das Gleichniß subtraetis subtralionäis — es giebt überall, wenigstens im Elsaß, Nicodemusgemüther, die „in der Nacht" zu einem deutschen Bekannten kommen und ihm in dieser Hinsicht ihr Leid klagen. So haben sich z. B. einige Mülhäuser „Patrioten" — wohl gemerkt, nicht unreife Bürschchen, sondern Männer gesetzten Alters — wochenlang das bübisch-patriotische Vergnügen gemacht, an die noch ganz französisch gesinnte Gattin eines hervorragenden Mitgliedes der „elsässischen" Partei regelmäßig die betreffenden Schmähartikel französischer Zeitungen über ihren Mann zu senden, und das, obwohl sie wußten, daß die Frau in gesegneten Umständen war! Die Sache hörte all¬ mählich von selbst auf; sonst hätte Herr A. schließlich doch in gerechtem Zorn, wie er es vorhatte, zur Reitpeitsche gegriffen, um die ihm wohlbekannten Störer seines häuslichen Friedens öffentlich zu züchtigen, bezw. zu brandmarken, falls sie ihn vor Gericht deshalb verklagt hätten! Die nächste Folge solcher Behandlung der „Verräther" seitens der Un¬ versöhnlichen ist natürlich eine große Erbitterung der ersteren. Sie für ihre Person wollten ursprünglich die Brücken, die nach Frankreich zurückführen, keineswegs hinter sich abbrechen. nachdrücklich betonten sie, daß sie es nur zu einem mväuö vivendi mit Deutschland, zu einer erträglichen Regelung der traurigen Nothwendigkeit des Deutschseins bringen möchten. Aber ihre Feinde brachen die Brücken hinter ihnen ab, schalten die Autonomsten „Verräther", „Prussiens" u. s. w., und drängten sie so viel mehr auf die deutsche Seite, als diese das selbst beim ersten Schritt aus dem Lager des unbedingten Fran- zosenthums heraus geahnt und beabsichtigt hatten. Wenn es heute unter den „elsässischen Elsässern" Hunderte giebt, bei denen es als öffentliches Geheimniß gilt, daß sie die Rückkehr der Franzosen nicht mehr wünschen, nicht mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/444>, abgerufen am 10.06.2024.