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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

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wünschen können, weil sie sich zu sehr "compromittirt" haben, so sind wir
für dies erfreuliche Ergebniß in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, der
Taktik des Hasses unserer Chauvins zu Dank verpflichtet.

Auch unter den Mitgliedern der Kreis- und Bezirkslandtage befindet sich
Mancher, bei dem der Schluß von dem geleisteten Eid auf die männliche Be¬
reitschaft zur Treue gegen denselben zuerst verfehlt gewesen wäre. Wohl die
Meisten leisteten ihren Eid in einem ganz besonderen Sinn "in Gottes Namen"
d. h. in der Meinung, daß es aus einen "politischen" Eid mehr oder weniger
nicht ankomme, und daß, wer seiner Zeit Napoleon III. geschworen habe,
ohne deshalb der Republik im Innern abzuschwören, heute am Ende auch
dem deutschen Kaiser schwören könne unbeschadet seiner Anhänglichkeit an
Frankreich. Aber die Unversöhnlichen sorgen dafür, daß diese rizservativ
mentalis der Abgefallenen nicht aufkommt. Durch ihren Haß drängen sie die
Halben immermehr vor das Entweder-Oder, und so geschah es. daß sämmt¬
liche Abgeordneten der Bezirkstage auch den officiellen Diners der Bezirks¬
präsidenten beiwohnten, wozu sie doch, streng genommen "im Interesse des
Landes" nicht verpflichtet waren. Der Eid der Treue war unvermeidlich,
aber den bei diesen Diners üblichen Trinkspruch auf den Kaiser hätten sie
vermeiden können. Haben sie es nicht gethan, so liegt der Grund vornehm¬
lich in dem Gefühl: "Man schilt uns doch "Verräther", mögen wir's nun
thun oder lassen!"

Der Haß der "Unversöhnlichen" gegen die "elsässischen Elsässer" steigert
sich aber noch dadurch, daß die letzteren in den drei Bezirkstagen auch einen
gewissen politischen Erfolg erzielt haben. Die Leser der "Grenzboten" wissen
bereits aus den Tagesblättern, daß sämmtliche drei Bezirkstage in ihren
Schlußsitzungen einstimmig Anträge eingereicht haben, welche auf die Her¬
stellung der "Autonomie" zielen. Diese Anträge überschreiten die Zuständig¬
keit der Bezirkstage, die sich nach den Gesetzen nicht mit politischen Fragen
beschäftigen dürfen. Trotzdem wurden sie gestellt, und zwar in jedem Bezirks¬
tag in besonderer Form, eine Mannigfaltigkeit, welche gerade die Ueberein¬
stimmung der bezüglichen Wünsche in den gemäßigten Kreisen des ganzen
Retchslandes beweist. Aehnliche Anträge sind hier schon im vorigen Jahre
und in Metz in der außerordentlichen Januarsession dieses Jahres gestellt
worden, aber damals war der oberelsässische Bezirketag gar nicht zu Stande
gekommen und die beiden anderen waren wegen der Eidesverweigerung nicht
vollzählig, während jetzt alle drei Bezirkstage beisammen sind und einstimmig
die betreffenden Anträge einbrachten. Daß über die Art dieser "Autonomie"
viel Unklarheit herrscht, ist wahr. Namentlich ist der von dem Baron Zorn
von Bulach redigirte Antrag des unterelsässischen Bezirkstag ein Aktenstück, das
von wenig diplomatischer Begabung zeugt, und der kaum halb zur elsässischen


wünschen können, weil sie sich zu sehr „compromittirt" haben, so sind wir
für dies erfreuliche Ergebniß in erster Linie, wenn nicht ausschließlich, der
Taktik des Hasses unserer Chauvins zu Dank verpflichtet.

Auch unter den Mitgliedern der Kreis- und Bezirkslandtage befindet sich
Mancher, bei dem der Schluß von dem geleisteten Eid auf die männliche Be¬
reitschaft zur Treue gegen denselben zuerst verfehlt gewesen wäre. Wohl die
Meisten leisteten ihren Eid in einem ganz besonderen Sinn „in Gottes Namen"
d. h. in der Meinung, daß es aus einen „politischen" Eid mehr oder weniger
nicht ankomme, und daß, wer seiner Zeit Napoleon III. geschworen habe,
ohne deshalb der Republik im Innern abzuschwören, heute am Ende auch
dem deutschen Kaiser schwören könne unbeschadet seiner Anhänglichkeit an
Frankreich. Aber die Unversöhnlichen sorgen dafür, daß diese rizservativ
mentalis der Abgefallenen nicht aufkommt. Durch ihren Haß drängen sie die
Halben immermehr vor das Entweder-Oder, und so geschah es. daß sämmt¬
liche Abgeordneten der Bezirkstage auch den officiellen Diners der Bezirks¬
präsidenten beiwohnten, wozu sie doch, streng genommen „im Interesse des
Landes" nicht verpflichtet waren. Der Eid der Treue war unvermeidlich,
aber den bei diesen Diners üblichen Trinkspruch auf den Kaiser hätten sie
vermeiden können. Haben sie es nicht gethan, so liegt der Grund vornehm¬
lich in dem Gefühl: „Man schilt uns doch „Verräther", mögen wir's nun
thun oder lassen!"

Der Haß der „Unversöhnlichen" gegen die „elsässischen Elsässer" steigert
sich aber noch dadurch, daß die letzteren in den drei Bezirkstagen auch einen
gewissen politischen Erfolg erzielt haben. Die Leser der „Grenzboten" wissen
bereits aus den Tagesblättern, daß sämmtliche drei Bezirkstage in ihren
Schlußsitzungen einstimmig Anträge eingereicht haben, welche auf die Her¬
stellung der „Autonomie" zielen. Diese Anträge überschreiten die Zuständig¬
keit der Bezirkstage, die sich nach den Gesetzen nicht mit politischen Fragen
beschäftigen dürfen. Trotzdem wurden sie gestellt, und zwar in jedem Bezirks¬
tag in besonderer Form, eine Mannigfaltigkeit, welche gerade die Ueberein¬
stimmung der bezüglichen Wünsche in den gemäßigten Kreisen des ganzen
Retchslandes beweist. Aehnliche Anträge sind hier schon im vorigen Jahre
und in Metz in der außerordentlichen Januarsession dieses Jahres gestellt
worden, aber damals war der oberelsässische Bezirketag gar nicht zu Stande
gekommen und die beiden anderen waren wegen der Eidesverweigerung nicht
vollzählig, während jetzt alle drei Bezirkstage beisammen sind und einstimmig
die betreffenden Anträge einbrachten. Daß über die Art dieser „Autonomie"
viel Unklarheit herrscht, ist wahr. Namentlich ist der von dem Baron Zorn
von Bulach redigirte Antrag des unterelsässischen Bezirkstag ein Aktenstück, das
von wenig diplomatischer Begabung zeugt, und der kaum halb zur elsässischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/445>, abgerufen am 18.05.2024.