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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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ZU erledigen. Wenn nun noch, ganz abgesehen von der für die Negierung
nicht zu überwältigenden Arbeitslast, der höchst schwierige Neubau der Com-
munalverhältnisse in den Westprovinzen hinzutreten sollte, so könnte sich der
Landtag nur gleich auf 2 -- 3 Jahr in Permanenz erklären.

Wir glauben freilich, um hier unsere Ansicht einzuschieben, daß die stück¬
weise Ausführung der Reform, d. h. die Theilung der Gesetzgebung in Stück¬
arbeit, ebenso ihre großen Nachtheile hat. Das Richtige wäre, einen großen
einheitlichen Verwaltungsplan in Ortsgemeinde, Kreis, Provinz und Staats-
Centrum im Ganzen aufstellen zu lassen und auf diese Arbeit 4 -- 5 Jahre
zu verwenden, für welche nach Art der Zwischencommission für die Reichs
iustizgesetze eine eigene Commission unter dem Vorsitz des Ministers des Innern
aus Landtagsmitgliedern und Staatsbeamten zu bilden wäre. Es ist aber
leider nicht zu verkennen, daß das rechte Vertrauen und die rechte Klarheit
über den gewaltigen Grundgedanken der ins Werk zu setzenden Reform, der
auch ihre Einheitlichkeit bedingt, nirgends vorhanden- ist. Die theoretische
Klarheit über diesen Grundgedanken besitzt ja freilich der Schöpfer derselben
Rudolph Gneist und er hat auch bei der diesmaligen Verhandlung Anlaß
gefunden, ihn theoretisch wieder in das klarste Licht zu bringen. Es scheint
°in undurchbrechliches Gesetz der Vertheilung geistiger Anlagen zu sein, daß
theoretische und practische Productivitär bis auf verschwindende Ausnahmen
nicht in demselben Kopfe verbunden sind. Obwohl die Praxis nichts anderes
'se, als die Verwirklichung der Theorie, und obwohl das, was man außerdem
Praxis nennt, nichts taugt oder eine untergeordnete Handlangerarbeit ist, so
wuß die wahre schöpferische Praxis doch ihren eigenen Anlauf nehmen von
d"n Punkte, wo die theoretische Arbeit bereits gethan ist. Gneist ist den
poetischen Verhältnissen gegenüber bald zu zaghaft, bald idealisirt er Bestehen¬
de, bald übertreibt er die Wichtigkeit dessen, was seiner Theorie scheinbar
entgegensteht.

Die Reformgesetzgebung ist also auf den Weg der Stückarbeit geleitet.
Vielleicht, daß er doch noch verlassen wird, wenn in der diesmaligen Session
"indes zu Stande kommt. Der Minister des Innern aber sprach sich für die
Fortsetzung der Stückarbeit aus, mit dem allergrößten Rechte: gegenüber der
beinah thörichten Forderung, das Ganze jetzt auf einmal vorzunehmen, und
^it nicht minderem Rechte gegenüber der Forderung, wenigstens Rheinland
und Westfalen jetzt sogleich einzubeziehen. Außer dem durchschlagenden Grunde,
^ß die Arbeit viel zu groß ist um jetzt -- anstatt nach drei bis fünf Jahren
^ auf einmal unternommen zu werden, fügte er halb beiläufig hinzu.
Selbstverwaltungsfrage sei eine Machtfrage. Nicht gerade sehr deutlich
" die Erläuterung, die Selbstverwaltung lasse sich nur einführen, wo das
-gehren nach der mit ihr verbundenen Macht vorhanden. Auf der Kraft


ZU erledigen. Wenn nun noch, ganz abgesehen von der für die Negierung
nicht zu überwältigenden Arbeitslast, der höchst schwierige Neubau der Com-
munalverhältnisse in den Westprovinzen hinzutreten sollte, so könnte sich der
Landtag nur gleich auf 2 — 3 Jahr in Permanenz erklären.

Wir glauben freilich, um hier unsere Ansicht einzuschieben, daß die stück¬
weise Ausführung der Reform, d. h. die Theilung der Gesetzgebung in Stück¬
arbeit, ebenso ihre großen Nachtheile hat. Das Richtige wäre, einen großen
einheitlichen Verwaltungsplan in Ortsgemeinde, Kreis, Provinz und Staats-
Centrum im Ganzen aufstellen zu lassen und auf diese Arbeit 4 — 5 Jahre
zu verwenden, für welche nach Art der Zwischencommission für die Reichs
iustizgesetze eine eigene Commission unter dem Vorsitz des Ministers des Innern
aus Landtagsmitgliedern und Staatsbeamten zu bilden wäre. Es ist aber
leider nicht zu verkennen, daß das rechte Vertrauen und die rechte Klarheit
über den gewaltigen Grundgedanken der ins Werk zu setzenden Reform, der
auch ihre Einheitlichkeit bedingt, nirgends vorhanden- ist. Die theoretische
Klarheit über diesen Grundgedanken besitzt ja freilich der Schöpfer derselben
Rudolph Gneist und er hat auch bei der diesmaligen Verhandlung Anlaß
gefunden, ihn theoretisch wieder in das klarste Licht zu bringen. Es scheint
°in undurchbrechliches Gesetz der Vertheilung geistiger Anlagen zu sein, daß
theoretische und practische Productivitär bis auf verschwindende Ausnahmen
nicht in demselben Kopfe verbunden sind. Obwohl die Praxis nichts anderes
'se, als die Verwirklichung der Theorie, und obwohl das, was man außerdem
Praxis nennt, nichts taugt oder eine untergeordnete Handlangerarbeit ist, so
wuß die wahre schöpferische Praxis doch ihren eigenen Anlauf nehmen von
d"n Punkte, wo die theoretische Arbeit bereits gethan ist. Gneist ist den
poetischen Verhältnissen gegenüber bald zu zaghaft, bald idealisirt er Bestehen¬
de, bald übertreibt er die Wichtigkeit dessen, was seiner Theorie scheinbar
entgegensteht.

Die Reformgesetzgebung ist also auf den Weg der Stückarbeit geleitet.
Vielleicht, daß er doch noch verlassen wird, wenn in der diesmaligen Session
"indes zu Stande kommt. Der Minister des Innern aber sprach sich für die
Fortsetzung der Stückarbeit aus, mit dem allergrößten Rechte: gegenüber der
beinah thörichten Forderung, das Ganze jetzt auf einmal vorzunehmen, und
^it nicht minderem Rechte gegenüber der Forderung, wenigstens Rheinland
und Westfalen jetzt sogleich einzubeziehen. Außer dem durchschlagenden Grunde,
^ß die Arbeit viel zu groß ist um jetzt — anstatt nach drei bis fünf Jahren
^ auf einmal unternommen zu werden, fügte er halb beiläufig hinzu.
Selbstverwaltungsfrage sei eine Machtfrage. Nicht gerade sehr deutlich
" die Erläuterung, die Selbstverwaltung lasse sich nur einführen, wo das
-gehren nach der mit ihr verbundenen Macht vorhanden. Auf der Kraft


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[0325] ZU erledigen. Wenn nun noch, ganz abgesehen von der für die Negierung nicht zu überwältigenden Arbeitslast, der höchst schwierige Neubau der Com- munalverhältnisse in den Westprovinzen hinzutreten sollte, so könnte sich der Landtag nur gleich auf 2 — 3 Jahr in Permanenz erklären. Wir glauben freilich, um hier unsere Ansicht einzuschieben, daß die stück¬ weise Ausführung der Reform, d. h. die Theilung der Gesetzgebung in Stück¬ arbeit, ebenso ihre großen Nachtheile hat. Das Richtige wäre, einen großen einheitlichen Verwaltungsplan in Ortsgemeinde, Kreis, Provinz und Staats- Centrum im Ganzen aufstellen zu lassen und auf diese Arbeit 4 — 5 Jahre zu verwenden, für welche nach Art der Zwischencommission für die Reichs iustizgesetze eine eigene Commission unter dem Vorsitz des Ministers des Innern aus Landtagsmitgliedern und Staatsbeamten zu bilden wäre. Es ist aber leider nicht zu verkennen, daß das rechte Vertrauen und die rechte Klarheit über den gewaltigen Grundgedanken der ins Werk zu setzenden Reform, der auch ihre Einheitlichkeit bedingt, nirgends vorhanden- ist. Die theoretische Klarheit über diesen Grundgedanken besitzt ja freilich der Schöpfer derselben Rudolph Gneist und er hat auch bei der diesmaligen Verhandlung Anlaß gefunden, ihn theoretisch wieder in das klarste Licht zu bringen. Es scheint °in undurchbrechliches Gesetz der Vertheilung geistiger Anlagen zu sein, daß theoretische und practische Productivitär bis auf verschwindende Ausnahmen nicht in demselben Kopfe verbunden sind. Obwohl die Praxis nichts anderes 'se, als die Verwirklichung der Theorie, und obwohl das, was man außerdem Praxis nennt, nichts taugt oder eine untergeordnete Handlangerarbeit ist, so wuß die wahre schöpferische Praxis doch ihren eigenen Anlauf nehmen von d"n Punkte, wo die theoretische Arbeit bereits gethan ist. Gneist ist den poetischen Verhältnissen gegenüber bald zu zaghaft, bald idealisirt er Bestehen¬ de, bald übertreibt er die Wichtigkeit dessen, was seiner Theorie scheinbar entgegensteht. Die Reformgesetzgebung ist also auf den Weg der Stückarbeit geleitet. Vielleicht, daß er doch noch verlassen wird, wenn in der diesmaligen Session "indes zu Stande kommt. Der Minister des Innern aber sprach sich für die Fortsetzung der Stückarbeit aus, mit dem allergrößten Rechte: gegenüber der beinah thörichten Forderung, das Ganze jetzt auf einmal vorzunehmen, und ^it nicht minderem Rechte gegenüber der Forderung, wenigstens Rheinland und Westfalen jetzt sogleich einzubeziehen. Außer dem durchschlagenden Grunde, ^ß die Arbeit viel zu groß ist um jetzt — anstatt nach drei bis fünf Jahren ^ auf einmal unternommen zu werden, fügte er halb beiläufig hinzu. Selbstverwaltungsfrage sei eine Machtfrage. Nicht gerade sehr deutlich " die Erläuterung, die Selbstverwaltung lasse sich nur einführen, wo das -gehren nach der mit ihr verbundenen Macht vorhanden. Auf der Kraft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/325>, abgerufen am 17.06.2024.