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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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hatten daran theilgenommen. Auf dem Kleber-Platz wurde zwar der Aller-
welts-Hut mit faulen Aepfeln beschmissen. Das hat aber nichts zu sagen und
darf keinen Grund zu Hintergedanken geben. In der lustigen Faschingszeit
ist eben alles als Maskenscherz erlaubt, auch das Schmeißen mit faulen
Aepfeln. Nicht minder war am Vorabend das in den Räumen des Osfizier-
Casinos veranstaltete "Maskenfest" außerordentlich stark besucht. Ueber 700
Maskirte betheiligten sich an demselben und das Fest selbst nahm einen recht
gemüthlichen Verlauf von Anfang bis zu Ende, Ebenso in Colmar, der
Hauptstadt des Oberelsasses, die gleichfalls in diesem Jahre wiederum nach
achtjähriger Unterbrechung einen kleinen "Zug" (Cavalcade) durch ihre Straßen
ziehen sah, der ebenfalls als ein guter Anfang angesehen werden darf. Nur
in Metz ist in diesem Jahre, wie früher, der Carneval äußerst öde und ein^
könig verlaufen. Das hat aber auch seine guten Gründe, die man sich wohl
an den fünf Fingern abzählen kann. Im Elsaß hat es sich dagegen gezeigt,
daß die Eisdecke der Ungemüthlichkeit und des gesellschaftlichen Particularis-
mus und Absentismus allmälig schmilzt. Einheimische und Eingewanderte
haben sich an den fröhlichen Faschingsfesten mit gleichem Eifer und demselben
Humor betheiligt; es hat sich gezeigt, daß der Eine so gut "a lust'ger Schwob"
ist, wie der Andere und daß beide Elemente, wenn sie nur wollen, recht gut
mit einander Harmoniren können.

Zugegeben auch, daß in frühern Jahren der elsässische Carneval fideler
und lustiger gewesen ist, wie Heuer: läßt das denn wohl einen Schluß zu,
daß der alte Humor nicht mit der Zeit wieder völlig auf den alten Fleck
kommen werde? Die geschlagenen Wunden sind allerdings nicht so bald zu
verschmerzen. Ihre Handlung ist aber allenthalben mächtig im Zuge; und
die Zeit, die allheilende, wird hier schon thun, was sie anderswo auch gethan
hat. Es kann in dieser Beziehung an den "Kölner Carneval" erinnert wer¬
den, der unter französischer Herrschaft eine Zeit lang gänzlich verboten war,
unter der deutschen resp, preußischen aber erst recht zur Blüthe gekommen ist,
wie dies die Carnevalszüge in den 60 er Jahren zur Genüge beweisen. Das
ewige Schmollen und Unfreundlich-Thun hilft nirgendwo. Und sicher ist,
daß, wenn sich erst die commerciellen Verhältnisse etwas gebessert haben wer¬
den, -- dann auch die alte Lebhaftigkeit und sprüchwörtliche Lebelustig¬
keit des elsässischen Volksstammes, die sich Heuer noch immer in Sack und
Asche verkriechen zu wollen scheint, nach und nach wiederkommt.

In der erstern Beziehung hört man allerdings seitens der Industriellen
von Zeit zu Zeit mürrische Klagen, die wenngleich zum Theil begründet,
keineswegs darin ihren Grund haben, daß das Elsaß jetzt unter deutscher
Herrschaft steht; sondern einfach in der allgemeinen geschäftlichen Misere, welche
augenblicklich den ganzen Continent belastet. Die deutsche Regierung thut


Grenzboten I. 1875, 44

hatten daran theilgenommen. Auf dem Kleber-Platz wurde zwar der Aller-
welts-Hut mit faulen Aepfeln beschmissen. Das hat aber nichts zu sagen und
darf keinen Grund zu Hintergedanken geben. In der lustigen Faschingszeit
ist eben alles als Maskenscherz erlaubt, auch das Schmeißen mit faulen
Aepfeln. Nicht minder war am Vorabend das in den Räumen des Osfizier-
Casinos veranstaltete „Maskenfest" außerordentlich stark besucht. Ueber 700
Maskirte betheiligten sich an demselben und das Fest selbst nahm einen recht
gemüthlichen Verlauf von Anfang bis zu Ende, Ebenso in Colmar, der
Hauptstadt des Oberelsasses, die gleichfalls in diesem Jahre wiederum nach
achtjähriger Unterbrechung einen kleinen „Zug" (Cavalcade) durch ihre Straßen
ziehen sah, der ebenfalls als ein guter Anfang angesehen werden darf. Nur
in Metz ist in diesem Jahre, wie früher, der Carneval äußerst öde und ein^
könig verlaufen. Das hat aber auch seine guten Gründe, die man sich wohl
an den fünf Fingern abzählen kann. Im Elsaß hat es sich dagegen gezeigt,
daß die Eisdecke der Ungemüthlichkeit und des gesellschaftlichen Particularis-
mus und Absentismus allmälig schmilzt. Einheimische und Eingewanderte
haben sich an den fröhlichen Faschingsfesten mit gleichem Eifer und demselben
Humor betheiligt; es hat sich gezeigt, daß der Eine so gut „a lust'ger Schwob"
ist, wie der Andere und daß beide Elemente, wenn sie nur wollen, recht gut
mit einander Harmoniren können.

Zugegeben auch, daß in frühern Jahren der elsässische Carneval fideler
und lustiger gewesen ist, wie Heuer: läßt das denn wohl einen Schluß zu,
daß der alte Humor nicht mit der Zeit wieder völlig auf den alten Fleck
kommen werde? Die geschlagenen Wunden sind allerdings nicht so bald zu
verschmerzen. Ihre Handlung ist aber allenthalben mächtig im Zuge; und
die Zeit, die allheilende, wird hier schon thun, was sie anderswo auch gethan
hat. Es kann in dieser Beziehung an den „Kölner Carneval" erinnert wer¬
den, der unter französischer Herrschaft eine Zeit lang gänzlich verboten war,
unter der deutschen resp, preußischen aber erst recht zur Blüthe gekommen ist,
wie dies die Carnevalszüge in den 60 er Jahren zur Genüge beweisen. Das
ewige Schmollen und Unfreundlich-Thun hilft nirgendwo. Und sicher ist,
daß, wenn sich erst die commerciellen Verhältnisse etwas gebessert haben wer¬
den, — dann auch die alte Lebhaftigkeit und sprüchwörtliche Lebelustig¬
keit des elsässischen Volksstammes, die sich Heuer noch immer in Sack und
Asche verkriechen zu wollen scheint, nach und nach wiederkommt.

In der erstern Beziehung hört man allerdings seitens der Industriellen
von Zeit zu Zeit mürrische Klagen, die wenngleich zum Theil begründet,
keineswegs darin ihren Grund haben, daß das Elsaß jetzt unter deutscher
Herrschaft steht; sondern einfach in der allgemeinen geschäftlichen Misere, welche
augenblicklich den ganzen Continent belastet. Die deutsche Regierung thut


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/353>, abgerufen am 27.05.2024.