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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band.

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doch gewiß Alles, was in ihren Kräften steht, um den elsässischen Handel
wieder zu beleben und in sein altes Geleise zu bringen; sie eröffnet ihm allent¬
halben früher ungeahnte Absatzquellen und erweitert seinen Markt nach allen
Richtungen. Davon wissen die elsässischen Weinbauern ein Stückchen zu er¬
zählen, deren Producte jetzt doppelt so hoch bezahlt werden, als in franzö¬
sischer Zeit -. eben, weil sie damals weniger Absatz nach dem innern Frankreich
fanden, das den heimischen, feurigen Wein bei weitem dem elsässischen Ge¬
wächs vorzog, während dasselbe in Deutschland augenblicklich sehr gesucht
wird. In den meisten größern deutschen Städten findet man jetzt sogenannte
"Elsässer Tavernen" mit den obligaten weißgeschürzten Kellnern und den
niedlichen Schoppenflaschen, ein Unicum des Elsasses. Sollen doch selbst in
Berlin, der Metropole des deutschen Reiches, fliegende Trinkbuden errichtet
werden, in denen elsässischer Rebensaft als "Neichswein" per Glas an die
Spaziergänger verzapft wird -- aber nur echter! In dem oberelsässischen
Städtchen Nappoldsweiler ist seit Kurzem das Project der Eröffnung
eines Weinmarktes mit bedeckten Hallen zur Reife gediehen -- ein Project,
das unter französischer Aegide niemals rechten Anklang und kaum seinen zeit¬
gemäßen Ausdruck finden konnte. Colmar ist für dieses Jahr zum Con-
greßort sämmtlicher Weinproducenten Deutschlands erwählt worden. Dort
können die "Rebenmänner" denn schon ihr Wohl und Wehe ausschütten und
sagen und klagen, was ihnen auf dem Herzen und der Zunge liegt. Die
übrige Industrie muß sich aber einstweilen den allgemeinen Zeitverhältnissen
und Conjuncturen anbequemen, die auch in Frankreich augenblicklich nicht
besser sind, wie bei uns. Die Sehnsucht nach den alten Zuständen und die
Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen ist also bloß höchst individueller Natur -,
und selbst dem Besten der Sterblichen wollte es bisher nicht gelingen, es Allen
recht zu machen und alle Thränen zu trocknen. --

Die Kalenden des Februar haben uns übrigens wiederum eine recht
herzliche und wohlgemeinte Kälte gebracht. Seit dem 10. Februar zeigt der
hundertgradige Thermometer in der Nacht als Minimum 11--13 Grad und
am Tage als Maximum 3 -- ü Grad Kälte. Der Frühling hat uns- also
als luftiger Knab' im Januar einen Possen gespielt und die Rebleute zu früh
aus ihren Hütten hervorgelockt in die Weinberge zum Beschneiden der Reb¬
stöcke und sonstigen Arbeiten in den Weingärten. Verkaufte man doch schon
in den Straßen Belieben - Bouquets und Schneeglöckchen für ein Paar Sous
das Stück. Jetzt liegt wieder tiefer Schnee auf den Bergen, und ein eisig¬
kalter Wind pfeift durch die Straßen. Das ist das rechte Wetter für den
kühnen Waidmann, der es mit den Wildschweinen, Wölfen und Füchsen
unserer Vogesen aufnehmen will. Diese wilden Creaturen benutzen nämlich
gerade diese Zeit, um aus ihren Schlupfwinkeln und Höhlen in den Bergab-


doch gewiß Alles, was in ihren Kräften steht, um den elsässischen Handel
wieder zu beleben und in sein altes Geleise zu bringen; sie eröffnet ihm allent¬
halben früher ungeahnte Absatzquellen und erweitert seinen Markt nach allen
Richtungen. Davon wissen die elsässischen Weinbauern ein Stückchen zu er¬
zählen, deren Producte jetzt doppelt so hoch bezahlt werden, als in franzö¬
sischer Zeit -. eben, weil sie damals weniger Absatz nach dem innern Frankreich
fanden, das den heimischen, feurigen Wein bei weitem dem elsässischen Ge¬
wächs vorzog, während dasselbe in Deutschland augenblicklich sehr gesucht
wird. In den meisten größern deutschen Städten findet man jetzt sogenannte
„Elsässer Tavernen" mit den obligaten weißgeschürzten Kellnern und den
niedlichen Schoppenflaschen, ein Unicum des Elsasses. Sollen doch selbst in
Berlin, der Metropole des deutschen Reiches, fliegende Trinkbuden errichtet
werden, in denen elsässischer Rebensaft als „Neichswein" per Glas an die
Spaziergänger verzapft wird — aber nur echter! In dem oberelsässischen
Städtchen Nappoldsweiler ist seit Kurzem das Project der Eröffnung
eines Weinmarktes mit bedeckten Hallen zur Reife gediehen — ein Project,
das unter französischer Aegide niemals rechten Anklang und kaum seinen zeit¬
gemäßen Ausdruck finden konnte. Colmar ist für dieses Jahr zum Con-
greßort sämmtlicher Weinproducenten Deutschlands erwählt worden. Dort
können die „Rebenmänner" denn schon ihr Wohl und Wehe ausschütten und
sagen und klagen, was ihnen auf dem Herzen und der Zunge liegt. Die
übrige Industrie muß sich aber einstweilen den allgemeinen Zeitverhältnissen
und Conjuncturen anbequemen, die auch in Frankreich augenblicklich nicht
besser sind, wie bei uns. Die Sehnsucht nach den alten Zuständen und die
Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen ist also bloß höchst individueller Natur -,
und selbst dem Besten der Sterblichen wollte es bisher nicht gelingen, es Allen
recht zu machen und alle Thränen zu trocknen. —

Die Kalenden des Februar haben uns übrigens wiederum eine recht
herzliche und wohlgemeinte Kälte gebracht. Seit dem 10. Februar zeigt der
hundertgradige Thermometer in der Nacht als Minimum 11—13 Grad und
am Tage als Maximum 3 — ü Grad Kälte. Der Frühling hat uns- also
als luftiger Knab' im Januar einen Possen gespielt und die Rebleute zu früh
aus ihren Hütten hervorgelockt in die Weinberge zum Beschneiden der Reb¬
stöcke und sonstigen Arbeiten in den Weingärten. Verkaufte man doch schon
in den Straßen Belieben - Bouquets und Schneeglöckchen für ein Paar Sous
das Stück. Jetzt liegt wieder tiefer Schnee auf den Bergen, und ein eisig¬
kalter Wind pfeift durch die Straßen. Das ist das rechte Wetter für den
kühnen Waidmann, der es mit den Wildschweinen, Wölfen und Füchsen
unserer Vogesen aufnehmen will. Diese wilden Creaturen benutzen nämlich
gerade diese Zeit, um aus ihren Schlupfwinkeln und Höhlen in den Bergab-


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[0354] doch gewiß Alles, was in ihren Kräften steht, um den elsässischen Handel wieder zu beleben und in sein altes Geleise zu bringen; sie eröffnet ihm allent¬ halben früher ungeahnte Absatzquellen und erweitert seinen Markt nach allen Richtungen. Davon wissen die elsässischen Weinbauern ein Stückchen zu er¬ zählen, deren Producte jetzt doppelt so hoch bezahlt werden, als in franzö¬ sischer Zeit -. eben, weil sie damals weniger Absatz nach dem innern Frankreich fanden, das den heimischen, feurigen Wein bei weitem dem elsässischen Ge¬ wächs vorzog, während dasselbe in Deutschland augenblicklich sehr gesucht wird. In den meisten größern deutschen Städten findet man jetzt sogenannte „Elsässer Tavernen" mit den obligaten weißgeschürzten Kellnern und den niedlichen Schoppenflaschen, ein Unicum des Elsasses. Sollen doch selbst in Berlin, der Metropole des deutschen Reiches, fliegende Trinkbuden errichtet werden, in denen elsässischer Rebensaft als „Neichswein" per Glas an die Spaziergänger verzapft wird — aber nur echter! In dem oberelsässischen Städtchen Nappoldsweiler ist seit Kurzem das Project der Eröffnung eines Weinmarktes mit bedeckten Hallen zur Reife gediehen — ein Project, das unter französischer Aegide niemals rechten Anklang und kaum seinen zeit¬ gemäßen Ausdruck finden konnte. Colmar ist für dieses Jahr zum Con- greßort sämmtlicher Weinproducenten Deutschlands erwählt worden. Dort können die „Rebenmänner" denn schon ihr Wohl und Wehe ausschütten und sagen und klagen, was ihnen auf dem Herzen und der Zunge liegt. Die übrige Industrie muß sich aber einstweilen den allgemeinen Zeitverhältnissen und Conjuncturen anbequemen, die auch in Frankreich augenblicklich nicht besser sind, wie bei uns. Die Sehnsucht nach den alten Zuständen und die Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen ist also bloß höchst individueller Natur -, und selbst dem Besten der Sterblichen wollte es bisher nicht gelingen, es Allen recht zu machen und alle Thränen zu trocknen. — Die Kalenden des Februar haben uns übrigens wiederum eine recht herzliche und wohlgemeinte Kälte gebracht. Seit dem 10. Februar zeigt der hundertgradige Thermometer in der Nacht als Minimum 11—13 Grad und am Tage als Maximum 3 — ü Grad Kälte. Der Frühling hat uns- also als luftiger Knab' im Januar einen Possen gespielt und die Rebleute zu früh aus ihren Hütten hervorgelockt in die Weinberge zum Beschneiden der Reb¬ stöcke und sonstigen Arbeiten in den Weingärten. Verkaufte man doch schon in den Straßen Belieben - Bouquets und Schneeglöckchen für ein Paar Sous das Stück. Jetzt liegt wieder tiefer Schnee auf den Bergen, und ein eisig¬ kalter Wind pfeift durch die Straßen. Das ist das rechte Wetter für den kühnen Waidmann, der es mit den Wildschweinen, Wölfen und Füchsen unserer Vogesen aufnehmen will. Diese wilden Creaturen benutzen nämlich gerade diese Zeit, um aus ihren Schlupfwinkeln und Höhlen in den Bergab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134957/354>, abgerufen am 17.06.2024.