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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Musterstaat wollen wir Belgien nicht stören; aber da die Clerikalen, deren
Parteidisciplin so streng ist, die Regierung des Landes in der Hand haben,
so dürfen wir von dieser Regierung erwarten, daß sie ihre Priester von jeder
aufsetzenden Einmischung in unsere innern Kämpfe fernhält. Sie kann es,
sobald sie nur will. Nltramontane Manifestationen sind nicht der Ausdruck
individueller Freiheit, sondern sie erfolgen auf Anstiften oder unter Zulassung
der geistlichen Oberen, mit denen das Ministerium im besten Einvernehmen
steht. Die Berufung auf die "illustren Institutionen" Belgiens kann diesen
einfachen Sachverhalt nicht verhüllen.

Der Zusammenhang zwischen dem vatikanischen Concil und den Ein¬
flüssen, welche Napoleon III. in den Krieg trieben, ist geschichtlich ziemlich
festgestellt. Ob auch die Bulle <zuo<1 nun<ma>in und die gesteigerte Feindselig¬
keit der Ultramontanen aller Länder mit der Mobilmachung der 149 neuen fran¬
zösischen Feldbataillone im Zusammenhang steht, wird die Zukunft lehren.
Immer mehr enthüllt sich der politische Hintergrund unseres kirchlichen Kampfes
und je näher wir der weltgeschichtlichen Entscheidung rücken, desto mehr wird
die Führung jenes Kampfs von dem Leiter unserer Politik direct in die Hand
genommen. Von ihm stammt der Gedanke, bis an den Ausgangspunkt unse¬
rer verkehrten kirchenpolitischen Entwicklung zurückzugehen und jene Verfassungs¬
artikel aufzuheben, welche einst von den Clerikalen eingeschmuggelt wurden
und seitdem die staatsrechtliche Grundlage ihrer ungemessenen Ansprüche waren.
Gestützt aus den vieldeutigen Satz von der Selbstständigkeit der Kirche schleu¬
derten sie den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gegen jedes Specialgesetz,
welches die hierarchische Willkür beschränkte. Die Verfassungsurkunde diente
als Vorwand, um selbst vom bürgerlichen Standpunkt aus die Verweigerung
des Gehorsams gegen die Gesetze zu legitimiren. Dieser Vorwand wird jetzt
beseitigt; an die Stelle einer sophistisch ausgebeuteten Theorie treten die klaren
und deutlichen Vorschriften der positiven Gesetzgebung. Freilich das Rechts¬
verhältniß, wie es vor 18S0 zwischen Staat und Kirche bestand, lebt dadurch
nicht von selber wieder auf; ob der Verkehr zwischen dem Papst und den
Bischöfen und die Bekanntmachung kirchlicher Anordnungen künftig beschränkt,
ob das Ernennungs- und Bestätigungsrecht des Staats bei Besetzung kirch¬
licher Stellen wieder in Anspruch genommen werden soll, unterliegt der nun¬
mehr ungehemmten Entscheidung der gesetzgebenden Faktoren. In der Aende¬
rung der Verfassung liegt also der Antrieb zu einer gesteigerten legislativen
Thätigkeit. Das ist die Antwort auf den trotzigen Protest der Fuldaer Bischöfe.
Sie ist noch eindrucksvoller als die schneidige schriftliche Erwiderung "des Staats¬
ministeriums. Die Bildung von selbständigen Gemeindeorg an en zur
Verwaltung des lokalen Kirchenvermögens, oder wenn die Bischöfe die Wahlen
verhindern, die commissarische Verwaltung des Vermögens durch den Staat;


Musterstaat wollen wir Belgien nicht stören; aber da die Clerikalen, deren
Parteidisciplin so streng ist, die Regierung des Landes in der Hand haben,
so dürfen wir von dieser Regierung erwarten, daß sie ihre Priester von jeder
aufsetzenden Einmischung in unsere innern Kämpfe fernhält. Sie kann es,
sobald sie nur will. Nltramontane Manifestationen sind nicht der Ausdruck
individueller Freiheit, sondern sie erfolgen auf Anstiften oder unter Zulassung
der geistlichen Oberen, mit denen das Ministerium im besten Einvernehmen
steht. Die Berufung auf die „illustren Institutionen" Belgiens kann diesen
einfachen Sachverhalt nicht verhüllen.

Der Zusammenhang zwischen dem vatikanischen Concil und den Ein¬
flüssen, welche Napoleon III. in den Krieg trieben, ist geschichtlich ziemlich
festgestellt. Ob auch die Bulle <zuo<1 nun<ma>in und die gesteigerte Feindselig¬
keit der Ultramontanen aller Länder mit der Mobilmachung der 149 neuen fran¬
zösischen Feldbataillone im Zusammenhang steht, wird die Zukunft lehren.
Immer mehr enthüllt sich der politische Hintergrund unseres kirchlichen Kampfes
und je näher wir der weltgeschichtlichen Entscheidung rücken, desto mehr wird
die Führung jenes Kampfs von dem Leiter unserer Politik direct in die Hand
genommen. Von ihm stammt der Gedanke, bis an den Ausgangspunkt unse¬
rer verkehrten kirchenpolitischen Entwicklung zurückzugehen und jene Verfassungs¬
artikel aufzuheben, welche einst von den Clerikalen eingeschmuggelt wurden
und seitdem die staatsrechtliche Grundlage ihrer ungemessenen Ansprüche waren.
Gestützt aus den vieldeutigen Satz von der Selbstständigkeit der Kirche schleu¬
derten sie den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit gegen jedes Specialgesetz,
welches die hierarchische Willkür beschränkte. Die Verfassungsurkunde diente
als Vorwand, um selbst vom bürgerlichen Standpunkt aus die Verweigerung
des Gehorsams gegen die Gesetze zu legitimiren. Dieser Vorwand wird jetzt
beseitigt; an die Stelle einer sophistisch ausgebeuteten Theorie treten die klaren
und deutlichen Vorschriften der positiven Gesetzgebung. Freilich das Rechts¬
verhältniß, wie es vor 18S0 zwischen Staat und Kirche bestand, lebt dadurch
nicht von selber wieder auf; ob der Verkehr zwischen dem Papst und den
Bischöfen und die Bekanntmachung kirchlicher Anordnungen künftig beschränkt,
ob das Ernennungs- und Bestätigungsrecht des Staats bei Besetzung kirch¬
licher Stellen wieder in Anspruch genommen werden soll, unterliegt der nun¬
mehr ungehemmten Entscheidung der gesetzgebenden Faktoren. In der Aende¬
rung der Verfassung liegt also der Antrieb zu einer gesteigerten legislativen
Thätigkeit. Das ist die Antwort auf den trotzigen Protest der Fuldaer Bischöfe.
Sie ist noch eindrucksvoller als die schneidige schriftliche Erwiderung "des Staats¬
ministeriums. Die Bildung von selbständigen Gemeindeorg an en zur
Verwaltung des lokalen Kirchenvermögens, oder wenn die Bischöfe die Wahlen
verhindern, die commissarische Verwaltung des Vermögens durch den Staat;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/184>, abgerufen am 17.06.2024.