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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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heirathen findet -- sie will ihn, zum stillen Verdrusse des unheimlichen Henry
Ramee, eines andern Nachbars, der sie eifersüchtig auf Schritt und Tritt um¬
späht. Eines Nachts spät von einem Balle zurückgekehrt, wird Jenny von
ihrem Vater, einer der besten komischen Figuren unsers Dichters, geweckt, um
ihm bei der Unterhaltung mit einem vorüberreisenden Bekannten, der seine
Unbeholfenheit mit übermüthiger Laune behandelt, Gesellschaft zu leisten.
Jenny entspricht der Bitte des alten Herrn, der Uebermuth unten verwandelt
sich in Liebenswürdigkeit und diese durch einen Proceß, von dem wir hier nur
sagen können, daß er mit der höchsten Meisterschaft geschildert ist, binnen
wenigen" Stunden in Liebe, die Gegenliebe findet. Ridgeway, so heißt der
Reisende, muß endlich fort, um die Post zu treffen, die ein Stück vom Hause
durch den Wald geht. Jenny erbietet sich, ihn zu begleiten, damit er sich nicht
verirre. Beide wissen noch nicht klar, wie sie mit einander daran sind. Aber
die Natur draußen hilft und führt sie einander in die Arme.

"Es war eine wunderschöne Nacht. Der Mond stand tief am Himmel
und schmachtete sanft auf der schneeweißen Berglehne drüben. Seltsame Düfte
füllten die stille Luft, und wie ein wundersamer Weihrauch würzte es aus
den Wäldern her ihr junges Blut und schien es ihre Pulse zu berauschen. Kein
Wunder daher, daß sie nur zögernd die weiße Straße hinaufgingen, daß ihre Füße
den kleinen Hügel, wo sie sich trennen sollten, nur ungern erstiegen, und daß, als
sie zuletzt den Gipfel erreichten, sie selbst der tröstliche Segen der Rede verlassen
zu haben schien. Denn hier standen sie allein. Weder auf Erden, noch in den
Wäldern, noch vom Himmel her war ein Ton zu hören, eine Regung zu
sicher. Sie hätten der einzige Mann und das einzige Weib sein können,'für
welche diese herrliche Erde, die mit dem tiefsten Azurblau gerändert zu ihren
Füßen lag, erschaffen worden. Und als sie das sahen, kehrten sie sich mit
^ner plötzlichen Regung einander zu, und ihre Hände begegneten sich und dann
^)re Lippen in einem langen Kusse."

Jenny kehrt beim Herankommen der Post nach Hause zurück. Eine Weile
nachher sieht sie in der Morgendämmerung aus ihrem Kammerfenster, wie
Mann über den Gartenzaun unten zu steigen versucht, dieß aber nicht
^rmag und zuletzt umfällt. Plötzlich stürzt sie mit fliegenden Flechten hinun¬
ter und auf den Zaun zu. Der umgefallene Mann ist Ridgeway, der von
einem Messerstiche getroffen und mit Blut Übergossen vor ihren Füßen liegt.
Sie wirft sich auf ihn und fragt, was geschehen, wer es gethan.

"Ridgeway öffnete langsam seine blaugeäderten Augenlider und blickte
sie an. Bald darauf ging ein Blitz wie scherzende Bosheit über seine dunkeln
Augen, ein Lächeln stahl'sich über seine Lippen, als er leise die Worte flü¬
sterte: "Es -- war -- Dein Kuß -- der es that -- liebe Jenny! Ich


heirathen findet — sie will ihn, zum stillen Verdrusse des unheimlichen Henry
Ramee, eines andern Nachbars, der sie eifersüchtig auf Schritt und Tritt um¬
späht. Eines Nachts spät von einem Balle zurückgekehrt, wird Jenny von
ihrem Vater, einer der besten komischen Figuren unsers Dichters, geweckt, um
ihm bei der Unterhaltung mit einem vorüberreisenden Bekannten, der seine
Unbeholfenheit mit übermüthiger Laune behandelt, Gesellschaft zu leisten.
Jenny entspricht der Bitte des alten Herrn, der Uebermuth unten verwandelt
sich in Liebenswürdigkeit und diese durch einen Proceß, von dem wir hier nur
sagen können, daß er mit der höchsten Meisterschaft geschildert ist, binnen
wenigen" Stunden in Liebe, die Gegenliebe findet. Ridgeway, so heißt der
Reisende, muß endlich fort, um die Post zu treffen, die ein Stück vom Hause
durch den Wald geht. Jenny erbietet sich, ihn zu begleiten, damit er sich nicht
verirre. Beide wissen noch nicht klar, wie sie mit einander daran sind. Aber
die Natur draußen hilft und führt sie einander in die Arme.

„Es war eine wunderschöne Nacht. Der Mond stand tief am Himmel
und schmachtete sanft auf der schneeweißen Berglehne drüben. Seltsame Düfte
füllten die stille Luft, und wie ein wundersamer Weihrauch würzte es aus
den Wäldern her ihr junges Blut und schien es ihre Pulse zu berauschen. Kein
Wunder daher, daß sie nur zögernd die weiße Straße hinaufgingen, daß ihre Füße
den kleinen Hügel, wo sie sich trennen sollten, nur ungern erstiegen, und daß, als
sie zuletzt den Gipfel erreichten, sie selbst der tröstliche Segen der Rede verlassen
zu haben schien. Denn hier standen sie allein. Weder auf Erden, noch in den
Wäldern, noch vom Himmel her war ein Ton zu hören, eine Regung zu
sicher. Sie hätten der einzige Mann und das einzige Weib sein können,'für
welche diese herrliche Erde, die mit dem tiefsten Azurblau gerändert zu ihren
Füßen lag, erschaffen worden. Und als sie das sahen, kehrten sie sich mit
^ner plötzlichen Regung einander zu, und ihre Hände begegneten sich und dann
^)re Lippen in einem langen Kusse."

Jenny kehrt beim Herankommen der Post nach Hause zurück. Eine Weile
nachher sieht sie in der Morgendämmerung aus ihrem Kammerfenster, wie
Mann über den Gartenzaun unten zu steigen versucht, dieß aber nicht
^rmag und zuletzt umfällt. Plötzlich stürzt sie mit fliegenden Flechten hinun¬
ter und auf den Zaun zu. Der umgefallene Mann ist Ridgeway, der von
einem Messerstiche getroffen und mit Blut Übergossen vor ihren Füßen liegt.
Sie wirft sich auf ihn und fragt, was geschehen, wer es gethan.

»Ridgeway öffnete langsam seine blaugeäderten Augenlider und blickte
sie an. Bald darauf ging ein Blitz wie scherzende Bosheit über seine dunkeln
Augen, ein Lächeln stahl'sich über seine Lippen, als er leise die Worte flü¬
sterte: „Es — war — Dein Kuß — der es that — liebe Jenny! Ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/345>, abgerufen am 27.05.2024.