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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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hatte -- vergessen -- in wie hohem Werthe -- die Waare hier steht. -- Laß
Dich's nicht kümmern -- Jenny." Er zog schwach ihre Hand an seine wei¬
ßen Lippen. "Er ist -- nicht zu theuer bezahlt." Damit verließ ihn das
Bewußtsein."

Jenny trägt nun rasch entschlossen den Bewußtlosen ins Haus, wo er
sich allmälig erholt. Vergebens versucht sie von ihm Näheres über den
Thäter zu erfahren, von dem die Nachbarschaft meint, es sei ein Straßen¬
räuber gewesen. Sie pflegt den Verwundeten sorgfältig, als er aber außer
Gefahr ist, wird sie scheinbar kälter und ist viel außer dem Hause, um, wie
sie sagt, aus der freien Zeit bis zu ihrer Verheirathung noch möglichst viel
Vergnügen herauszuschlagen. Sie glaubt, daß ihr Vater sie nicht durchschaue,
aber er ahnt, was ihr fehlt, er beobachtet sie im Stillen und erkennt, daß
Ridgeway, der inzwischen während einer ihrer Ausflüge abgereist ist, ihr Herz
gewonnen hat, daß sie sich zum Entsagen zwingt, und daß ihre plötzlich er¬
wachte Vergnügungssucht Schein und nur auf Betäubung ihrer leidenden
Seele berechnet ist. Eine Weile geht er tiefsinnig umher, endlich weiß er, wie
ihr zu helfen. Bei jedermann gilt Jenny als seine leibliche Tochter von seiner
verstorbenen Frau. Auch Jenny weiß das nicht anders. Sie ist aber in
Wahrheit das mitgebrachte Kind dieser Frau, und letztere ist nicht gestorben,
sondern ihm, als er noch in Missoury wohnte, mit einem Kunstreiter davon¬
gelaufen und treibt sich jetzt in Californien als Seiltänzerin herum. Mit
diesem Geheimniß macht der alte Herr, indem er es dem Bräutigam, einem
stolzen Kentuckier, mittheilt, die Verlobung rückgängig. Jener Rance über¬
bringt Jenny den Absagebrief, der die Auflösung des Verhältnisses auf den
Wunsch ihres Vaters nur damit motivirt, daß der Bräutigam "etwas erfahren
habe". Rance ist nun im Begriffe, sich selbst um Jenny, die jetzt meint,
daß dieses "etwas" der Kuß gewesen, und daß der Bräutigam Ridgeway
verwundet habe, zu bewerben, als Ridgeway dazu kommt und dem Versuch
ein Ende macht, indem er erklärt, mit diesem Menschen nicht in einem Zim¬
mer sein zu wollen. Ein Kampf will sich entspinnen, aber Jenny tritt da¬
zwischen. Ridgeway geht hinweg, Rance glaubt, das Spiel gewonnen zu
haben, zumal als Jenny ihn auf den Abend in den Garten bestellt, um ihm
die Antwort aus seine Werbung zu ertheilen. Er erwartet sie, und sie kommt
wirklich -- in demselben Kleide, das sie getragen, als sie den verwundeten
Ridgeway gefunden hat. Er bittet sie, aus dem Mondschein weg zu treten,
sie weigert sich und zieht kalt die Hand zurück, die er ihr darbietet.

"Sie zitterte einen Augenblick, wie wenn ein Schauder sie durchbebte, dann
wendete sie sich Plötzlich ihm zu und sagte: "Halten Sie Ihren Kopf empor
und lassen Sie mich Ihnen ins Gesicht blicken. Ich habe bis jetzt blos
gewußt, was Männer sind, lassen Sie mich jetzt auch sehen, wie ein Schurke


hatte — vergessen — in wie hohem Werthe — die Waare hier steht. — Laß
Dich's nicht kümmern — Jenny." Er zog schwach ihre Hand an seine wei¬
ßen Lippen. „Er ist — nicht zu theuer bezahlt." Damit verließ ihn das
Bewußtsein."

Jenny trägt nun rasch entschlossen den Bewußtlosen ins Haus, wo er
sich allmälig erholt. Vergebens versucht sie von ihm Näheres über den
Thäter zu erfahren, von dem die Nachbarschaft meint, es sei ein Straßen¬
räuber gewesen. Sie pflegt den Verwundeten sorgfältig, als er aber außer
Gefahr ist, wird sie scheinbar kälter und ist viel außer dem Hause, um, wie
sie sagt, aus der freien Zeit bis zu ihrer Verheirathung noch möglichst viel
Vergnügen herauszuschlagen. Sie glaubt, daß ihr Vater sie nicht durchschaue,
aber er ahnt, was ihr fehlt, er beobachtet sie im Stillen und erkennt, daß
Ridgeway, der inzwischen während einer ihrer Ausflüge abgereist ist, ihr Herz
gewonnen hat, daß sie sich zum Entsagen zwingt, und daß ihre plötzlich er¬
wachte Vergnügungssucht Schein und nur auf Betäubung ihrer leidenden
Seele berechnet ist. Eine Weile geht er tiefsinnig umher, endlich weiß er, wie
ihr zu helfen. Bei jedermann gilt Jenny als seine leibliche Tochter von seiner
verstorbenen Frau. Auch Jenny weiß das nicht anders. Sie ist aber in
Wahrheit das mitgebrachte Kind dieser Frau, und letztere ist nicht gestorben,
sondern ihm, als er noch in Missoury wohnte, mit einem Kunstreiter davon¬
gelaufen und treibt sich jetzt in Californien als Seiltänzerin herum. Mit
diesem Geheimniß macht der alte Herr, indem er es dem Bräutigam, einem
stolzen Kentuckier, mittheilt, die Verlobung rückgängig. Jener Rance über¬
bringt Jenny den Absagebrief, der die Auflösung des Verhältnisses auf den
Wunsch ihres Vaters nur damit motivirt, daß der Bräutigam „etwas erfahren
habe". Rance ist nun im Begriffe, sich selbst um Jenny, die jetzt meint,
daß dieses „etwas" der Kuß gewesen, und daß der Bräutigam Ridgeway
verwundet habe, zu bewerben, als Ridgeway dazu kommt und dem Versuch
ein Ende macht, indem er erklärt, mit diesem Menschen nicht in einem Zim¬
mer sein zu wollen. Ein Kampf will sich entspinnen, aber Jenny tritt da¬
zwischen. Ridgeway geht hinweg, Rance glaubt, das Spiel gewonnen zu
haben, zumal als Jenny ihn auf den Abend in den Garten bestellt, um ihm
die Antwort aus seine Werbung zu ertheilen. Er erwartet sie, und sie kommt
wirklich — in demselben Kleide, das sie getragen, als sie den verwundeten
Ridgeway gefunden hat. Er bittet sie, aus dem Mondschein weg zu treten,
sie weigert sich und zieht kalt die Hand zurück, die er ihr darbietet.

„Sie zitterte einen Augenblick, wie wenn ein Schauder sie durchbebte, dann
wendete sie sich Plötzlich ihm zu und sagte: „Halten Sie Ihren Kopf empor
und lassen Sie mich Ihnen ins Gesicht blicken. Ich habe bis jetzt blos
gewußt, was Männer sind, lassen Sie mich jetzt auch sehen, wie ein Schurke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/346>, abgerufen am 17.06.2024.