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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Hatte er auch bei diesem Werke dem deutschen Geiste so viel als möglich
nachgegeben, so daß er zum Beispiel nicht in jüdischer Weise nach Jahren,
sondern nach Wintern zählte, nicht von dem Feste der Neumonde, sondern
der Vollmonde sprach, statt des Kreuzes den deutschen Galgen und die Ele¬
mente der Welt Stäbe der Runenschrift nannte, so folgte er doch andrerseits
auch nicht dem Beispiel mancher Kirchenlehrer, die ihre theologische Ansicht
eher in die Bibel hineintrugen als daraus schöpften. Seinem Arianismus
gestattete er, etwa abgesehen von einer einzigen Stelle"), keinen Einfluß auf
den gothischen Wortlaut. In seiner gewissenhaften Sorgsamkeit überlieferte
er den Gothen das unverfälschte Wort Gottes und wurde dadurch der ver¬
dienteste und verehrteste Wohlthäter derselben. Mit Bewunderung betrachten
wir die durch das Alterthum geheiligten Reste seines Werkes, an denen die
Fluth der Zeit sich brach und die im Schutze der deutschen Völker nun für
immer vor Untergang gesichert sind.

Mit diesem Werke des Ulfilas steht ein anderes von ebenso hoher Be¬
deutung in Zusammenhang. Während in den folgenden Jahrhunderten des
Mittelalters die germanischen Stämme des Westens mit den gottesdienstlichen
Einrichtungen auch die Sprache, das ihnen unverständliche Latein, aus Rom
empfingen und in Folge dessen ihre Frömmigkeit im äußeren Thun erstarren
mußte, richtete Ulfilas einen kirchlichen Cultus in seiner Sprache ein. Die
Bestandtheile desselben, wie die Formeln für die heiligen Handlungen, stellte
er in heimischer Rede her und wurde nicht müde durch häufige Predigt die
Seinigen zu erschüttern und zu erheben. Doch suchte er nicht nur durch das
Wort auf die große Menge, sondern auch durch lateinische, griechische und
gothische Schriften auf den engeren Kreis seiner Schüler zu wirken. Leider
ist nichts derart auf uns gekommen und die Fragmente einer gothischen Er¬
klärung des Johannesevangeliums in der ambrosianischen Bibliothek zu Mai¬
land und der vaticanischen zu Rom gehören einer späteren Zeit an."*) Obgleich
aber die literarische Thätigkeit des unermüdlichen Mannes von staunens¬
werthen Umfang war, so dürfen wir doch nicht meinen, daß er dieselbe
nur unterbrochen habe, um die Jugend zu unterrichten und Gottesdienst ab¬
zuhalten.

Im Jahre 360 veranstalteten die strengen Arianer, welche durch kluge
Benutzung der Umstände und durch vorsichtige Ausdrücke den Kaiser Con-
stantius für sich gewonnen hatten, zu Konstantinopel eine Synode ab, durch
die sie ihren Sieg über die anderen Parteien zu befestigen gedachten. Alle
anderen Anhänger ihrer Glaubensrichtung wurden deshalb herbeigezogen und




") Philipper 2,6 galoika ähnlich griech. !<r" gleich.
") Die Vermuthung Krafft's: ve tovtibus MMi>,o "rikmismi, der dem Ulfilas einen lat.
Commenrar zu Lucas zuschreibt, S. 16, siehe auch S. 17. 18, ist doch zu kühn.

Hatte er auch bei diesem Werke dem deutschen Geiste so viel als möglich
nachgegeben, so daß er zum Beispiel nicht in jüdischer Weise nach Jahren,
sondern nach Wintern zählte, nicht von dem Feste der Neumonde, sondern
der Vollmonde sprach, statt des Kreuzes den deutschen Galgen und die Ele¬
mente der Welt Stäbe der Runenschrift nannte, so folgte er doch andrerseits
auch nicht dem Beispiel mancher Kirchenlehrer, die ihre theologische Ansicht
eher in die Bibel hineintrugen als daraus schöpften. Seinem Arianismus
gestattete er, etwa abgesehen von einer einzigen Stelle"), keinen Einfluß auf
den gothischen Wortlaut. In seiner gewissenhaften Sorgsamkeit überlieferte
er den Gothen das unverfälschte Wort Gottes und wurde dadurch der ver¬
dienteste und verehrteste Wohlthäter derselben. Mit Bewunderung betrachten
wir die durch das Alterthum geheiligten Reste seines Werkes, an denen die
Fluth der Zeit sich brach und die im Schutze der deutschen Völker nun für
immer vor Untergang gesichert sind.

Mit diesem Werke des Ulfilas steht ein anderes von ebenso hoher Be¬
deutung in Zusammenhang. Während in den folgenden Jahrhunderten des
Mittelalters die germanischen Stämme des Westens mit den gottesdienstlichen
Einrichtungen auch die Sprache, das ihnen unverständliche Latein, aus Rom
empfingen und in Folge dessen ihre Frömmigkeit im äußeren Thun erstarren
mußte, richtete Ulfilas einen kirchlichen Cultus in seiner Sprache ein. Die
Bestandtheile desselben, wie die Formeln für die heiligen Handlungen, stellte
er in heimischer Rede her und wurde nicht müde durch häufige Predigt die
Seinigen zu erschüttern und zu erheben. Doch suchte er nicht nur durch das
Wort auf die große Menge, sondern auch durch lateinische, griechische und
gothische Schriften auf den engeren Kreis seiner Schüler zu wirken. Leider
ist nichts derart auf uns gekommen und die Fragmente einer gothischen Er¬
klärung des Johannesevangeliums in der ambrosianischen Bibliothek zu Mai¬
land und der vaticanischen zu Rom gehören einer späteren Zeit an."*) Obgleich
aber die literarische Thätigkeit des unermüdlichen Mannes von staunens¬
werthen Umfang war, so dürfen wir doch nicht meinen, daß er dieselbe
nur unterbrochen habe, um die Jugend zu unterrichten und Gottesdienst ab¬
zuhalten.

Im Jahre 360 veranstalteten die strengen Arianer, welche durch kluge
Benutzung der Umstände und durch vorsichtige Ausdrücke den Kaiser Con-
stantius für sich gewonnen hatten, zu Konstantinopel eine Synode ab, durch
die sie ihren Sieg über die anderen Parteien zu befestigen gedachten. Alle
anderen Anhänger ihrer Glaubensrichtung wurden deshalb herbeigezogen und




") Philipper 2,6 galoika ähnlich griech. !<r» gleich.
") Die Vermuthung Krafft's: ve tovtibus MMi>,o »rikmismi, der dem Ulfilas einen lat.
Commenrar zu Lucas zuschreibt, S. 16, siehe auch S. 17. 18, ist doch zu kühn.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/16>, abgerufen am 18.05.2024.