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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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mehr polnischen Charakter, sämmtlich königlicher Collatur und katholischer
Confession, unter überwiegend katholischer und polnischer Bevölkerung gele¬
gen, nämlich Kulm, Konitz, Deutsch-Crome und Neustadt. Bon diesen er¬
schienen besonders die beiden erstgenannten lange Zeit als überwiegend pol¬
nische Anstalten; jetzt freilich hat sich dieser Charakter sehr modificirt. In
Kulm 1837 ausdrücklich für die Districte polnischer Zunge gestiftet"), wurde
der (katholische) Religionsunterricht in beiden Sprachen ertheilt bis auf die
Verfügung von 1872. seitdem nur deutsch mit Ausnahme der VI. und V.
Wo bis Michaelis 1875 das^Polnische gestattet ist**). Dem Polnischen selbst
sind jetzt als facultativen Fache in jeder Classe 2 Stunden gewidmet, auch
eine polnische Schülerbibliothek ist vorhanden, dagegen war der Jahresbericht
1874 nur deutsch abgefaßt. Ganz ähnlich erscheinen die Verhältnisse in Konitz.
nur daß hier die sprachliche Trennung des Religionsunterrichts stets auf die
Sexta sich beschränkt hat. Wie überwiegend hier die Schüler polnischer Na¬
tionalität sein müssen, läßt sich u. a. daraus erkennen, daß in der Vorelasfe
11 Stunden wöchentlich aus deutschen Sprachunterricht verwandt werden.
Dagegen betreibt das wesentlich deutsche Gymnasium Deutsch-Crome wie Neu-
stadt das Polnische nur in 3 Abtheilungen mit je 2 Stunden; beide An¬
stalten fördern ihre Schüler bis zur Fertigung polnischer Aufsätze (in Neustadt
wurde ein solcher noch 1873 von den Abiturienten verlangt), aber in beiden
gilt jetzt das Polnische als facultativ. und erscheint der Jahresbericht aus¬
schließlich in deutscher Form. Doch besteht in Neustadt eine polnische Schü-
erbibliothek ***).

Noch mehr tritt in den oft preußischen Schulen der fremdsprachliche
Charakter zurück. Allerdings ist die Landschaft ganz überwiegend deutsch,
doch zieht sich im Süden ein breiter Gürtel polnischen Gebietes hin (Masuren)
und im Nordosten reichen die Litthauer bis über die Memel herein. Allein
bei der niedrigen Culturstufe des einen wie des andern Stammes ist hier
gewiß das Bedürfniß nach höherer Bildung so gering, daß der Cötus der
Gymnasien sich von dorther sicherlich sehr wenig rekrutirt, selbst in solchen
deutschen Städten, die von fremdem Sprachgebiet umschlossen sind. Als be¬
deutsames Moment kommt noch hinzu, daß die polnischen Masuren evange¬
lisch sind, also den protestantischen Deutschen weniger fremd gegenüberstehen,
als ihre katholischen Landsleute in Westpreußen oder Posen. Es ist deshalb
erklärlich, wenn von den 13 Gymnasien der Regierungsbezirke Königsberg
und Gumbinnen gegenwärtig nur ein einziges das Polnische in seinen Lehr¬
plan aufgenommen hat, nämlich das königliche katholische Gymnasium zu





") Wiese I. 78.
Wiese III. 107.
Wiese II. "02.

mehr polnischen Charakter, sämmtlich königlicher Collatur und katholischer
Confession, unter überwiegend katholischer und polnischer Bevölkerung gele¬
gen, nämlich Kulm, Konitz, Deutsch-Crome und Neustadt. Bon diesen er¬
schienen besonders die beiden erstgenannten lange Zeit als überwiegend pol¬
nische Anstalten; jetzt freilich hat sich dieser Charakter sehr modificirt. In
Kulm 1837 ausdrücklich für die Districte polnischer Zunge gestiftet"), wurde
der (katholische) Religionsunterricht in beiden Sprachen ertheilt bis auf die
Verfügung von 1872. seitdem nur deutsch mit Ausnahme der VI. und V.
Wo bis Michaelis 1875 das^Polnische gestattet ist**). Dem Polnischen selbst
sind jetzt als facultativen Fache in jeder Classe 2 Stunden gewidmet, auch
eine polnische Schülerbibliothek ist vorhanden, dagegen war der Jahresbericht
1874 nur deutsch abgefaßt. Ganz ähnlich erscheinen die Verhältnisse in Konitz.
nur daß hier die sprachliche Trennung des Religionsunterrichts stets auf die
Sexta sich beschränkt hat. Wie überwiegend hier die Schüler polnischer Na¬
tionalität sein müssen, läßt sich u. a. daraus erkennen, daß in der Vorelasfe
11 Stunden wöchentlich aus deutschen Sprachunterricht verwandt werden.
Dagegen betreibt das wesentlich deutsche Gymnasium Deutsch-Crome wie Neu-
stadt das Polnische nur in 3 Abtheilungen mit je 2 Stunden; beide An¬
stalten fördern ihre Schüler bis zur Fertigung polnischer Aufsätze (in Neustadt
wurde ein solcher noch 1873 von den Abiturienten verlangt), aber in beiden
gilt jetzt das Polnische als facultativ. und erscheint der Jahresbericht aus¬
schließlich in deutscher Form. Doch besteht in Neustadt eine polnische Schü-
erbibliothek ***).

Noch mehr tritt in den oft preußischen Schulen der fremdsprachliche
Charakter zurück. Allerdings ist die Landschaft ganz überwiegend deutsch,
doch zieht sich im Süden ein breiter Gürtel polnischen Gebietes hin (Masuren)
und im Nordosten reichen die Litthauer bis über die Memel herein. Allein
bei der niedrigen Culturstufe des einen wie des andern Stammes ist hier
gewiß das Bedürfniß nach höherer Bildung so gering, daß der Cötus der
Gymnasien sich von dorther sicherlich sehr wenig rekrutirt, selbst in solchen
deutschen Städten, die von fremdem Sprachgebiet umschlossen sind. Als be¬
deutsames Moment kommt noch hinzu, daß die polnischen Masuren evange¬
lisch sind, also den protestantischen Deutschen weniger fremd gegenüberstehen,
als ihre katholischen Landsleute in Westpreußen oder Posen. Es ist deshalb
erklärlich, wenn von den 13 Gymnasien der Regierungsbezirke Königsberg
und Gumbinnen gegenwärtig nur ein einziges das Polnische in seinen Lehr¬
plan aufgenommen hat, nämlich das königliche katholische Gymnasium zu





") Wiese I. 78.
Wiese III. 107.
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[0031] mehr polnischen Charakter, sämmtlich königlicher Collatur und katholischer Confession, unter überwiegend katholischer und polnischer Bevölkerung gele¬ gen, nämlich Kulm, Konitz, Deutsch-Crome und Neustadt. Bon diesen er¬ schienen besonders die beiden erstgenannten lange Zeit als überwiegend pol¬ nische Anstalten; jetzt freilich hat sich dieser Charakter sehr modificirt. In Kulm 1837 ausdrücklich für die Districte polnischer Zunge gestiftet"), wurde der (katholische) Religionsunterricht in beiden Sprachen ertheilt bis auf die Verfügung von 1872. seitdem nur deutsch mit Ausnahme der VI. und V. Wo bis Michaelis 1875 das^Polnische gestattet ist**). Dem Polnischen selbst sind jetzt als facultativen Fache in jeder Classe 2 Stunden gewidmet, auch eine polnische Schülerbibliothek ist vorhanden, dagegen war der Jahresbericht 1874 nur deutsch abgefaßt. Ganz ähnlich erscheinen die Verhältnisse in Konitz. nur daß hier die sprachliche Trennung des Religionsunterrichts stets auf die Sexta sich beschränkt hat. Wie überwiegend hier die Schüler polnischer Na¬ tionalität sein müssen, läßt sich u. a. daraus erkennen, daß in der Vorelasfe 11 Stunden wöchentlich aus deutschen Sprachunterricht verwandt werden. Dagegen betreibt das wesentlich deutsche Gymnasium Deutsch-Crome wie Neu- stadt das Polnische nur in 3 Abtheilungen mit je 2 Stunden; beide An¬ stalten fördern ihre Schüler bis zur Fertigung polnischer Aufsätze (in Neustadt wurde ein solcher noch 1873 von den Abiturienten verlangt), aber in beiden gilt jetzt das Polnische als facultativ. und erscheint der Jahresbericht aus¬ schließlich in deutscher Form. Doch besteht in Neustadt eine polnische Schü- erbibliothek ***). Noch mehr tritt in den oft preußischen Schulen der fremdsprachliche Charakter zurück. Allerdings ist die Landschaft ganz überwiegend deutsch, doch zieht sich im Süden ein breiter Gürtel polnischen Gebietes hin (Masuren) und im Nordosten reichen die Litthauer bis über die Memel herein. Allein bei der niedrigen Culturstufe des einen wie des andern Stammes ist hier gewiß das Bedürfniß nach höherer Bildung so gering, daß der Cötus der Gymnasien sich von dorther sicherlich sehr wenig rekrutirt, selbst in solchen deutschen Städten, die von fremdem Sprachgebiet umschlossen sind. Als be¬ deutsames Moment kommt noch hinzu, daß die polnischen Masuren evange¬ lisch sind, also den protestantischen Deutschen weniger fremd gegenüberstehen, als ihre katholischen Landsleute in Westpreußen oder Posen. Es ist deshalb erklärlich, wenn von den 13 Gymnasien der Regierungsbezirke Königsberg und Gumbinnen gegenwärtig nur ein einziges das Polnische in seinen Lehr¬ plan aufgenommen hat, nämlich das königliche katholische Gymnasium zu ") Wiese I. 78. Wiese III. 107. Wiese II. »02.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/31>, abgerufen am 24.05.2024.