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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Braunsberg und auch dies nicht mit Rücksicht auf die sprachlichen Bedürfnisse
der nächsten Umgebung -- denn Ermland ist durchaus deutsch -- sondern
wesentlich im Hinblick auf die Ausbildung katholischer Theologen für pol¬
nische Striche, denn für die Zöglinge des katholischen Priesterseminars, dessen
Fortexistenz übrigens jetzt zweifelhaft geworden, ist der in 2 Abtheilungen zu
2 Stunden ertheilte polnische Sprachunterricht obligatorisch. *) Zu Rastenburg,
dicht an der polnischen Sprachgrenze, ist nur bis etwa 1820 das Polnische
facultativ gelehrt worden, aber selbst die beiden Gymnasien, welche auf deut¬
scher Sprachinsel mitten in Masuren zu Hohenstein und Lyck bestehen, und
beide königlich und evangelisch sind, schließen das Polnische als besonderen
Unterrichtsgegenstand aus.**) Dagegen bildet das königliche evangelische
Gymnasium im altlitthauischen Tilsit eine merkwürdige Specialität. Hier
besteht seit 1807, wo dieser deutsch-litthauische Winkel die letzte Zuflucht des
preußischen Königspaares wurde, eine königliche Stiftung für Schüler li¬
thauischer Zunge***), und wird deshalb für diese, mit Rücksicht namentlich auf
künftige Theologen, in 4 Stunden Litthauisch gelehrt, bis zur Fertigkeit im
schriftlichen Gebrauch, sicherlich ein Beweis für die schonende Rücksicht, mit
welcher der preußische Staat nicht-deutscher Bevölkerung gegenüber zu ver¬
fahren pflegt.

Die nächste in Betracht kommende Landschaft ist Schlesien. Dies alt¬
polnische Gebiet, die schwerste Eroberung Preußens, kann aber nur noch in
ihrem südlichsten Theile, im Regierungsbezirk Oppeln, als zwiesprachig ^gelten.
Hier überwiegt allerdings bei weitem das polnische Element, obwohl auch
hier die Städte deutschen Charakter tragen, und findet seine stärkste Stütze
in seinem katholischen Bekenntniß oder vielmehr in seiner Priesterschaft. Zu
den Polen gesellt hier sich noch ein schwacher Bruchtheil tschechischer Bevölkerung
südlich von Ratibor. Im Regierungsbezirk Breslau sind nur einige an
Posen grenzende Striche polnisch, doch wohnen auch hier Tschechen um Codowa
in der Grafschaft Glatz. Dagegen hat der Regierungsbezirk Liegnitz, wenn
man von den erst 1815 damit verbundenen Theilen der Oberlausitz absieht,
rein deutschen Charakter.





') Wiese, Gesetze und Verordnungen I. 303.
-
) Nach Wiese, Höheres Schulwesen III. 107 wird sür die künftigen evangelischen Theo¬
logen zu Lyck polnischer Unterricht ertheilt, im Programm von 1874 ist davon aber keine
Rede.
Wiese, a. a. O. I. 63. II. 8S. 97. In den lithauischen Volksschulen wird auf der
Unterstufe und bis die Kinder deutsch zu verstehen im Stande sind, der Religionsunterricht in
litthauischer Sprache gegeben, auf der Oberstufe Anleitung zum Lesen und Schreiben des Lit¬
thauischen ertheilt. Früher hatte das Litthauische eine g'ößere Ausdehnung als Unterrichtssprache.
Der gegenwärtige Zustand beruht auf einer Verfügung des Oberpräsidiums der Provinz Preußen
24. Juli 1873. S. Schulgesetzsammlung III. Ur. 28.

Braunsberg und auch dies nicht mit Rücksicht auf die sprachlichen Bedürfnisse
der nächsten Umgebung — denn Ermland ist durchaus deutsch — sondern
wesentlich im Hinblick auf die Ausbildung katholischer Theologen für pol¬
nische Striche, denn für die Zöglinge des katholischen Priesterseminars, dessen
Fortexistenz übrigens jetzt zweifelhaft geworden, ist der in 2 Abtheilungen zu
2 Stunden ertheilte polnische Sprachunterricht obligatorisch. *) Zu Rastenburg,
dicht an der polnischen Sprachgrenze, ist nur bis etwa 1820 das Polnische
facultativ gelehrt worden, aber selbst die beiden Gymnasien, welche auf deut¬
scher Sprachinsel mitten in Masuren zu Hohenstein und Lyck bestehen, und
beide königlich und evangelisch sind, schließen das Polnische als besonderen
Unterrichtsgegenstand aus.**) Dagegen bildet das königliche evangelische
Gymnasium im altlitthauischen Tilsit eine merkwürdige Specialität. Hier
besteht seit 1807, wo dieser deutsch-litthauische Winkel die letzte Zuflucht des
preußischen Königspaares wurde, eine königliche Stiftung für Schüler li¬
thauischer Zunge***), und wird deshalb für diese, mit Rücksicht namentlich auf
künftige Theologen, in 4 Stunden Litthauisch gelehrt, bis zur Fertigkeit im
schriftlichen Gebrauch, sicherlich ein Beweis für die schonende Rücksicht, mit
welcher der preußische Staat nicht-deutscher Bevölkerung gegenüber zu ver¬
fahren pflegt.

Die nächste in Betracht kommende Landschaft ist Schlesien. Dies alt¬
polnische Gebiet, die schwerste Eroberung Preußens, kann aber nur noch in
ihrem südlichsten Theile, im Regierungsbezirk Oppeln, als zwiesprachig ^gelten.
Hier überwiegt allerdings bei weitem das polnische Element, obwohl auch
hier die Städte deutschen Charakter tragen, und findet seine stärkste Stütze
in seinem katholischen Bekenntniß oder vielmehr in seiner Priesterschaft. Zu
den Polen gesellt hier sich noch ein schwacher Bruchtheil tschechischer Bevölkerung
südlich von Ratibor. Im Regierungsbezirk Breslau sind nur einige an
Posen grenzende Striche polnisch, doch wohnen auch hier Tschechen um Codowa
in der Grafschaft Glatz. Dagegen hat der Regierungsbezirk Liegnitz, wenn
man von den erst 1815 damit verbundenen Theilen der Oberlausitz absieht,
rein deutschen Charakter.





') Wiese, Gesetze und Verordnungen I. 303.
-
) Nach Wiese, Höheres Schulwesen III. 107 wird sür die künftigen evangelischen Theo¬
logen zu Lyck polnischer Unterricht ertheilt, im Programm von 1874 ist davon aber keine
Rede.
Wiese, a. a. O. I. 63. II. 8S. 97. In den lithauischen Volksschulen wird auf der
Unterstufe und bis die Kinder deutsch zu verstehen im Stande sind, der Religionsunterricht in
litthauischer Sprache gegeben, auf der Oberstufe Anleitung zum Lesen und Schreiben des Lit¬
thauischen ertheilt. Früher hatte das Litthauische eine g'ößere Ausdehnung als Unterrichtssprache.
Der gegenwärtige Zustand beruht auf einer Verfügung des Oberpräsidiums der Provinz Preußen
24. Juli 1873. S. Schulgesetzsammlung III. Ur. 28.
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[0032] Braunsberg und auch dies nicht mit Rücksicht auf die sprachlichen Bedürfnisse der nächsten Umgebung — denn Ermland ist durchaus deutsch — sondern wesentlich im Hinblick auf die Ausbildung katholischer Theologen für pol¬ nische Striche, denn für die Zöglinge des katholischen Priesterseminars, dessen Fortexistenz übrigens jetzt zweifelhaft geworden, ist der in 2 Abtheilungen zu 2 Stunden ertheilte polnische Sprachunterricht obligatorisch. *) Zu Rastenburg, dicht an der polnischen Sprachgrenze, ist nur bis etwa 1820 das Polnische facultativ gelehrt worden, aber selbst die beiden Gymnasien, welche auf deut¬ scher Sprachinsel mitten in Masuren zu Hohenstein und Lyck bestehen, und beide königlich und evangelisch sind, schließen das Polnische als besonderen Unterrichtsgegenstand aus.**) Dagegen bildet das königliche evangelische Gymnasium im altlitthauischen Tilsit eine merkwürdige Specialität. Hier besteht seit 1807, wo dieser deutsch-litthauische Winkel die letzte Zuflucht des preußischen Königspaares wurde, eine königliche Stiftung für Schüler li¬ thauischer Zunge***), und wird deshalb für diese, mit Rücksicht namentlich auf künftige Theologen, in 4 Stunden Litthauisch gelehrt, bis zur Fertigkeit im schriftlichen Gebrauch, sicherlich ein Beweis für die schonende Rücksicht, mit welcher der preußische Staat nicht-deutscher Bevölkerung gegenüber zu ver¬ fahren pflegt. Die nächste in Betracht kommende Landschaft ist Schlesien. Dies alt¬ polnische Gebiet, die schwerste Eroberung Preußens, kann aber nur noch in ihrem südlichsten Theile, im Regierungsbezirk Oppeln, als zwiesprachig ^gelten. Hier überwiegt allerdings bei weitem das polnische Element, obwohl auch hier die Städte deutschen Charakter tragen, und findet seine stärkste Stütze in seinem katholischen Bekenntniß oder vielmehr in seiner Priesterschaft. Zu den Polen gesellt hier sich noch ein schwacher Bruchtheil tschechischer Bevölkerung südlich von Ratibor. Im Regierungsbezirk Breslau sind nur einige an Posen grenzende Striche polnisch, doch wohnen auch hier Tschechen um Codowa in der Grafschaft Glatz. Dagegen hat der Regierungsbezirk Liegnitz, wenn man von den erst 1815 damit verbundenen Theilen der Oberlausitz absieht, rein deutschen Charakter. ') Wiese, Gesetze und Verordnungen I. 303. - ) Nach Wiese, Höheres Schulwesen III. 107 wird sür die künftigen evangelischen Theo¬ logen zu Lyck polnischer Unterricht ertheilt, im Programm von 1874 ist davon aber keine Rede. Wiese, a. a. O. I. 63. II. 8S. 97. In den lithauischen Volksschulen wird auf der Unterstufe und bis die Kinder deutsch zu verstehen im Stande sind, der Religionsunterricht in litthauischer Sprache gegeben, auf der Oberstufe Anleitung zum Lesen und Schreiben des Lit¬ thauischen ertheilt. Früher hatte das Litthauische eine g'ößere Ausdehnung als Unterrichtssprache. Der gegenwärtige Zustand beruht auf einer Verfügung des Oberpräsidiums der Provinz Preußen 24. Juli 1873. S. Schulgesetzsammlung III. Ur. 28.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/32>, abgerufen am 18.05.2024.