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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Zwischen dieser Rede und der Delbrück'schen lag ein Präludium zu der Richter'schen,
vorgetragen von Herrn Nickert-Danzig, und eine ultramontane Kritik der
Regierungsvorlage durch Herrn v. Schorlemer-Alse. Auf die Richter'sche Rede
folgte, wie üblich, der preußische Finanzminister Camphausen in seiner Eigen-
schaft als Bevollmächtigter zum Bundesrath. Auf diesen folgte Herr v. Kar-
dorff mit einer vom Reichstag sehr abgünsttg aufgenommenen Befürwortung
des Schuyzollsystems, auf diesen der Abgeordnete Laster.

Es war ein bedeutsames parlamentarisches Gefecht, diese erste Berathung,
aber wie bei manchem wirklichen Gefecht war die angegriffene und vertheidigte
Position nur Mittel zur Bedrohung auf der einen Seite, zum Schutz auf
der andern Seite für eine ganz andere Position. Dabei waren die Rollen
der Kämpfer von einer schönen Klarheit, wie man sie zum Verständniß eines
Gefechts nur wünschen kann, mit einer einzigen Ausnahme. Die Art, wie
der preußische Finanzminister in das Gefecht eingriff. wen er unterstützen,
wen er bekämpfen wollte, ist unserm Verständniß vollkommen unerreichbar
geblieben. Und doch fand der Abgeordnete Laster. daß die Rede des Ministers
"im höchsten Grade fördernd und klärend" gewirkt. Wir fürchten jedoch, der
treffliche Abgeordnete, dem wir zu der Genesung, die ihm die Wiederaufnahme
der parlamentarischen Thätigkeit erlaubt, den herzlichsten Glückwunsch bringen,
sieht und hört noch die ganze Welt mit dem Auge und Ohr des Reconvales-
centen, dem bekanntlich die Dinge im rosigen Licht und die Töne in wohllauten¬
der Harmonie erscheinen. Harmonie in der Camphausen'schen Rede zu ver¬
nehmen, kann wirklich nur dem Ohr eines selige Klänge ahnenden Recon-
valescenten gelingen.

Suchen wir mit wenig Worten den Gang des Gefechts aufzuklären.
Man stritt scheinbar darum, ob die Ausgaben für 1876 gedeckt werden kön¬
nen, ohne daß weder die Matrikularbeiträge erhöht, noch neue Reichssteuern
aufgelegt, also, ohne daß die Reichseinnahmen vergrößert werden. nachzu¬
weisen, daß diese Deckung möglich ist, hatte die Opposition leichtes Ziel. Man
braucht nur Ueberschüsse früherer Jahre aufzuwenden, und daS Budget für
1876 ist in Ordnung. Ein Budget freilich, das nicht aus regelmäßigen Ein¬
nahmen bestritten worden, enthält ein Defizit. Die Frage ist also, soll man jetzt
dem Defizit vorbeugen durch Vergrößerung der regelmäßigen Einnahmen, oder
soll man bis zum letzten Augenblick warten, d. h. bis zur Berathung des
Budgets für 1877. Bei der Lage des deutschen Reiches würde das letztere
Verfahren nur als ein leichtsinniges und vermessenes zu charakterisiren sein.
Zur Verhütung eines Defizits im letzten Moment bleibt nichts übrig, als
die Erhöhung der Matrikularbeiträge, womit der Haushalt vieler Einzelstaaten
w Verwirrung gebracht und vielseitige Unzufriedenheit hervorgerufen wird.

Es handelt sich um ganz andere Dinge, als um das Gleichgewicht eines
Grn


. ezboten IV. 1875. 45

Zwischen dieser Rede und der Delbrück'schen lag ein Präludium zu der Richter'schen,
vorgetragen von Herrn Nickert-Danzig, und eine ultramontane Kritik der
Regierungsvorlage durch Herrn v. Schorlemer-Alse. Auf die Richter'sche Rede
folgte, wie üblich, der preußische Finanzminister Camphausen in seiner Eigen-
schaft als Bevollmächtigter zum Bundesrath. Auf diesen folgte Herr v. Kar-
dorff mit einer vom Reichstag sehr abgünsttg aufgenommenen Befürwortung
des Schuyzollsystems, auf diesen der Abgeordnete Laster.

Es war ein bedeutsames parlamentarisches Gefecht, diese erste Berathung,
aber wie bei manchem wirklichen Gefecht war die angegriffene und vertheidigte
Position nur Mittel zur Bedrohung auf der einen Seite, zum Schutz auf
der andern Seite für eine ganz andere Position. Dabei waren die Rollen
der Kämpfer von einer schönen Klarheit, wie man sie zum Verständniß eines
Gefechts nur wünschen kann, mit einer einzigen Ausnahme. Die Art, wie
der preußische Finanzminister in das Gefecht eingriff. wen er unterstützen,
wen er bekämpfen wollte, ist unserm Verständniß vollkommen unerreichbar
geblieben. Und doch fand der Abgeordnete Laster. daß die Rede des Ministers
„im höchsten Grade fördernd und klärend" gewirkt. Wir fürchten jedoch, der
treffliche Abgeordnete, dem wir zu der Genesung, die ihm die Wiederaufnahme
der parlamentarischen Thätigkeit erlaubt, den herzlichsten Glückwunsch bringen,
sieht und hört noch die ganze Welt mit dem Auge und Ohr des Reconvales-
centen, dem bekanntlich die Dinge im rosigen Licht und die Töne in wohllauten¬
der Harmonie erscheinen. Harmonie in der Camphausen'schen Rede zu ver¬
nehmen, kann wirklich nur dem Ohr eines selige Klänge ahnenden Recon-
valescenten gelingen.

Suchen wir mit wenig Worten den Gang des Gefechts aufzuklären.
Man stritt scheinbar darum, ob die Ausgaben für 1876 gedeckt werden kön¬
nen, ohne daß weder die Matrikularbeiträge erhöht, noch neue Reichssteuern
aufgelegt, also, ohne daß die Reichseinnahmen vergrößert werden. nachzu¬
weisen, daß diese Deckung möglich ist, hatte die Opposition leichtes Ziel. Man
braucht nur Ueberschüsse früherer Jahre aufzuwenden, und daS Budget für
1876 ist in Ordnung. Ein Budget freilich, das nicht aus regelmäßigen Ein¬
nahmen bestritten worden, enthält ein Defizit. Die Frage ist also, soll man jetzt
dem Defizit vorbeugen durch Vergrößerung der regelmäßigen Einnahmen, oder
soll man bis zum letzten Augenblick warten, d. h. bis zur Berathung des
Budgets für 1877. Bei der Lage des deutschen Reiches würde das letztere
Verfahren nur als ein leichtsinniges und vermessenes zu charakterisiren sein.
Zur Verhütung eines Defizits im letzten Moment bleibt nichts übrig, als
die Erhöhung der Matrikularbeiträge, womit der Haushalt vieler Einzelstaaten
w Verwirrung gebracht und vielseitige Unzufriedenheit hervorgerufen wird.

Es handelt sich um ganz andere Dinge, als um das Gleichgewicht eines
Grn


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[0357] Zwischen dieser Rede und der Delbrück'schen lag ein Präludium zu der Richter'schen, vorgetragen von Herrn Nickert-Danzig, und eine ultramontane Kritik der Regierungsvorlage durch Herrn v. Schorlemer-Alse. Auf die Richter'sche Rede folgte, wie üblich, der preußische Finanzminister Camphausen in seiner Eigen- schaft als Bevollmächtigter zum Bundesrath. Auf diesen folgte Herr v. Kar- dorff mit einer vom Reichstag sehr abgünsttg aufgenommenen Befürwortung des Schuyzollsystems, auf diesen der Abgeordnete Laster. Es war ein bedeutsames parlamentarisches Gefecht, diese erste Berathung, aber wie bei manchem wirklichen Gefecht war die angegriffene und vertheidigte Position nur Mittel zur Bedrohung auf der einen Seite, zum Schutz auf der andern Seite für eine ganz andere Position. Dabei waren die Rollen der Kämpfer von einer schönen Klarheit, wie man sie zum Verständniß eines Gefechts nur wünschen kann, mit einer einzigen Ausnahme. Die Art, wie der preußische Finanzminister in das Gefecht eingriff. wen er unterstützen, wen er bekämpfen wollte, ist unserm Verständniß vollkommen unerreichbar geblieben. Und doch fand der Abgeordnete Laster. daß die Rede des Ministers „im höchsten Grade fördernd und klärend" gewirkt. Wir fürchten jedoch, der treffliche Abgeordnete, dem wir zu der Genesung, die ihm die Wiederaufnahme der parlamentarischen Thätigkeit erlaubt, den herzlichsten Glückwunsch bringen, sieht und hört noch die ganze Welt mit dem Auge und Ohr des Reconvales- centen, dem bekanntlich die Dinge im rosigen Licht und die Töne in wohllauten¬ der Harmonie erscheinen. Harmonie in der Camphausen'schen Rede zu ver¬ nehmen, kann wirklich nur dem Ohr eines selige Klänge ahnenden Recon- valescenten gelingen. Suchen wir mit wenig Worten den Gang des Gefechts aufzuklären. Man stritt scheinbar darum, ob die Ausgaben für 1876 gedeckt werden kön¬ nen, ohne daß weder die Matrikularbeiträge erhöht, noch neue Reichssteuern aufgelegt, also, ohne daß die Reichseinnahmen vergrößert werden. nachzu¬ weisen, daß diese Deckung möglich ist, hatte die Opposition leichtes Ziel. Man braucht nur Ueberschüsse früherer Jahre aufzuwenden, und daS Budget für 1876 ist in Ordnung. Ein Budget freilich, das nicht aus regelmäßigen Ein¬ nahmen bestritten worden, enthält ein Defizit. Die Frage ist also, soll man jetzt dem Defizit vorbeugen durch Vergrößerung der regelmäßigen Einnahmen, oder soll man bis zum letzten Augenblick warten, d. h. bis zur Berathung des Budgets für 1877. Bei der Lage des deutschen Reiches würde das letztere Verfahren nur als ein leichtsinniges und vermessenes zu charakterisiren sein. Zur Verhütung eines Defizits im letzten Moment bleibt nichts übrig, als die Erhöhung der Matrikularbeiträge, womit der Haushalt vieler Einzelstaaten w Verwirrung gebracht und vielseitige Unzufriedenheit hervorgerufen wird. Es handelt sich um ganz andere Dinge, als um das Gleichgewicht eines Grn . ezboten IV. 1875. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/357>, abgerufen am 24.05.2024.