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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Reiches ohne den Staatsmann weiter geführt werden, ohne den die Grund¬
legung des Baues niemals gelungen wäre? Es ist das kein Verfassungscon-
flikt. sondern ein Personaleonflikt, wie er im regelmäßigen Verlauf des
Staatslebens vorkommen darf, aber darum doch für die Lage Deutschlands,
die noch immer eine außerordentliche ist, von der tiefgreifendsten Bedeutung.

Insofern die Frage des Personalconflikts gestellt ist, können wir sagen,
die Wolke hat sich entladen. Andererseits freilich kann der Reichstag noch
leicht genug Wege finden, den Personaleonflikt zu vermeiden. Insofern können
wir auch sagen, die Wolke hat nur erst gedroht und kann beschwichtigt werden.

Die Sitzung vom 3. Dezember eröffnete nach einem unbedeutenden Etn-
leitungsvortrag des Bundesbevollmächtigten, preußischen Justizministers Leon-
hardt mit einer sorgfältig studirten. langen Rede der Abgeordnete Laster.
Neben manchem Wohldurchdachten sagte der Redner auch weniger Durchdachtes.
Vom diplomatischen Dienst z.B. überraschte er durch die Behauptung: wenn
Beschädigungen des Staats in diesem Dienst criminell geahndet werden soll¬
ten und nicht blos disciplinarisch. so müßte dasselbe in allen Dienstzweigen
geschehen. Als ob es derselbe Schade wäre, wenn ein Landrath die Her¬
stellung eines Weges versäumt und wenn ein gewissenloser diplomatischer Agent
einen mörderischen Krieg herbeiführt! Wenn der säumige Landrath ersetzt ist,
so wird der Weg durch einen pünktlicheren hergestellt, nur einige Wochen
später, und bis dahin haben die Benutzenden einen Umweg sich gefallen lassen
müssen, der ihnen ja vielleicht ziemlich unbequem war. Aber was ist dieser
Schade gegen denjenigen, welchen ein gewissenloser Botschafter anrichtet, in¬
dem er aus Unbesonnenheit oder Intrigue das Verhältniß zu einem gefähr¬
lichen Nachbarstaat auf Jahrzehnte vergiftet! Es mag sein, daß die Ahn¬
dung des Ungehorsams und der Nachlässigkeit im diplomatischen Dienst auf
dem Wege der gewöhnlichen Strafrechtspflege nur ein Nothbehelf sein kann.
Die wirksame Ahndung selbst ist unentbehrlich und eine vom Gefühl ihrer
Pflicht und von der Größe ihres Berufs durchdrungene Reichsvertretung müßte
ihre Ehre darein setzen, einem auswärtigen Minister, dessen Verdienste in der
deutschen Geschichte ihres Gleichen nicht finden, ein besseres Mittel zur Siche¬
rung der Dienstzwccke anzubieten, als er geglaubt hat, verlangen zu dürfen.
Ein solches Mittel würde z. B. ein besonderes Strafrecht des auswärtigen
Dienstes sein, wie es für den Heerdienst längst eingeführt und nöthig befun¬
den worden ist. Wenn das Bedürfniß bisher nicht bemerkt worden, so liegt
das lediglich darin, daß kein deutscher Staat seit Friedrich dem Großen, der
die Mittel besaß, seine Agenten im Respekt zu erhalten, eine auswärtige
Politik gehabt hat. Mit dem dazwischenliegenden ohnmächtigen Dilettantis¬
mus vertrug sich die b.queue Anarchie innerhalb des diplomatischen Personals.
Der Reichstag hat aus seine Art das Verdikt abzugeben zwischen Bismarck und


Reiches ohne den Staatsmann weiter geführt werden, ohne den die Grund¬
legung des Baues niemals gelungen wäre? Es ist das kein Verfassungscon-
flikt. sondern ein Personaleonflikt, wie er im regelmäßigen Verlauf des
Staatslebens vorkommen darf, aber darum doch für die Lage Deutschlands,
die noch immer eine außerordentliche ist, von der tiefgreifendsten Bedeutung.

Insofern die Frage des Personalconflikts gestellt ist, können wir sagen,
die Wolke hat sich entladen. Andererseits freilich kann der Reichstag noch
leicht genug Wege finden, den Personaleonflikt zu vermeiden. Insofern können
wir auch sagen, die Wolke hat nur erst gedroht und kann beschwichtigt werden.

Die Sitzung vom 3. Dezember eröffnete nach einem unbedeutenden Etn-
leitungsvortrag des Bundesbevollmächtigten, preußischen Justizministers Leon-
hardt mit einer sorgfältig studirten. langen Rede der Abgeordnete Laster.
Neben manchem Wohldurchdachten sagte der Redner auch weniger Durchdachtes.
Vom diplomatischen Dienst z.B. überraschte er durch die Behauptung: wenn
Beschädigungen des Staats in diesem Dienst criminell geahndet werden soll¬
ten und nicht blos disciplinarisch. so müßte dasselbe in allen Dienstzweigen
geschehen. Als ob es derselbe Schade wäre, wenn ein Landrath die Her¬
stellung eines Weges versäumt und wenn ein gewissenloser diplomatischer Agent
einen mörderischen Krieg herbeiführt! Wenn der säumige Landrath ersetzt ist,
so wird der Weg durch einen pünktlicheren hergestellt, nur einige Wochen
später, und bis dahin haben die Benutzenden einen Umweg sich gefallen lassen
müssen, der ihnen ja vielleicht ziemlich unbequem war. Aber was ist dieser
Schade gegen denjenigen, welchen ein gewissenloser Botschafter anrichtet, in¬
dem er aus Unbesonnenheit oder Intrigue das Verhältniß zu einem gefähr¬
lichen Nachbarstaat auf Jahrzehnte vergiftet! Es mag sein, daß die Ahn¬
dung des Ungehorsams und der Nachlässigkeit im diplomatischen Dienst auf
dem Wege der gewöhnlichen Strafrechtspflege nur ein Nothbehelf sein kann.
Die wirksame Ahndung selbst ist unentbehrlich und eine vom Gefühl ihrer
Pflicht und von der Größe ihres Berufs durchdrungene Reichsvertretung müßte
ihre Ehre darein setzen, einem auswärtigen Minister, dessen Verdienste in der
deutschen Geschichte ihres Gleichen nicht finden, ein besseres Mittel zur Siche¬
rung der Dienstzwccke anzubieten, als er geglaubt hat, verlangen zu dürfen.
Ein solches Mittel würde z. B. ein besonderes Strafrecht des auswärtigen
Dienstes sein, wie es für den Heerdienst längst eingeführt und nöthig befun¬
den worden ist. Wenn das Bedürfniß bisher nicht bemerkt worden, so liegt
das lediglich darin, daß kein deutscher Staat seit Friedrich dem Großen, der
die Mittel besaß, seine Agenten im Respekt zu erhalten, eine auswärtige
Politik gehabt hat. Mit dem dazwischenliegenden ohnmächtigen Dilettantis¬
mus vertrug sich die b.queue Anarchie innerhalb des diplomatischen Personals.
Der Reichstag hat aus seine Art das Verdikt abzugeben zwischen Bismarck und


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[0439] Reiches ohne den Staatsmann weiter geführt werden, ohne den die Grund¬ legung des Baues niemals gelungen wäre? Es ist das kein Verfassungscon- flikt. sondern ein Personaleonflikt, wie er im regelmäßigen Verlauf des Staatslebens vorkommen darf, aber darum doch für die Lage Deutschlands, die noch immer eine außerordentliche ist, von der tiefgreifendsten Bedeutung. Insofern die Frage des Personalconflikts gestellt ist, können wir sagen, die Wolke hat sich entladen. Andererseits freilich kann der Reichstag noch leicht genug Wege finden, den Personaleonflikt zu vermeiden. Insofern können wir auch sagen, die Wolke hat nur erst gedroht und kann beschwichtigt werden. Die Sitzung vom 3. Dezember eröffnete nach einem unbedeutenden Etn- leitungsvortrag des Bundesbevollmächtigten, preußischen Justizministers Leon- hardt mit einer sorgfältig studirten. langen Rede der Abgeordnete Laster. Neben manchem Wohldurchdachten sagte der Redner auch weniger Durchdachtes. Vom diplomatischen Dienst z.B. überraschte er durch die Behauptung: wenn Beschädigungen des Staats in diesem Dienst criminell geahndet werden soll¬ ten und nicht blos disciplinarisch. so müßte dasselbe in allen Dienstzweigen geschehen. Als ob es derselbe Schade wäre, wenn ein Landrath die Her¬ stellung eines Weges versäumt und wenn ein gewissenloser diplomatischer Agent einen mörderischen Krieg herbeiführt! Wenn der säumige Landrath ersetzt ist, so wird der Weg durch einen pünktlicheren hergestellt, nur einige Wochen später, und bis dahin haben die Benutzenden einen Umweg sich gefallen lassen müssen, der ihnen ja vielleicht ziemlich unbequem war. Aber was ist dieser Schade gegen denjenigen, welchen ein gewissenloser Botschafter anrichtet, in¬ dem er aus Unbesonnenheit oder Intrigue das Verhältniß zu einem gefähr¬ lichen Nachbarstaat auf Jahrzehnte vergiftet! Es mag sein, daß die Ahn¬ dung des Ungehorsams und der Nachlässigkeit im diplomatischen Dienst auf dem Wege der gewöhnlichen Strafrechtspflege nur ein Nothbehelf sein kann. Die wirksame Ahndung selbst ist unentbehrlich und eine vom Gefühl ihrer Pflicht und von der Größe ihres Berufs durchdrungene Reichsvertretung müßte ihre Ehre darein setzen, einem auswärtigen Minister, dessen Verdienste in der deutschen Geschichte ihres Gleichen nicht finden, ein besseres Mittel zur Siche¬ rung der Dienstzwccke anzubieten, als er geglaubt hat, verlangen zu dürfen. Ein solches Mittel würde z. B. ein besonderes Strafrecht des auswärtigen Dienstes sein, wie es für den Heerdienst längst eingeführt und nöthig befun¬ den worden ist. Wenn das Bedürfniß bisher nicht bemerkt worden, so liegt das lediglich darin, daß kein deutscher Staat seit Friedrich dem Großen, der die Mittel besaß, seine Agenten im Respekt zu erhalten, eine auswärtige Politik gehabt hat. Mit dem dazwischenliegenden ohnmächtigen Dilettantis¬ mus vertrug sich die b.queue Anarchie innerhalb des diplomatischen Personals. Der Reichstag hat aus seine Art das Verdikt abzugeben zwischen Bismarck und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/439>, abgerufen am 24.05.2024.