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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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weise arm. Indeß ist das eine Ausnahme, welche die vom Verfasser auf-
gestillte Regel nur beschränkt, nicht umstößt.,

In den Vereinigten Staaten ist nach Tocqueville die Mehrzahl der Katho¬
liken arm. In Canada sind alle großen Geschäfte, die Fabriken, der Handel,
die besten Kaufläden in den Städten in der Hand von Protestanten.

Audiganne in seinen Studien über die Arbeiterbevölkerungen Frankreichs
bemerkt die Überlegenheit der Protestanten in der Industrie, und sein Zeug¬
niß ist um so unverdächtiger, als er dieselbe nicht dem Protestantismus zu¬
schreibt. Die Mehrheit der Arbeiter von Nismes, sagt er, namentlich die
Taffetweber, sind Katholiken, während die Chefs der Fabriken und Handels¬
häuser in der Regel der reformirten Confession angehören. Wenn eine und
dieselbe Familie in zwei Zweige zerfällt, von denen der eine beim Glauben
seiner Väter verblieben ist, der andere sich den neuen Lehren angeschlossen hat,
so bemerkt man fast immer bei jenem einen abnehmenden, bei diesem einen
wachsenden Wohlstand. Zu Mazamet, dem Elboeuf des südlichen Frankreich,
sind alle Fabrikherren mit einer einzigen Ausnahme Protestanten, während die
große Mehrzahl der Arbeiter aus Katholiken besteht. Es ist eben weniger
Bildung unter diesen als unter den fleißigen Familien der Protestanten. Vor
dem Widerruf des Edicts von Nantes waren die Reformirten in allen Zwei¬
gen der Arbeit obenauf, und die Katholiken, die ihre Concurrenz nicht bestehen
konnten, ließen ihnen von 1662 an durch mehrere Erlasse den Betrieb ver¬
schiedener Gewerbe untersagen, in denen sie sich auszeichneten. Nach ihrer Aus¬
treibung aus Frankreich trugen diese Protestanten den Unternehmungsgeist
und das haushälterische Wesen, die sie beseelten nach Holland , nach Preußen
und nach England. Sie bereicherten den Boden, wo sie sich niederließen.
Sie trugen nicht unwesentlich zum Gedeihen der deutschen Städte bei, die
ihnen eine neue Heimath geboten. Sie führten in England verschiedene Ge-
werbszweige, z. B. die Seidenweberei ein. Diese französischen Schüler Cal¬
vin's halfen wesentlich bei der Civilisation Schottlands.

Wir könnten noch viele Beispiele hinzufügen, die für die Regel des Ver¬
fassers sprechen, wollen uns aber mit einigen wenigen begnügen. Das ka¬
tholische Polen ist trotz reicher Hülfsquellen verhältnißmäßig arm geblieben
und als Staat untergegangen, ohne Hoffnung, wieder aufzuleben. Das von
der Natur nur karg bedachte Brandenburg-Preußen mit seiner überwiegend
protestantischen Bevölkerung ist zu hohem Wohlstand gelangt, es hat ganz
Deutschland unter seiner Fahne gesammelt, es hat zwei katholische Kaiserreiche
niedergeworfen, die beide doppelt so bevölkert waren als der Hohenzollern-
staat, das erste fast nur mit eigner Kraft in sieben Wochen, das andere im
Verein mit den deutschen Bundesgenossen in sieben Monaten, es ist jetzt
thatsächlich der leitende Staat Europas. Berlin in seinem Sande und ohne


weise arm. Indeß ist das eine Ausnahme, welche die vom Verfasser auf-
gestillte Regel nur beschränkt, nicht umstößt.,

In den Vereinigten Staaten ist nach Tocqueville die Mehrzahl der Katho¬
liken arm. In Canada sind alle großen Geschäfte, die Fabriken, der Handel,
die besten Kaufläden in den Städten in der Hand von Protestanten.

Audiganne in seinen Studien über die Arbeiterbevölkerungen Frankreichs
bemerkt die Überlegenheit der Protestanten in der Industrie, und sein Zeug¬
niß ist um so unverdächtiger, als er dieselbe nicht dem Protestantismus zu¬
schreibt. Die Mehrheit der Arbeiter von Nismes, sagt er, namentlich die
Taffetweber, sind Katholiken, während die Chefs der Fabriken und Handels¬
häuser in der Regel der reformirten Confession angehören. Wenn eine und
dieselbe Familie in zwei Zweige zerfällt, von denen der eine beim Glauben
seiner Väter verblieben ist, der andere sich den neuen Lehren angeschlossen hat,
so bemerkt man fast immer bei jenem einen abnehmenden, bei diesem einen
wachsenden Wohlstand. Zu Mazamet, dem Elboeuf des südlichen Frankreich,
sind alle Fabrikherren mit einer einzigen Ausnahme Protestanten, während die
große Mehrzahl der Arbeiter aus Katholiken besteht. Es ist eben weniger
Bildung unter diesen als unter den fleißigen Familien der Protestanten. Vor
dem Widerruf des Edicts von Nantes waren die Reformirten in allen Zwei¬
gen der Arbeit obenauf, und die Katholiken, die ihre Concurrenz nicht bestehen
konnten, ließen ihnen von 1662 an durch mehrere Erlasse den Betrieb ver¬
schiedener Gewerbe untersagen, in denen sie sich auszeichneten. Nach ihrer Aus¬
treibung aus Frankreich trugen diese Protestanten den Unternehmungsgeist
und das haushälterische Wesen, die sie beseelten nach Holland , nach Preußen
und nach England. Sie bereicherten den Boden, wo sie sich niederließen.
Sie trugen nicht unwesentlich zum Gedeihen der deutschen Städte bei, die
ihnen eine neue Heimath geboten. Sie führten in England verschiedene Ge-
werbszweige, z. B. die Seidenweberei ein. Diese französischen Schüler Cal¬
vin's halfen wesentlich bei der Civilisation Schottlands.

Wir könnten noch viele Beispiele hinzufügen, die für die Regel des Ver¬
fassers sprechen, wollen uns aber mit einigen wenigen begnügen. Das ka¬
tholische Polen ist trotz reicher Hülfsquellen verhältnißmäßig arm geblieben
und als Staat untergegangen, ohne Hoffnung, wieder aufzuleben. Das von
der Natur nur karg bedachte Brandenburg-Preußen mit seiner überwiegend
protestantischen Bevölkerung ist zu hohem Wohlstand gelangt, es hat ganz
Deutschland unter seiner Fahne gesammelt, es hat zwei katholische Kaiserreiche
niedergeworfen, die beide doppelt so bevölkert waren als der Hohenzollern-
staat, das erste fast nur mit eigner Kraft in sieben Wochen, das andere im
Verein mit den deutschen Bundesgenossen in sieben Monaten, es ist jetzt
thatsächlich der leitende Staat Europas. Berlin in seinem Sande und ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/47>, abgerufen am 24.05.2024.