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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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findet sich eine Reihe ähnlicher Grabkapellen, welche jenen den großartig-monu¬
mentalen Charakter verleihen; alles Uebrige liegt in einer wahrhaft herzzer¬
reißenden Vernachlässigung. Aber kaum einen Grabhügel wird man finden,
auf dem nicht aus Schmutz und Unkraut ein Heiligenbildchen oder sonst irgend
ein kirchliches Symbol hervorschaute. Mag man darin immerhin ein gedanken¬
loses Festhalten an hergebrachter Sitte erblicken, grade die "Gedankenlosigkeit"
würde beweisen, daß von einem bewußten feindseligen Gegensatz der großen
Masse gegen die Kirche nicht die Rede sein kaun.

Um diesen unzerstörbaren Einfluß der Kirche erklärlich zu finden, braucht
man übrigens nur die Art und Weise des Elementarunterrichts in Erwägung
zu ziehen. Von den 530--540 Pariser Volksschulen sind fast ein Viertel
Congreganistenschulen, werden also ausschließlich von Geistlichen geleitet; was
die übrigen betrifft, so ist, den radicalen und materialistischen Aspirationen
des Pariser Gemeinderaths zum Trotz, durch Gesetzgebung und Verwaltung
hinreichend dafür gesorgt, daß sie sich der klerikalen Einwirkung nicht ent¬
ziehen. Um wahre Religiosität mag es bei einem also erzogenen Geschlechte
vielleicht herzlich schwach bestellt sein, aber was kümmert das die vaticanische
Hierarchie, wenn sie nur gefügige Werkzeuge in der Hand hat! Freilich ist
es wahr, daß in revolutionären Momenten der Pfaffenhaß nirgends intensiver
ans Licht tritt und nirgends blutiger befriedigt wird, als in Paris; aber
liegt darin nicht gerade der schlagendste Beweis, daß man in dem Priester-
thum die eigentlich herrschende Kaste fürchtet? Es ist die wilde Weise, wie
Sklaven sich auflehnen. Und die Weise des Sklaven ist es nicht minder,
wie man nach vorübergebraustem Sturm in die alte Knechtschaft zurückfällt.
Alle Deklamationen der Pariser Presse mögen sie im Stile der pathetisch-
radicalen Drohungen der "Republique frau^aise" gehalten werden oder mit
der marklos-selbstgefälligen Weisheit des "Journal des Debats" getränkt
sein, alle Demonstrationen im Quartier latin, selbst die radicalen Majoritäten
bei den Wahlen vermögen die Thatsache nicht zu vertuschen, daß nicht allein
in Frankreich im Allgemeinen, sondern auch speciell in der Hauptstadt der
Klerus die stärkste und, was noch mehr sagen will, die siegreich vorschreitende
Gewalt ist. Mit ihm vor Allem wird sich, wer die Capitale beherrschen will,
auf guten Fuß zu stellen haben. Selbst Herr Gamvetta, wenn irgend eine
wunderbare Fügung ihn an die Spitze führte, würde sich zu der Erkenntniß
des Navarresers bequemen müssen, daß Paris eine Messe werth sei.




findet sich eine Reihe ähnlicher Grabkapellen, welche jenen den großartig-monu¬
mentalen Charakter verleihen; alles Uebrige liegt in einer wahrhaft herzzer¬
reißenden Vernachlässigung. Aber kaum einen Grabhügel wird man finden,
auf dem nicht aus Schmutz und Unkraut ein Heiligenbildchen oder sonst irgend
ein kirchliches Symbol hervorschaute. Mag man darin immerhin ein gedanken¬
loses Festhalten an hergebrachter Sitte erblicken, grade die „Gedankenlosigkeit"
würde beweisen, daß von einem bewußten feindseligen Gegensatz der großen
Masse gegen die Kirche nicht die Rede sein kaun.

Um diesen unzerstörbaren Einfluß der Kirche erklärlich zu finden, braucht
man übrigens nur die Art und Weise des Elementarunterrichts in Erwägung
zu ziehen. Von den 530—540 Pariser Volksschulen sind fast ein Viertel
Congreganistenschulen, werden also ausschließlich von Geistlichen geleitet; was
die übrigen betrifft, so ist, den radicalen und materialistischen Aspirationen
des Pariser Gemeinderaths zum Trotz, durch Gesetzgebung und Verwaltung
hinreichend dafür gesorgt, daß sie sich der klerikalen Einwirkung nicht ent¬
ziehen. Um wahre Religiosität mag es bei einem also erzogenen Geschlechte
vielleicht herzlich schwach bestellt sein, aber was kümmert das die vaticanische
Hierarchie, wenn sie nur gefügige Werkzeuge in der Hand hat! Freilich ist
es wahr, daß in revolutionären Momenten der Pfaffenhaß nirgends intensiver
ans Licht tritt und nirgends blutiger befriedigt wird, als in Paris; aber
liegt darin nicht gerade der schlagendste Beweis, daß man in dem Priester-
thum die eigentlich herrschende Kaste fürchtet? Es ist die wilde Weise, wie
Sklaven sich auflehnen. Und die Weise des Sklaven ist es nicht minder,
wie man nach vorübergebraustem Sturm in die alte Knechtschaft zurückfällt.
Alle Deklamationen der Pariser Presse mögen sie im Stile der pathetisch-
radicalen Drohungen der „Republique frau^aise" gehalten werden oder mit
der marklos-selbstgefälligen Weisheit des „Journal des Debats" getränkt
sein, alle Demonstrationen im Quartier latin, selbst die radicalen Majoritäten
bei den Wahlen vermögen die Thatsache nicht zu vertuschen, daß nicht allein
in Frankreich im Allgemeinen, sondern auch speciell in der Hauptstadt der
Klerus die stärkste und, was noch mehr sagen will, die siegreich vorschreitende
Gewalt ist. Mit ihm vor Allem wird sich, wer die Capitale beherrschen will,
auf guten Fuß zu stellen haben. Selbst Herr Gamvetta, wenn irgend eine
wunderbare Fügung ihn an die Spitze führte, würde sich zu der Erkenntniß
des Navarresers bequemen müssen, daß Paris eine Messe werth sei.




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[0515] findet sich eine Reihe ähnlicher Grabkapellen, welche jenen den großartig-monu¬ mentalen Charakter verleihen; alles Uebrige liegt in einer wahrhaft herzzer¬ reißenden Vernachlässigung. Aber kaum einen Grabhügel wird man finden, auf dem nicht aus Schmutz und Unkraut ein Heiligenbildchen oder sonst irgend ein kirchliches Symbol hervorschaute. Mag man darin immerhin ein gedanken¬ loses Festhalten an hergebrachter Sitte erblicken, grade die „Gedankenlosigkeit" würde beweisen, daß von einem bewußten feindseligen Gegensatz der großen Masse gegen die Kirche nicht die Rede sein kaun. Um diesen unzerstörbaren Einfluß der Kirche erklärlich zu finden, braucht man übrigens nur die Art und Weise des Elementarunterrichts in Erwägung zu ziehen. Von den 530—540 Pariser Volksschulen sind fast ein Viertel Congreganistenschulen, werden also ausschließlich von Geistlichen geleitet; was die übrigen betrifft, so ist, den radicalen und materialistischen Aspirationen des Pariser Gemeinderaths zum Trotz, durch Gesetzgebung und Verwaltung hinreichend dafür gesorgt, daß sie sich der klerikalen Einwirkung nicht ent¬ ziehen. Um wahre Religiosität mag es bei einem also erzogenen Geschlechte vielleicht herzlich schwach bestellt sein, aber was kümmert das die vaticanische Hierarchie, wenn sie nur gefügige Werkzeuge in der Hand hat! Freilich ist es wahr, daß in revolutionären Momenten der Pfaffenhaß nirgends intensiver ans Licht tritt und nirgends blutiger befriedigt wird, als in Paris; aber liegt darin nicht gerade der schlagendste Beweis, daß man in dem Priester- thum die eigentlich herrschende Kaste fürchtet? Es ist die wilde Weise, wie Sklaven sich auflehnen. Und die Weise des Sklaven ist es nicht minder, wie man nach vorübergebraustem Sturm in die alte Knechtschaft zurückfällt. Alle Deklamationen der Pariser Presse mögen sie im Stile der pathetisch- radicalen Drohungen der „Republique frau^aise" gehalten werden oder mit der marklos-selbstgefälligen Weisheit des „Journal des Debats" getränkt sein, alle Demonstrationen im Quartier latin, selbst die radicalen Majoritäten bei den Wahlen vermögen die Thatsache nicht zu vertuschen, daß nicht allein in Frankreich im Allgemeinen, sondern auch speciell in der Hauptstadt der Klerus die stärkste und, was noch mehr sagen will, die siegreich vorschreitende Gewalt ist. Mit ihm vor Allem wird sich, wer die Capitale beherrschen will, auf guten Fuß zu stellen haben. Selbst Herr Gamvetta, wenn irgend eine wunderbare Fügung ihn an die Spitze führte, würde sich zu der Erkenntniß des Navarresers bequemen müssen, daß Paris eine Messe werth sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/515>, abgerufen am 24.05.2024.