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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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den nunmehrigen Studenten beglückwünschten, der jetzt seinen Schmaus zu
geben hatte.

So vollzog sich die Aufnahme der Beane oder Füchse im fünfzehnten
Jahrhundert und wahrscheinlich schon viel früher; denn das Heidelberger
"Ramus,!" LolioliN'iuni", dem diese Darstellung auszugsweise entnommen ist,
nennt die Deposition einen "alten Brauch." Im sechszehnten Jahrhundert er¬
hielt sich die Sitte und ebenso im ganzen nächstfolgenden sowie in der ersten
Hälfte des achtzehnten, in dessen zweiter sie dann völlig andere Formen an¬
nahm, aufhörte, ein officieller Act, dem Alle sich zu fügen hatten, zu sein,
und nur noch von denen gefordert wurde, die sich einer Studentenverbindung
angeschlossen hatten.

Zu Luther's Zeit trat nur insofern eine bemerkenswerthe Veränderung
in der Ceremonie ein, als man -- vielleicht, weil die Beichte jetzt an Bedeu¬
tung verloren hatte -- an die Stelle der Absolution eine Art Taufe setzte.
Die üble Behandlung neu eingetroffner Studenten währte überall fort, und
die Deposition wurde von den Universitätsbehörden nicht nur geduldet, son¬
dern geschützt und gefördert. Der Depositor war in dieser und der nächst¬
folgenden Zeit gewöhnlich ein alter Studiosus, einer von denen, welche die
Universität nie verließen und zuletzt mit weißen Haaren als Musensöhne im
achtzigsten oder hundertsten Semester zu ihren Vätern versammelt wurden.
Er wurde auf mehreren Universitäten vom Rector erwählt und feierlich auf
sein Amt verpflichtet, erhielt für seine Bemühungen von der betreffenden akade¬
mischen Körperschaft in der Regel eine Vergütung, die zu Wittenberg in einigen
Fässern Bier bestand, und hatte von dem durch ihn zu Befördernden außer¬
dem ein Honorar zu beanspruchen, welches in Altdorf einen Gulden betrug.

Melanchthon und ebenso Luther wußten der Deposition eine fromme
Deutung und eine nützliche Seite abzugewinnen. Nach jenem erinnerte die
Hudelung und Beschimpfung der Beane oder Bachanten den jungen Studiosen
daran, "daß ihm im Leben manche Unbill und viele Schwierigkeiten zustoßen
würden, die er mit Seelenruhe ertragen müsse, um nicht durch Widerspenstig¬
keit in größeres Unheil zu gerathen." Luther aber nahm, wie Grohmann in
seinen "Annalen der Universität Wittenberg" berichtet, einst in eigner Person
die Deposition mehrerer Füchse mit den Worten vor:

"Leidet solch Kreuz mit Geduld, ohne Murmelung. Gedenkt daran, daß
Ihr in Wittenberg geweiht seid zum Leiden und könnet sagen, wenn's nun
kommt: wohlan, ich habe zu Wittenberg erstlich angefangen, deponirt zu
werden; das muß mein Lebelang währen. Also ist unsere Deposition nur
eine Figur und Bild des menschlichen Lebens in allerlei Plagen, Unglück
und Züchtigung."

Darauf goß Doctor Martinus -- das erste Beispiel einer eigentlichen


Grenzboten III. 187S. 13

den nunmehrigen Studenten beglückwünschten, der jetzt seinen Schmaus zu
geben hatte.

So vollzog sich die Aufnahme der Beane oder Füchse im fünfzehnten
Jahrhundert und wahrscheinlich schon viel früher; denn das Heidelberger
„Ramus,!« LolioliN'iuni", dem diese Darstellung auszugsweise entnommen ist,
nennt die Deposition einen „alten Brauch." Im sechszehnten Jahrhundert er¬
hielt sich die Sitte und ebenso im ganzen nächstfolgenden sowie in der ersten
Hälfte des achtzehnten, in dessen zweiter sie dann völlig andere Formen an¬
nahm, aufhörte, ein officieller Act, dem Alle sich zu fügen hatten, zu sein,
und nur noch von denen gefordert wurde, die sich einer Studentenverbindung
angeschlossen hatten.

Zu Luther's Zeit trat nur insofern eine bemerkenswerthe Veränderung
in der Ceremonie ein, als man — vielleicht, weil die Beichte jetzt an Bedeu¬
tung verloren hatte — an die Stelle der Absolution eine Art Taufe setzte.
Die üble Behandlung neu eingetroffner Studenten währte überall fort, und
die Deposition wurde von den Universitätsbehörden nicht nur geduldet, son¬
dern geschützt und gefördert. Der Depositor war in dieser und der nächst¬
folgenden Zeit gewöhnlich ein alter Studiosus, einer von denen, welche die
Universität nie verließen und zuletzt mit weißen Haaren als Musensöhne im
achtzigsten oder hundertsten Semester zu ihren Vätern versammelt wurden.
Er wurde auf mehreren Universitäten vom Rector erwählt und feierlich auf
sein Amt verpflichtet, erhielt für seine Bemühungen von der betreffenden akade¬
mischen Körperschaft in der Regel eine Vergütung, die zu Wittenberg in einigen
Fässern Bier bestand, und hatte von dem durch ihn zu Befördernden außer¬
dem ein Honorar zu beanspruchen, welches in Altdorf einen Gulden betrug.

Melanchthon und ebenso Luther wußten der Deposition eine fromme
Deutung und eine nützliche Seite abzugewinnen. Nach jenem erinnerte die
Hudelung und Beschimpfung der Beane oder Bachanten den jungen Studiosen
daran, „daß ihm im Leben manche Unbill und viele Schwierigkeiten zustoßen
würden, die er mit Seelenruhe ertragen müsse, um nicht durch Widerspenstig¬
keit in größeres Unheil zu gerathen." Luther aber nahm, wie Grohmann in
seinen „Annalen der Universität Wittenberg" berichtet, einst in eigner Person
die Deposition mehrerer Füchse mit den Worten vor:

„Leidet solch Kreuz mit Geduld, ohne Murmelung. Gedenkt daran, daß
Ihr in Wittenberg geweiht seid zum Leiden und könnet sagen, wenn's nun
kommt: wohlan, ich habe zu Wittenberg erstlich angefangen, deponirt zu
werden; das muß mein Lebelang währen. Also ist unsere Deposition nur
eine Figur und Bild des menschlichen Lebens in allerlei Plagen, Unglück
und Züchtigung."

Darauf goß Doctor Martinus — das erste Beispiel einer eigentlichen


Grenzboten III. 187S. 13
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[0105] den nunmehrigen Studenten beglückwünschten, der jetzt seinen Schmaus zu geben hatte. So vollzog sich die Aufnahme der Beane oder Füchse im fünfzehnten Jahrhundert und wahrscheinlich schon viel früher; denn das Heidelberger „Ramus,!« LolioliN'iuni", dem diese Darstellung auszugsweise entnommen ist, nennt die Deposition einen „alten Brauch." Im sechszehnten Jahrhundert er¬ hielt sich die Sitte und ebenso im ganzen nächstfolgenden sowie in der ersten Hälfte des achtzehnten, in dessen zweiter sie dann völlig andere Formen an¬ nahm, aufhörte, ein officieller Act, dem Alle sich zu fügen hatten, zu sein, und nur noch von denen gefordert wurde, die sich einer Studentenverbindung angeschlossen hatten. Zu Luther's Zeit trat nur insofern eine bemerkenswerthe Veränderung in der Ceremonie ein, als man — vielleicht, weil die Beichte jetzt an Bedeu¬ tung verloren hatte — an die Stelle der Absolution eine Art Taufe setzte. Die üble Behandlung neu eingetroffner Studenten währte überall fort, und die Deposition wurde von den Universitätsbehörden nicht nur geduldet, son¬ dern geschützt und gefördert. Der Depositor war in dieser und der nächst¬ folgenden Zeit gewöhnlich ein alter Studiosus, einer von denen, welche die Universität nie verließen und zuletzt mit weißen Haaren als Musensöhne im achtzigsten oder hundertsten Semester zu ihren Vätern versammelt wurden. Er wurde auf mehreren Universitäten vom Rector erwählt und feierlich auf sein Amt verpflichtet, erhielt für seine Bemühungen von der betreffenden akade¬ mischen Körperschaft in der Regel eine Vergütung, die zu Wittenberg in einigen Fässern Bier bestand, und hatte von dem durch ihn zu Befördernden außer¬ dem ein Honorar zu beanspruchen, welches in Altdorf einen Gulden betrug. Melanchthon und ebenso Luther wußten der Deposition eine fromme Deutung und eine nützliche Seite abzugewinnen. Nach jenem erinnerte die Hudelung und Beschimpfung der Beane oder Bachanten den jungen Studiosen daran, „daß ihm im Leben manche Unbill und viele Schwierigkeiten zustoßen würden, die er mit Seelenruhe ertragen müsse, um nicht durch Widerspenstig¬ keit in größeres Unheil zu gerathen." Luther aber nahm, wie Grohmann in seinen „Annalen der Universität Wittenberg" berichtet, einst in eigner Person die Deposition mehrerer Füchse mit den Worten vor: „Leidet solch Kreuz mit Geduld, ohne Murmelung. Gedenkt daran, daß Ihr in Wittenberg geweiht seid zum Leiden und könnet sagen, wenn's nun kommt: wohlan, ich habe zu Wittenberg erstlich angefangen, deponirt zu werden; das muß mein Lebelang währen. Also ist unsere Deposition nur eine Figur und Bild des menschlichen Lebens in allerlei Plagen, Unglück und Züchtigung." Darauf goß Doctor Martinus — das erste Beispiel einer eigentlichen Grenzboten III. 187S. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/105>, abgerufen am 24.05.2024.