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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Fremden lebt, und deren sind Viele, urfidele Gesichter. Die Herren Gast¬
wirthe natürlich obenan. München ist nicht arm an Hotels und Gasthöfen,
es hat darin noch seine großen Vorzüge vor andern Städten. Fast nirgends
in den an den großen Touristenstraßen gelegenen Orten kann man mehr in
einem Gasthof wohnen, ohne daß man an den "Tisch des Hauses" gebunden
ist, ohne daß man zu fürchten hat, eine versäumte es-die ä'Köw zwei- und
dreifach in der übrigen Rechnung untergebracht zu sehen. In München giebt
es noch trefflich eingerichtete Häuser, in denen kein Mensch den Fremden fragt,
wo er zu Mittag ißt, in denen er eben nur wohnt, nicht einmal früh¬
stücken muß. und also so ungebunden, wie nur möglich sein kann. Und in
großen Städten, wo man seine Zeit zusammenhalten und die an langweiligen
Mittagstafeln verbrachte eine verlorene nennen muß, ist das von unberechen¬
barem Vortheil. Dazu kommt, daß diese Freiheit es ermöglicht, in der
bayrischen Hauptstadt immer noch die billigste aller Großstädte der Welt zu
finden. Zwar die Zeiten sind auch längst vorüber, wo man, wenn man sich
dort einen Gulden als Tagessatz gestellt hatte, am Abend nicht wußte, was
mit dem Rest anfangen; nominell zahlt man zwar auch heute noch für
eine Portion des eine ganze Namensscala durchlaufenden landesüblichen
Kalbsbratens nicht sehr viel, allein was man bekommt, steht nicht mehr im
Verhältniß zur Reichhaltigkeit des früher Gebotenen. Aber, wer sich einzu¬
richten versteht, kann mit einem in einem großen Bade nicht ein paar Tage
ausreichenden Budget eine Woche durchkommen.

Was ist es denn, das die Leute so an München fesselt, das den Fremden
sowohl, wie den länger und mehr mit ihm bekannten so gern dort weilen
läßt? Vielleicht gerade das, daß München keinen so gar prägnant ausge¬
prägten Typus hat. Es ist keine Groß- und Weltstadt, wie Paris. Wien,
Berlin, und doch birgt es in sich Dinge, die den Neid einer Weltstadt erregen
könnten, um derentwillen alle Welt nach München reist; es ist nichts weniger,
als eine Kleinstadt, aber doch umweht einen der Hauch eines einfachen, gemüth¬
lichen Lebens, wie man ihn selbst in viel kleineren Orten nicht spüren mag.
Es ist gewiß, und nicht zum Nachtheil der Münchner Bevölkerung bezeichnend,
daß München noch kein einziges Etablissement der Art hat, wie sie in den
Cafes chantants der elysäischen Felder, den luxuriösen Ballsälen Wiens und
Berlins und dergleichen bestehen. Denn, was seit neuester Zeit in Ritts
Colosseum sich als derartiges aufgethan hat, ist nur ein schwaches Abbild
jener bedenklichen Vorbilder und macht nicht viel Glück. Der Münchner braucht
und verlangt nichts, als sein Bierhaus, selbstverständlich das Hofbräuhaus
obenan, im Winter, und seine "Keller" im Sommer. Und der Fremde, der
München auch nach dieser Seite seines Lebens hin kennen lernen will, soll
auch nicht mehr haben wollen. Verlangt er ja noch feinere Genüsse, als bloße


Fremden lebt, und deren sind Viele, urfidele Gesichter. Die Herren Gast¬
wirthe natürlich obenan. München ist nicht arm an Hotels und Gasthöfen,
es hat darin noch seine großen Vorzüge vor andern Städten. Fast nirgends
in den an den großen Touristenstraßen gelegenen Orten kann man mehr in
einem Gasthof wohnen, ohne daß man an den „Tisch des Hauses" gebunden
ist, ohne daß man zu fürchten hat, eine versäumte es-die ä'Köw zwei- und
dreifach in der übrigen Rechnung untergebracht zu sehen. In München giebt
es noch trefflich eingerichtete Häuser, in denen kein Mensch den Fremden fragt,
wo er zu Mittag ißt, in denen er eben nur wohnt, nicht einmal früh¬
stücken muß. und also so ungebunden, wie nur möglich sein kann. Und in
großen Städten, wo man seine Zeit zusammenhalten und die an langweiligen
Mittagstafeln verbrachte eine verlorene nennen muß, ist das von unberechen¬
barem Vortheil. Dazu kommt, daß diese Freiheit es ermöglicht, in der
bayrischen Hauptstadt immer noch die billigste aller Großstädte der Welt zu
finden. Zwar die Zeiten sind auch längst vorüber, wo man, wenn man sich
dort einen Gulden als Tagessatz gestellt hatte, am Abend nicht wußte, was
mit dem Rest anfangen; nominell zahlt man zwar auch heute noch für
eine Portion des eine ganze Namensscala durchlaufenden landesüblichen
Kalbsbratens nicht sehr viel, allein was man bekommt, steht nicht mehr im
Verhältniß zur Reichhaltigkeit des früher Gebotenen. Aber, wer sich einzu¬
richten versteht, kann mit einem in einem großen Bade nicht ein paar Tage
ausreichenden Budget eine Woche durchkommen.

Was ist es denn, das die Leute so an München fesselt, das den Fremden
sowohl, wie den länger und mehr mit ihm bekannten so gern dort weilen
läßt? Vielleicht gerade das, daß München keinen so gar prägnant ausge¬
prägten Typus hat. Es ist keine Groß- und Weltstadt, wie Paris. Wien,
Berlin, und doch birgt es in sich Dinge, die den Neid einer Weltstadt erregen
könnten, um derentwillen alle Welt nach München reist; es ist nichts weniger,
als eine Kleinstadt, aber doch umweht einen der Hauch eines einfachen, gemüth¬
lichen Lebens, wie man ihn selbst in viel kleineren Orten nicht spüren mag.
Es ist gewiß, und nicht zum Nachtheil der Münchner Bevölkerung bezeichnend,
daß München noch kein einziges Etablissement der Art hat, wie sie in den
Cafes chantants der elysäischen Felder, den luxuriösen Ballsälen Wiens und
Berlins und dergleichen bestehen. Denn, was seit neuester Zeit in Ritts
Colosseum sich als derartiges aufgethan hat, ist nur ein schwaches Abbild
jener bedenklichen Vorbilder und macht nicht viel Glück. Der Münchner braucht
und verlangt nichts, als sein Bierhaus, selbstverständlich das Hofbräuhaus
obenan, im Winter, und seine „Keller" im Sommer. Und der Fremde, der
München auch nach dieser Seite seines Lebens hin kennen lernen will, soll
auch nicht mehr haben wollen. Verlangt er ja noch feinere Genüsse, als bloße


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[0202] Fremden lebt, und deren sind Viele, urfidele Gesichter. Die Herren Gast¬ wirthe natürlich obenan. München ist nicht arm an Hotels und Gasthöfen, es hat darin noch seine großen Vorzüge vor andern Städten. Fast nirgends in den an den großen Touristenstraßen gelegenen Orten kann man mehr in einem Gasthof wohnen, ohne daß man an den „Tisch des Hauses" gebunden ist, ohne daß man zu fürchten hat, eine versäumte es-die ä'Köw zwei- und dreifach in der übrigen Rechnung untergebracht zu sehen. In München giebt es noch trefflich eingerichtete Häuser, in denen kein Mensch den Fremden fragt, wo er zu Mittag ißt, in denen er eben nur wohnt, nicht einmal früh¬ stücken muß. und also so ungebunden, wie nur möglich sein kann. Und in großen Städten, wo man seine Zeit zusammenhalten und die an langweiligen Mittagstafeln verbrachte eine verlorene nennen muß, ist das von unberechen¬ barem Vortheil. Dazu kommt, daß diese Freiheit es ermöglicht, in der bayrischen Hauptstadt immer noch die billigste aller Großstädte der Welt zu finden. Zwar die Zeiten sind auch längst vorüber, wo man, wenn man sich dort einen Gulden als Tagessatz gestellt hatte, am Abend nicht wußte, was mit dem Rest anfangen; nominell zahlt man zwar auch heute noch für eine Portion des eine ganze Namensscala durchlaufenden landesüblichen Kalbsbratens nicht sehr viel, allein was man bekommt, steht nicht mehr im Verhältniß zur Reichhaltigkeit des früher Gebotenen. Aber, wer sich einzu¬ richten versteht, kann mit einem in einem großen Bade nicht ein paar Tage ausreichenden Budget eine Woche durchkommen. Was ist es denn, das die Leute so an München fesselt, das den Fremden sowohl, wie den länger und mehr mit ihm bekannten so gern dort weilen läßt? Vielleicht gerade das, daß München keinen so gar prägnant ausge¬ prägten Typus hat. Es ist keine Groß- und Weltstadt, wie Paris. Wien, Berlin, und doch birgt es in sich Dinge, die den Neid einer Weltstadt erregen könnten, um derentwillen alle Welt nach München reist; es ist nichts weniger, als eine Kleinstadt, aber doch umweht einen der Hauch eines einfachen, gemüth¬ lichen Lebens, wie man ihn selbst in viel kleineren Orten nicht spüren mag. Es ist gewiß, und nicht zum Nachtheil der Münchner Bevölkerung bezeichnend, daß München noch kein einziges Etablissement der Art hat, wie sie in den Cafes chantants der elysäischen Felder, den luxuriösen Ballsälen Wiens und Berlins und dergleichen bestehen. Denn, was seit neuester Zeit in Ritts Colosseum sich als derartiges aufgethan hat, ist nur ein schwaches Abbild jener bedenklichen Vorbilder und macht nicht viel Glück. Der Münchner braucht und verlangt nichts, als sein Bierhaus, selbstverständlich das Hofbräuhaus obenan, im Winter, und seine „Keller" im Sommer. Und der Fremde, der München auch nach dieser Seite seines Lebens hin kennen lernen will, soll auch nicht mehr haben wollen. Verlangt er ja noch feinere Genüsse, als bloße

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/202>, abgerufen am 16.06.2024.