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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Maßkrüge und die von den idyllischen "Radiweibern" dargebotenen beißenden
Wurzeln, so kann er sich des Abends in die schönen Gärten des Cafe' national
oder des "englischen Kaffeehauses" u. s. w. setzen und den trefflichen Regi¬
mentsmusiken und andern nicht minder guten Capellen lauschen, und will er
noch höher hinauf, so sagt ihm ja der "Tagesanzeiger" ganz genau, welche
Kunstleistungen er in den königlichen Theatern haben kann.

München macht heute noch den Eindruck einer Stadt der Gegensätze.
Es ist noch nicht allzulange her, daß sich Altmünchen, d. h. die alte ursprüng¬
liche Stadt sich auch baulich etwas mit Neumünchen, den von König Ludwig I.
geschaffenen Stadtanlagen verbindet. Die Kunsthallen der Glyptothek, Pina¬
kothek u. s. w. lagen lange Zeit eigentlich vor der Stadt draußen, und die
Bavaria mit der Ruhmeshalle steht heute noch verlassen und einsam, aber
nach den jetzt bestehenden Plänen doch des Tages harrend, da sie den Mittel¬
punkt eines großartigen Stadtparkes und neuer ihn umziehenden Häuser¬
bauten werden soll. Lange Zeit kam einem das München Ludwig's I. wie ein
großes Treibhaus vor, dessen exotische Pflanzen am wenigsten von den es
zunächst umwohnenden gewürdigt wurden. Mancher biedere Altmünchner ist
alt geworden und auch gestorben, ohne daß er jemals einen Fuß in die
Pinakothek oder Glyptotek gesetzt hatte. Die Geschichte, welche einmal die
"Fliegenden Blätter" von dem Herrn von Mohrenberg aus Hamburg brachten,
dem sein Münchner Gastfreund vorschlug, doch wieder lieber zum "Sternecker,"
als zum "Kaulbach" zu gehen, weil dort das Bier besser sei, war dem Leben
entnommen.

Man darf sich eigentlich nicht allzusehr darüber wundern. Die alte Her¬
zogs - und später kurfürstliche Hauptstadt war so ganz anders angelegt, daß
es freilich auf den ersten Augenblick einem sonderbar vorkommen mußte, sie
auf einmal zur Folie hellenischer Bauformen gemacht zu sehen. Von einer
organischen Einfügung des Neuen in das vorhandene Alte konnte da auch
bei den genialsten Gedanken, den besten Kräften, den reichsten Mitteln nicht
die Rede sein. König Ludwig's Ideen über Städte- und Straßenanlagen
Päßler einmal nicht für nordische Verhältnisse; sie waren viel zuviel von den
Gewohnheiten italienischen Lebens beeinflußt. Es müssen ganz besondere, aber
-- das ist wahr -- auch oft genug gegebene Stimmungen, Lichteffekte, sei es
nun bei einem Sonnenuntergang oder in einer klaren Sternennacht, in welcher
der Münchner Himmel wirklich das tiefe Blau des Südens zeigt, vorhanden
sein, wenn man sich der Täuschung hingeben will, der Prachtplatz der Pro-
Pylaeen, der mit dem herrlichen Thor und den im classischsten Stil gehaltenen
Bauten der Glyptothek und des Kunstausstellungsgebäudes ein unnachahmliches
Bild griechischer Stadtplätze giebt, sei wirklich in der Heimat jenes Stils
und nicht eine Viertelstunde von der alpengevornen Jsar entfernt gelegen.


Maßkrüge und die von den idyllischen „Radiweibern" dargebotenen beißenden
Wurzeln, so kann er sich des Abends in die schönen Gärten des Cafe' national
oder des „englischen Kaffeehauses" u. s. w. setzen und den trefflichen Regi¬
mentsmusiken und andern nicht minder guten Capellen lauschen, und will er
noch höher hinauf, so sagt ihm ja der „Tagesanzeiger" ganz genau, welche
Kunstleistungen er in den königlichen Theatern haben kann.

München macht heute noch den Eindruck einer Stadt der Gegensätze.
Es ist noch nicht allzulange her, daß sich Altmünchen, d. h. die alte ursprüng¬
liche Stadt sich auch baulich etwas mit Neumünchen, den von König Ludwig I.
geschaffenen Stadtanlagen verbindet. Die Kunsthallen der Glyptothek, Pina¬
kothek u. s. w. lagen lange Zeit eigentlich vor der Stadt draußen, und die
Bavaria mit der Ruhmeshalle steht heute noch verlassen und einsam, aber
nach den jetzt bestehenden Plänen doch des Tages harrend, da sie den Mittel¬
punkt eines großartigen Stadtparkes und neuer ihn umziehenden Häuser¬
bauten werden soll. Lange Zeit kam einem das München Ludwig's I. wie ein
großes Treibhaus vor, dessen exotische Pflanzen am wenigsten von den es
zunächst umwohnenden gewürdigt wurden. Mancher biedere Altmünchner ist
alt geworden und auch gestorben, ohne daß er jemals einen Fuß in die
Pinakothek oder Glyptotek gesetzt hatte. Die Geschichte, welche einmal die
„Fliegenden Blätter" von dem Herrn von Mohrenberg aus Hamburg brachten,
dem sein Münchner Gastfreund vorschlug, doch wieder lieber zum „Sternecker,"
als zum „Kaulbach" zu gehen, weil dort das Bier besser sei, war dem Leben
entnommen.

Man darf sich eigentlich nicht allzusehr darüber wundern. Die alte Her¬
zogs - und später kurfürstliche Hauptstadt war so ganz anders angelegt, daß
es freilich auf den ersten Augenblick einem sonderbar vorkommen mußte, sie
auf einmal zur Folie hellenischer Bauformen gemacht zu sehen. Von einer
organischen Einfügung des Neuen in das vorhandene Alte konnte da auch
bei den genialsten Gedanken, den besten Kräften, den reichsten Mitteln nicht
die Rede sein. König Ludwig's Ideen über Städte- und Straßenanlagen
Päßler einmal nicht für nordische Verhältnisse; sie waren viel zuviel von den
Gewohnheiten italienischen Lebens beeinflußt. Es müssen ganz besondere, aber
— das ist wahr — auch oft genug gegebene Stimmungen, Lichteffekte, sei es
nun bei einem Sonnenuntergang oder in einer klaren Sternennacht, in welcher
der Münchner Himmel wirklich das tiefe Blau des Südens zeigt, vorhanden
sein, wenn man sich der Täuschung hingeben will, der Prachtplatz der Pro-
Pylaeen, der mit dem herrlichen Thor und den im classischsten Stil gehaltenen
Bauten der Glyptothek und des Kunstausstellungsgebäudes ein unnachahmliches
Bild griechischer Stadtplätze giebt, sei wirklich in der Heimat jenes Stils
und nicht eine Viertelstunde von der alpengevornen Jsar entfernt gelegen.


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[0203] Maßkrüge und die von den idyllischen „Radiweibern" dargebotenen beißenden Wurzeln, so kann er sich des Abends in die schönen Gärten des Cafe' national oder des „englischen Kaffeehauses" u. s. w. setzen und den trefflichen Regi¬ mentsmusiken und andern nicht minder guten Capellen lauschen, und will er noch höher hinauf, so sagt ihm ja der „Tagesanzeiger" ganz genau, welche Kunstleistungen er in den königlichen Theatern haben kann. München macht heute noch den Eindruck einer Stadt der Gegensätze. Es ist noch nicht allzulange her, daß sich Altmünchen, d. h. die alte ursprüng¬ liche Stadt sich auch baulich etwas mit Neumünchen, den von König Ludwig I. geschaffenen Stadtanlagen verbindet. Die Kunsthallen der Glyptothek, Pina¬ kothek u. s. w. lagen lange Zeit eigentlich vor der Stadt draußen, und die Bavaria mit der Ruhmeshalle steht heute noch verlassen und einsam, aber nach den jetzt bestehenden Plänen doch des Tages harrend, da sie den Mittel¬ punkt eines großartigen Stadtparkes und neuer ihn umziehenden Häuser¬ bauten werden soll. Lange Zeit kam einem das München Ludwig's I. wie ein großes Treibhaus vor, dessen exotische Pflanzen am wenigsten von den es zunächst umwohnenden gewürdigt wurden. Mancher biedere Altmünchner ist alt geworden und auch gestorben, ohne daß er jemals einen Fuß in die Pinakothek oder Glyptotek gesetzt hatte. Die Geschichte, welche einmal die „Fliegenden Blätter" von dem Herrn von Mohrenberg aus Hamburg brachten, dem sein Münchner Gastfreund vorschlug, doch wieder lieber zum „Sternecker," als zum „Kaulbach" zu gehen, weil dort das Bier besser sei, war dem Leben entnommen. Man darf sich eigentlich nicht allzusehr darüber wundern. Die alte Her¬ zogs - und später kurfürstliche Hauptstadt war so ganz anders angelegt, daß es freilich auf den ersten Augenblick einem sonderbar vorkommen mußte, sie auf einmal zur Folie hellenischer Bauformen gemacht zu sehen. Von einer organischen Einfügung des Neuen in das vorhandene Alte konnte da auch bei den genialsten Gedanken, den besten Kräften, den reichsten Mitteln nicht die Rede sein. König Ludwig's Ideen über Städte- und Straßenanlagen Päßler einmal nicht für nordische Verhältnisse; sie waren viel zuviel von den Gewohnheiten italienischen Lebens beeinflußt. Es müssen ganz besondere, aber — das ist wahr — auch oft genug gegebene Stimmungen, Lichteffekte, sei es nun bei einem Sonnenuntergang oder in einer klaren Sternennacht, in welcher der Münchner Himmel wirklich das tiefe Blau des Südens zeigt, vorhanden sein, wenn man sich der Täuschung hingeben will, der Prachtplatz der Pro- Pylaeen, der mit dem herrlichen Thor und den im classischsten Stil gehaltenen Bauten der Glyptothek und des Kunstausstellungsgebäudes ein unnachahmliches Bild griechischer Stadtplätze giebt, sei wirklich in der Heimat jenes Stils und nicht eine Viertelstunde von der alpengevornen Jsar entfernt gelegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/203>, abgerufen am 16.06.2024.