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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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recht behagen. Er kann es nicht verkneifen, daß der Landesausschuß den
Etat gewissermaßen so ohne alle Discussion ein dive angenommen habe.
Besonders kann er sich über den im Kapitel des Etats für das Ober-Präsi¬
dium figurirenden "geheimen Dispositionsfond" des Oberpräsidenten nicht
genug wundern. Wie ist es möglich, fragt er sich im Hinblick darauf, daß der
Landesausschuß nicht diese Gelegenheit ergriffen hat, um zu bemerken, wie
ungewöhnlich die Bewilligung dieser 200,000 Fras. ist, worüber das Ober-
Präsidium ohne Controle verfügt? Eine sehr verständige und sachgemäße Antwort
hat ihm dieser Tage, wie bekannt, die offizielle "Straßburger Zeitung" gegeben.

In den Geistern und Gemüthern wird es, wie gesagt, allmählich licht und
klar. Des zum Zeichen möchte ich in Folgendem zwei Exempel an¬
führen, die, so individuell und' unscheinbar sie auch an und für sich aussehen
mögen, dennoch den besten Maßstab für eine allmähliche Einkehr gewähren.
In Brüssel erscheint seit einigen Jahren ein sehr interessantes Blättchen, be¬
titelt ein-ötivOllt! on Jo rvtour u. I'ÜLliöv primitiv"." Redacteur dieses
in seiner Art einzigen Wochen-Journals ist ein früherer Benedictiner-Mönch,
dem es seit der Erklärung des Jnfallibilitätsdogmas wie Schuppen von den
Augen gefallen und dem seit eben dieser Zeit die Mönchs-Klause gar zu eng
geworden ist. Aehnlich dem weiland Augustinermönch von Wittenberg, erhebt
nun der Er-Benedictiner Pierre des Pilliers allwöchentlich seine Stimme gegen
die "babylonische Hure" in Rom in sogenannten: "LMrLS katlwlihues als
kmrrcz II." u. drgl., welche, in ihrer Art originell und drastisch, nicht ohne
wissenschaftliche Begründung und mit vielem Esprit geschrieben, das katho¬
lische Volk zu belehren suchen, daß die römische Hierarchie und das augen¬
blicklich in der römischen Kirche herrschende System des Jesuitismus in
directen Gegensatz zu den Ideen des Urchristenthums und den Intentionen
seines Stifters stehen, eine gewiß dankenswerthe Hercules - Arbeit, an der
sich leider schon mancher harte Kopf die Hörner abgelaufen hat. Dieser
gottselige Mann hat es sich nun zur besondern Ausgabe gesetzt, auch im Elsaß
allmählich die religiösen Ideen zu klären -- in Frankreich ist sein Journal
natürlich verboten. Da im Elsaß kein Grund vorhanden ist, ihn in seinem
reformatorischen Beginnen zu stören, so läßt man ihn eben seitens der Obrig-
keit ruhig gewähren. In der That zählt denn auch sein Blatt, namentlich
in dem durchschnittlich strengkatholtschen Oberelsaß, eine ganz ansehnliche Reihe
von Abonnenten. Einer derselben, ein schlichter, ungelehrter Bürger von
Colmar, hat nun dem Herrn des Pilliers einen langen Brief zur beliebigen
Veröffentlichung übergeben, den er an den Pfarrer von Hagenau, den der-
waligen Reichstagsabgeordneten Gerber oder Guerber, wie dieser Herr sich
zu schreiben beliebt, gerichtet hat, der aber selbstverständlich ohne Antwort
geblieben ist. Einzelne Stellen dieses an die Überschwemmungen in Frank-


recht behagen. Er kann es nicht verkneifen, daß der Landesausschuß den
Etat gewissermaßen so ohne alle Discussion ein dive angenommen habe.
Besonders kann er sich über den im Kapitel des Etats für das Ober-Präsi¬
dium figurirenden „geheimen Dispositionsfond" des Oberpräsidenten nicht
genug wundern. Wie ist es möglich, fragt er sich im Hinblick darauf, daß der
Landesausschuß nicht diese Gelegenheit ergriffen hat, um zu bemerken, wie
ungewöhnlich die Bewilligung dieser 200,000 Fras. ist, worüber das Ober-
Präsidium ohne Controle verfügt? Eine sehr verständige und sachgemäße Antwort
hat ihm dieser Tage, wie bekannt, die offizielle „Straßburger Zeitung" gegeben.

In den Geistern und Gemüthern wird es, wie gesagt, allmählich licht und
klar. Des zum Zeichen möchte ich in Folgendem zwei Exempel an¬
führen, die, so individuell und' unscheinbar sie auch an und für sich aussehen
mögen, dennoch den besten Maßstab für eine allmähliche Einkehr gewähren.
In Brüssel erscheint seit einigen Jahren ein sehr interessantes Blättchen, be¬
titelt ein-ötivOllt! on Jo rvtour u. I'ÜLliöv primitiv«." Redacteur dieses
in seiner Art einzigen Wochen-Journals ist ein früherer Benedictiner-Mönch,
dem es seit der Erklärung des Jnfallibilitätsdogmas wie Schuppen von den
Augen gefallen und dem seit eben dieser Zeit die Mönchs-Klause gar zu eng
geworden ist. Aehnlich dem weiland Augustinermönch von Wittenberg, erhebt
nun der Er-Benedictiner Pierre des Pilliers allwöchentlich seine Stimme gegen
die „babylonische Hure" in Rom in sogenannten: „LMrLS katlwlihues als
kmrrcz II." u. drgl., welche, in ihrer Art originell und drastisch, nicht ohne
wissenschaftliche Begründung und mit vielem Esprit geschrieben, das katho¬
lische Volk zu belehren suchen, daß die römische Hierarchie und das augen¬
blicklich in der römischen Kirche herrschende System des Jesuitismus in
directen Gegensatz zu den Ideen des Urchristenthums und den Intentionen
seines Stifters stehen, eine gewiß dankenswerthe Hercules - Arbeit, an der
sich leider schon mancher harte Kopf die Hörner abgelaufen hat. Dieser
gottselige Mann hat es sich nun zur besondern Ausgabe gesetzt, auch im Elsaß
allmählich die religiösen Ideen zu klären — in Frankreich ist sein Journal
natürlich verboten. Da im Elsaß kein Grund vorhanden ist, ihn in seinem
reformatorischen Beginnen zu stören, so läßt man ihn eben seitens der Obrig-
keit ruhig gewähren. In der That zählt denn auch sein Blatt, namentlich
in dem durchschnittlich strengkatholtschen Oberelsaß, eine ganz ansehnliche Reihe
von Abonnenten. Einer derselben, ein schlichter, ungelehrter Bürger von
Colmar, hat nun dem Herrn des Pilliers einen langen Brief zur beliebigen
Veröffentlichung übergeben, den er an den Pfarrer von Hagenau, den der-
waligen Reichstagsabgeordneten Gerber oder Guerber, wie dieser Herr sich
zu schreiben beliebt, gerichtet hat, der aber selbstverständlich ohne Antwort
geblieben ist. Einzelne Stellen dieses an die Überschwemmungen in Frank-


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[0243] recht behagen. Er kann es nicht verkneifen, daß der Landesausschuß den Etat gewissermaßen so ohne alle Discussion ein dive angenommen habe. Besonders kann er sich über den im Kapitel des Etats für das Ober-Präsi¬ dium figurirenden „geheimen Dispositionsfond" des Oberpräsidenten nicht genug wundern. Wie ist es möglich, fragt er sich im Hinblick darauf, daß der Landesausschuß nicht diese Gelegenheit ergriffen hat, um zu bemerken, wie ungewöhnlich die Bewilligung dieser 200,000 Fras. ist, worüber das Ober- Präsidium ohne Controle verfügt? Eine sehr verständige und sachgemäße Antwort hat ihm dieser Tage, wie bekannt, die offizielle „Straßburger Zeitung" gegeben. In den Geistern und Gemüthern wird es, wie gesagt, allmählich licht und klar. Des zum Zeichen möchte ich in Folgendem zwei Exempel an¬ führen, die, so individuell und' unscheinbar sie auch an und für sich aussehen mögen, dennoch den besten Maßstab für eine allmähliche Einkehr gewähren. In Brüssel erscheint seit einigen Jahren ein sehr interessantes Blättchen, be¬ titelt ein-ötivOllt! on Jo rvtour u. I'ÜLliöv primitiv«." Redacteur dieses in seiner Art einzigen Wochen-Journals ist ein früherer Benedictiner-Mönch, dem es seit der Erklärung des Jnfallibilitätsdogmas wie Schuppen von den Augen gefallen und dem seit eben dieser Zeit die Mönchs-Klause gar zu eng geworden ist. Aehnlich dem weiland Augustinermönch von Wittenberg, erhebt nun der Er-Benedictiner Pierre des Pilliers allwöchentlich seine Stimme gegen die „babylonische Hure" in Rom in sogenannten: „LMrLS katlwlihues als kmrrcz II." u. drgl., welche, in ihrer Art originell und drastisch, nicht ohne wissenschaftliche Begründung und mit vielem Esprit geschrieben, das katho¬ lische Volk zu belehren suchen, daß die römische Hierarchie und das augen¬ blicklich in der römischen Kirche herrschende System des Jesuitismus in directen Gegensatz zu den Ideen des Urchristenthums und den Intentionen seines Stifters stehen, eine gewiß dankenswerthe Hercules - Arbeit, an der sich leider schon mancher harte Kopf die Hörner abgelaufen hat. Dieser gottselige Mann hat es sich nun zur besondern Ausgabe gesetzt, auch im Elsaß allmählich die religiösen Ideen zu klären — in Frankreich ist sein Journal natürlich verboten. Da im Elsaß kein Grund vorhanden ist, ihn in seinem reformatorischen Beginnen zu stören, so läßt man ihn eben seitens der Obrig- keit ruhig gewähren. In der That zählt denn auch sein Blatt, namentlich in dem durchschnittlich strengkatholtschen Oberelsaß, eine ganz ansehnliche Reihe von Abonnenten. Einer derselben, ein schlichter, ungelehrter Bürger von Colmar, hat nun dem Herrn des Pilliers einen langen Brief zur beliebigen Veröffentlichung übergeben, den er an den Pfarrer von Hagenau, den der- waligen Reichstagsabgeordneten Gerber oder Guerber, wie dieser Herr sich zu schreiben beliebt, gerichtet hat, der aber selbstverständlich ohne Antwort geblieben ist. Einzelne Stellen dieses an die Überschwemmungen in Frank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/243>, abgerufen am 24.05.2024.