Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reich und die verhältnißmäßige Gleichgiltigkeit des Klerus bei dieser tragischen
Katastrophe anknüpfenden Briefes sind werth, übersetzt zu werden:

"Durch die Gesetze und die Phaenomene der Natur erweckt Gott den
Geist und das Nachdenken eines Jeden, während Ihr, unsere Hirten und
Seelenkerker, dabei gleichgiltig bleibt und alles thut, um die Intelligenz und
das Gefühl von der Würde des Menschen zu ersticken. . . . Mehr als Einer
hat darin klar gesehen, und nachdem ich früher Euer Schüler und treues
Pfarrkind war, bin ich seither eifriger Leser der "Dlro alli-6ti"z"no" geworden
mit vielen meiner Kameraden. Jetzt begreifen wir die Religion und ihre
Pflichten, wiewohl das alles sich ganz und gar von dem unterscheidet, was
Ihr uns auf den Katechismus-Bänken in den Kirchen von Colmar, Hagenau
u. f. w. gelehrt habt'. . . . Die Kinder von heute sind nicht mehr die näm¬
lichen, wie vor 80 Jahren. Die Zeiten haben sich geändert, und die Schuld
daran liegt ebenso sehr und noch viel mehr an Euch, als an den Zeit¬
umständen, welche Ihr anklagt. Ihr, meine Herren, Hirten einer großen Heerde,
die Ihr Beispiele der Güte und christlichen Liebe geben solltet, was thut Ihr?
Anstatt den Kindern die Religion zu lehren in ihrer erhabenen Größe der
werkthätigen Liebe, prägt Ihr ihnen die überlebten Traditionen eines mit
Haß und Aberglauben angefüllten Katholizismus ein; anstatt ihnen die
der allgemeinen Religion schuldige Achtung zu lehren, unterrichtet ihr sie,
sich gegen alles zu sträuben, was nicht in Euren Kram paßt. Noch mehr:
Ihr reizt sie zu Haß und Verachtung gegen Andersgläubige, Ihr wollt aus
ihnen willenlose Instrumente in Eurem Dienste machen; und anstatt aus
ihnen Bürger eines großen Staates zu erziehen, groß durch seine Verdienste
und Arbeiten auf allen Gebieten der Cultur, durch seine Intelligenz, wollt
Ihr aus ihnen die Henker Eurer Gegner machen.....Kehrt zurück,
meine Herren Pfarrer, zu den ruhigen Zeiten von einstmals, wo der Pfarrer
der geachtete und verehrte Lehrer des Kindes war, wo er ihm eine Religion
lehrte, deren Vorschriften von Haß und Intoleranz weit entfernt waren-
Zeiget dem Kinde den Schöpfer als Gott der Liebe und des Erbarmens, der
sich den Menschen offenbart in seinen großen und erhabenen Werken. Oeffnet
das Auge desselben für die Wunder der Schöpfung. Die Natur in ihrer
Größe ist ein weit besserer Führer für die Jugend, als Eure Rathschläge voll
Mysticismus und die ewigen Drohungen mit Hölle und Fegefeuer. Lehret den
Kleinen eher Gott und die Menschen zu lieben, als ihnen fortwährend Furcht
vor dem Teufel zu machen......"

Dies ein Auszug aus dem Briefe eines schlichten, aber "denkenden
Bürgers" an den Pfarrer von Hagenau, den sich auch noch sonst mancher
feiste Pfarrherr oder heißspornige Kaplan im Reich hinter die Ohren schreiben
könnte. Man sieht, es dämmert auch bei uns in puncto der Religion und


reich und die verhältnißmäßige Gleichgiltigkeit des Klerus bei dieser tragischen
Katastrophe anknüpfenden Briefes sind werth, übersetzt zu werden:

„Durch die Gesetze und die Phaenomene der Natur erweckt Gott den
Geist und das Nachdenken eines Jeden, während Ihr, unsere Hirten und
Seelenkerker, dabei gleichgiltig bleibt und alles thut, um die Intelligenz und
das Gefühl von der Würde des Menschen zu ersticken. . . . Mehr als Einer
hat darin klar gesehen, und nachdem ich früher Euer Schüler und treues
Pfarrkind war, bin ich seither eifriger Leser der „Dlro alli-6ti«z»no" geworden
mit vielen meiner Kameraden. Jetzt begreifen wir die Religion und ihre
Pflichten, wiewohl das alles sich ganz und gar von dem unterscheidet, was
Ihr uns auf den Katechismus-Bänken in den Kirchen von Colmar, Hagenau
u. f. w. gelehrt habt'. . . . Die Kinder von heute sind nicht mehr die näm¬
lichen, wie vor 80 Jahren. Die Zeiten haben sich geändert, und die Schuld
daran liegt ebenso sehr und noch viel mehr an Euch, als an den Zeit¬
umständen, welche Ihr anklagt. Ihr, meine Herren, Hirten einer großen Heerde,
die Ihr Beispiele der Güte und christlichen Liebe geben solltet, was thut Ihr?
Anstatt den Kindern die Religion zu lehren in ihrer erhabenen Größe der
werkthätigen Liebe, prägt Ihr ihnen die überlebten Traditionen eines mit
Haß und Aberglauben angefüllten Katholizismus ein; anstatt ihnen die
der allgemeinen Religion schuldige Achtung zu lehren, unterrichtet ihr sie,
sich gegen alles zu sträuben, was nicht in Euren Kram paßt. Noch mehr:
Ihr reizt sie zu Haß und Verachtung gegen Andersgläubige, Ihr wollt aus
ihnen willenlose Instrumente in Eurem Dienste machen; und anstatt aus
ihnen Bürger eines großen Staates zu erziehen, groß durch seine Verdienste
und Arbeiten auf allen Gebieten der Cultur, durch seine Intelligenz, wollt
Ihr aus ihnen die Henker Eurer Gegner machen.....Kehrt zurück,
meine Herren Pfarrer, zu den ruhigen Zeiten von einstmals, wo der Pfarrer
der geachtete und verehrte Lehrer des Kindes war, wo er ihm eine Religion
lehrte, deren Vorschriften von Haß und Intoleranz weit entfernt waren-
Zeiget dem Kinde den Schöpfer als Gott der Liebe und des Erbarmens, der
sich den Menschen offenbart in seinen großen und erhabenen Werken. Oeffnet
das Auge desselben für die Wunder der Schöpfung. Die Natur in ihrer
Größe ist ein weit besserer Führer für die Jugend, als Eure Rathschläge voll
Mysticismus und die ewigen Drohungen mit Hölle und Fegefeuer. Lehret den
Kleinen eher Gott und die Menschen zu lieben, als ihnen fortwährend Furcht
vor dem Teufel zu machen......"

Dies ein Auszug aus dem Briefe eines schlichten, aber „denkenden
Bürgers" an den Pfarrer von Hagenau, den sich auch noch sonst mancher
feiste Pfarrherr oder heißspornige Kaplan im Reich hinter die Ohren schreiben
könnte. Man sieht, es dämmert auch bei uns in puncto der Religion und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134062"/>
          <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> reich und die verhältnißmäßige Gleichgiltigkeit des Klerus bei dieser tragischen<lb/>
Katastrophe anknüpfenden Briefes sind werth, übersetzt zu werden:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765"> &#x201E;Durch die Gesetze und die Phaenomene der Natur erweckt Gott den<lb/>
Geist und das Nachdenken eines Jeden, während Ihr, unsere Hirten und<lb/>
Seelenkerker, dabei gleichgiltig bleibt und alles thut, um die Intelligenz und<lb/>
das Gefühl von der Würde des Menschen zu ersticken. . . .  Mehr als Einer<lb/>
hat darin klar gesehen, und nachdem ich früher Euer Schüler und treues<lb/>
Pfarrkind war, bin ich seither eifriger Leser der &#x201E;Dlro alli-6ti«z»no" geworden<lb/>
mit vielen meiner Kameraden.  Jetzt begreifen wir die Religion und ihre<lb/>
Pflichten, wiewohl das alles sich ganz und gar von dem unterscheidet, was<lb/>
Ihr uns auf den Katechismus-Bänken in den Kirchen von Colmar, Hagenau<lb/>
u. f. w. gelehrt habt'. . . . Die Kinder von heute sind nicht mehr die näm¬<lb/>
lichen, wie vor 80 Jahren.  Die Zeiten haben sich geändert, und die Schuld<lb/>
daran liegt ebenso sehr und noch viel mehr an Euch, als an den Zeit¬<lb/>
umständen, welche Ihr anklagt. Ihr, meine Herren, Hirten einer großen Heerde,<lb/>
die Ihr Beispiele der Güte und christlichen Liebe geben solltet, was thut Ihr?<lb/>
Anstatt den Kindern die Religion zu lehren in ihrer erhabenen Größe der<lb/>
werkthätigen Liebe, prägt Ihr ihnen die überlebten Traditionen eines mit<lb/>
Haß und Aberglauben  angefüllten Katholizismus ein; anstatt ihnen die<lb/>
der allgemeinen Religion schuldige Achtung zu lehren, unterrichtet ihr sie,<lb/>
sich gegen alles zu sträuben, was nicht in Euren Kram paßt.  Noch mehr:<lb/>
Ihr reizt sie zu Haß und Verachtung gegen Andersgläubige, Ihr wollt aus<lb/>
ihnen willenlose Instrumente in Eurem Dienste machen; und anstatt aus<lb/>
ihnen Bürger eines großen Staates zu erziehen, groß durch seine Verdienste<lb/>
und Arbeiten auf allen Gebieten der Cultur, durch seine Intelligenz, wollt<lb/>
Ihr aus ihnen die Henker Eurer Gegner machen.....Kehrt zurück,<lb/>
meine Herren Pfarrer, zu den ruhigen Zeiten von einstmals, wo der Pfarrer<lb/>
der geachtete und verehrte Lehrer des Kindes war, wo er ihm eine Religion<lb/>
lehrte, deren Vorschriften von Haß und Intoleranz weit entfernt waren-<lb/>
Zeiget dem Kinde den Schöpfer als Gott der Liebe und des Erbarmens, der<lb/>
sich den Menschen offenbart in seinen großen und erhabenen Werken. Oeffnet<lb/>
das Auge desselben für die Wunder der Schöpfung. Die Natur in ihrer<lb/>
Größe ist ein weit besserer Führer für die Jugend, als Eure Rathschläge voll<lb/>
Mysticismus und die ewigen Drohungen mit Hölle und Fegefeuer. Lehret den<lb/>
Kleinen eher Gott und die Menschen zu lieben, als ihnen fortwährend Furcht<lb/>
vor dem Teufel zu machen......"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766" next="#ID_767"> Dies ein Auszug aus dem Briefe eines schlichten, aber &#x201E;denkenden<lb/>
Bürgers" an den Pfarrer von Hagenau, den sich auch noch sonst mancher<lb/>
feiste Pfarrherr oder heißspornige Kaplan im Reich hinter die Ohren schreiben<lb/>
könnte. Man sieht, es dämmert auch bei uns in puncto der Religion und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0244] reich und die verhältnißmäßige Gleichgiltigkeit des Klerus bei dieser tragischen Katastrophe anknüpfenden Briefes sind werth, übersetzt zu werden: „Durch die Gesetze und die Phaenomene der Natur erweckt Gott den Geist und das Nachdenken eines Jeden, während Ihr, unsere Hirten und Seelenkerker, dabei gleichgiltig bleibt und alles thut, um die Intelligenz und das Gefühl von der Würde des Menschen zu ersticken. . . . Mehr als Einer hat darin klar gesehen, und nachdem ich früher Euer Schüler und treues Pfarrkind war, bin ich seither eifriger Leser der „Dlro alli-6ti«z»no" geworden mit vielen meiner Kameraden. Jetzt begreifen wir die Religion und ihre Pflichten, wiewohl das alles sich ganz und gar von dem unterscheidet, was Ihr uns auf den Katechismus-Bänken in den Kirchen von Colmar, Hagenau u. f. w. gelehrt habt'. . . . Die Kinder von heute sind nicht mehr die näm¬ lichen, wie vor 80 Jahren. Die Zeiten haben sich geändert, und die Schuld daran liegt ebenso sehr und noch viel mehr an Euch, als an den Zeit¬ umständen, welche Ihr anklagt. Ihr, meine Herren, Hirten einer großen Heerde, die Ihr Beispiele der Güte und christlichen Liebe geben solltet, was thut Ihr? Anstatt den Kindern die Religion zu lehren in ihrer erhabenen Größe der werkthätigen Liebe, prägt Ihr ihnen die überlebten Traditionen eines mit Haß und Aberglauben angefüllten Katholizismus ein; anstatt ihnen die der allgemeinen Religion schuldige Achtung zu lehren, unterrichtet ihr sie, sich gegen alles zu sträuben, was nicht in Euren Kram paßt. Noch mehr: Ihr reizt sie zu Haß und Verachtung gegen Andersgläubige, Ihr wollt aus ihnen willenlose Instrumente in Eurem Dienste machen; und anstatt aus ihnen Bürger eines großen Staates zu erziehen, groß durch seine Verdienste und Arbeiten auf allen Gebieten der Cultur, durch seine Intelligenz, wollt Ihr aus ihnen die Henker Eurer Gegner machen.....Kehrt zurück, meine Herren Pfarrer, zu den ruhigen Zeiten von einstmals, wo der Pfarrer der geachtete und verehrte Lehrer des Kindes war, wo er ihm eine Religion lehrte, deren Vorschriften von Haß und Intoleranz weit entfernt waren- Zeiget dem Kinde den Schöpfer als Gott der Liebe und des Erbarmens, der sich den Menschen offenbart in seinen großen und erhabenen Werken. Oeffnet das Auge desselben für die Wunder der Schöpfung. Die Natur in ihrer Größe ist ein weit besserer Führer für die Jugend, als Eure Rathschläge voll Mysticismus und die ewigen Drohungen mit Hölle und Fegefeuer. Lehret den Kleinen eher Gott und die Menschen zu lieben, als ihnen fortwährend Furcht vor dem Teufel zu machen......" Dies ein Auszug aus dem Briefe eines schlichten, aber „denkenden Bürgers" an den Pfarrer von Hagenau, den sich auch noch sonst mancher feiste Pfarrherr oder heißspornige Kaplan im Reich hinter die Ohren schreiben könnte. Man sieht, es dämmert auch bei uns in puncto der Religion und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/244
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/244>, abgerufen am 16.06.2024.