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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Zwei ungedruckte Schriftstücke Beethovens.
Mitgetheilt von Dr. Ludwig Rost.

Das "große Publikum" ist durch die mancherlei neuen Aufschlüsse über
den unglücklichen Selbstmordversuch von Beethovens Neffen") in solcher Weise
in dieses völlig tragische Ereigniß in dem Leben des großen Künstlers ein¬
geweiht, daß es der Sache werth erscheint, auch zwei Schriftstücke zu publi-
ziren, die sich auf die Präludien zu diesem eigentlichen Trauerspiele beziehen,
und dessen Conflicte näher zu erponiren geeignet sind. Dieselben, zwei amt¬
liche Eingaben, sind erst kürzlich in meine Hände gelangt und zu genauer
Copie gebracht. Zu ihrer verständlicheren Aufnahme diene noch kurz Folgendes.

Die Mutter des Knaben, einzigen Sohnes von Beethovens verstorbenen
jüngeren Bruder Carl, war wegen ihres üblen Lebenswandels durch das
k. k. "Landrecht" von der Bormundschaft über denselben ausgeschlossen worden.
Sie suchte nun, theils nach ihrem natürlichen Muttergefühl, mehr aber noch
nach ihrem unverwüstlichen Hang zu allerhand Thorheit und Schabernack --
"zur Intrigue geboren, ausgelernt in Betrug, Meisterin in allen Künsten der
Verstellung," schreibt Beethoven um 1819 selbst in eines der Berliner Cvn-
versationshcfte, -- sie suchte mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln un¬
ausgesetzt zu dem Knaben zu dringen und ihn zu sich herüberzuziehen. So
schreibt die Tochter des Jnstitutsvorstehers Giannatasio, bei dem derselbe
1816--18 war: "Sie soll einmal als Mann verkleidet auf den großen Platz
am Hause gekommen sein, wo die Knaben ihre Turm- oder gymnastischen
Uebungen hielten." Und wenn dies auch nicht verbürgt ist, so wissen wir
doch, daß, als der Knabe später bei Beethoven selbst in Mödling auf dem
Lande war, es ihr gelang durch Bestechung der Dienstboten mit Kaffee,
Zucker, Geld :c. ihr den Verkehr mit demselben zu ermöglichen.

Das war im Sommer 1818, und Beethoven schreibt, nachdem er zunächst
beide Dienstboten "zum Teufel gejagt", an seine getreue Freundin Frau
von Streicher: "Alles ist in Verwirrung, jedoch wird man nicht nöthig haben
mich in den Narrenthurm zu führen: ich kann sagen, daß ich schon in Wien
schrecklich wegen dieser Geschichte gelitten und daher nur still für mich war."
Andrerseits sagt er: "Machen Sie nur nichts bekannt, da man aus Carl
nachtheilig schließen könnte: nur ich, da ich alle Triebräder kenne, kann für
ihn zeugen, daß er auf das schrecklichste verführt ward." Und trotzdem
hatte er die gleiche zarte Rücksicht auf die "ränkevolle leidenschaftliche" Mutter.
Denn er schreibt: "Carl hat gefehlt, aber -- Mutter -- Mutter, selbst eine
schlechte bleibt doch immer Mutter."



") Vgl. z. B. das Feuilleton der "Presse" von No. 124 dieses Jahres.
Zwei ungedruckte Schriftstücke Beethovens.
Mitgetheilt von Dr. Ludwig Rost.

Das „große Publikum" ist durch die mancherlei neuen Aufschlüsse über
den unglücklichen Selbstmordversuch von Beethovens Neffen") in solcher Weise
in dieses völlig tragische Ereigniß in dem Leben des großen Künstlers ein¬
geweiht, daß es der Sache werth erscheint, auch zwei Schriftstücke zu publi-
ziren, die sich auf die Präludien zu diesem eigentlichen Trauerspiele beziehen,
und dessen Conflicte näher zu erponiren geeignet sind. Dieselben, zwei amt¬
liche Eingaben, sind erst kürzlich in meine Hände gelangt und zu genauer
Copie gebracht. Zu ihrer verständlicheren Aufnahme diene noch kurz Folgendes.

Die Mutter des Knaben, einzigen Sohnes von Beethovens verstorbenen
jüngeren Bruder Carl, war wegen ihres üblen Lebenswandels durch das
k. k. „Landrecht" von der Bormundschaft über denselben ausgeschlossen worden.
Sie suchte nun, theils nach ihrem natürlichen Muttergefühl, mehr aber noch
nach ihrem unverwüstlichen Hang zu allerhand Thorheit und Schabernack —
„zur Intrigue geboren, ausgelernt in Betrug, Meisterin in allen Künsten der
Verstellung," schreibt Beethoven um 1819 selbst in eines der Berliner Cvn-
versationshcfte, — sie suchte mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln un¬
ausgesetzt zu dem Knaben zu dringen und ihn zu sich herüberzuziehen. So
schreibt die Tochter des Jnstitutsvorstehers Giannatasio, bei dem derselbe
1816—18 war: „Sie soll einmal als Mann verkleidet auf den großen Platz
am Hause gekommen sein, wo die Knaben ihre Turm- oder gymnastischen
Uebungen hielten." Und wenn dies auch nicht verbürgt ist, so wissen wir
doch, daß, als der Knabe später bei Beethoven selbst in Mödling auf dem
Lande war, es ihr gelang durch Bestechung der Dienstboten mit Kaffee,
Zucker, Geld :c. ihr den Verkehr mit demselben zu ermöglichen.

Das war im Sommer 1818, und Beethoven schreibt, nachdem er zunächst
beide Dienstboten „zum Teufel gejagt", an seine getreue Freundin Frau
von Streicher: „Alles ist in Verwirrung, jedoch wird man nicht nöthig haben
mich in den Narrenthurm zu führen: ich kann sagen, daß ich schon in Wien
schrecklich wegen dieser Geschichte gelitten und daher nur still für mich war."
Andrerseits sagt er: „Machen Sie nur nichts bekannt, da man aus Carl
nachtheilig schließen könnte: nur ich, da ich alle Triebräder kenne, kann für
ihn zeugen, daß er auf das schrecklichste verführt ward." Und trotzdem
hatte er die gleiche zarte Rücksicht auf die „ränkevolle leidenschaftliche" Mutter.
Denn er schreibt: „Carl hat gefehlt, aber — Mutter — Mutter, selbst eine
schlechte bleibt doch immer Mutter."



») Vgl. z. B. das Feuilleton der „Presse" von No. 124 dieses Jahres.
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[0028] Zwei ungedruckte Schriftstücke Beethovens. Mitgetheilt von Dr. Ludwig Rost. Das „große Publikum" ist durch die mancherlei neuen Aufschlüsse über den unglücklichen Selbstmordversuch von Beethovens Neffen") in solcher Weise in dieses völlig tragische Ereigniß in dem Leben des großen Künstlers ein¬ geweiht, daß es der Sache werth erscheint, auch zwei Schriftstücke zu publi- ziren, die sich auf die Präludien zu diesem eigentlichen Trauerspiele beziehen, und dessen Conflicte näher zu erponiren geeignet sind. Dieselben, zwei amt¬ liche Eingaben, sind erst kürzlich in meine Hände gelangt und zu genauer Copie gebracht. Zu ihrer verständlicheren Aufnahme diene noch kurz Folgendes. Die Mutter des Knaben, einzigen Sohnes von Beethovens verstorbenen jüngeren Bruder Carl, war wegen ihres üblen Lebenswandels durch das k. k. „Landrecht" von der Bormundschaft über denselben ausgeschlossen worden. Sie suchte nun, theils nach ihrem natürlichen Muttergefühl, mehr aber noch nach ihrem unverwüstlichen Hang zu allerhand Thorheit und Schabernack — „zur Intrigue geboren, ausgelernt in Betrug, Meisterin in allen Künsten der Verstellung," schreibt Beethoven um 1819 selbst in eines der Berliner Cvn- versationshcfte, — sie suchte mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln un¬ ausgesetzt zu dem Knaben zu dringen und ihn zu sich herüberzuziehen. So schreibt die Tochter des Jnstitutsvorstehers Giannatasio, bei dem derselbe 1816—18 war: „Sie soll einmal als Mann verkleidet auf den großen Platz am Hause gekommen sein, wo die Knaben ihre Turm- oder gymnastischen Uebungen hielten." Und wenn dies auch nicht verbürgt ist, so wissen wir doch, daß, als der Knabe später bei Beethoven selbst in Mödling auf dem Lande war, es ihr gelang durch Bestechung der Dienstboten mit Kaffee, Zucker, Geld :c. ihr den Verkehr mit demselben zu ermöglichen. Das war im Sommer 1818, und Beethoven schreibt, nachdem er zunächst beide Dienstboten „zum Teufel gejagt", an seine getreue Freundin Frau von Streicher: „Alles ist in Verwirrung, jedoch wird man nicht nöthig haben mich in den Narrenthurm zu führen: ich kann sagen, daß ich schon in Wien schrecklich wegen dieser Geschichte gelitten und daher nur still für mich war." Andrerseits sagt er: „Machen Sie nur nichts bekannt, da man aus Carl nachtheilig schließen könnte: nur ich, da ich alle Triebräder kenne, kann für ihn zeugen, daß er auf das schrecklichste verführt ward." Und trotzdem hatte er die gleiche zarte Rücksicht auf die „ränkevolle leidenschaftliche" Mutter. Denn er schreibt: „Carl hat gefehlt, aber — Mutter — Mutter, selbst eine schlechte bleibt doch immer Mutter." ») Vgl. z. B. das Feuilleton der „Presse" von No. 124 dieses Jahres.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/28>, abgerufen am 24.05.2024.