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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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(ihrer Schwester) mehrere Stunden mit Beethoven (ins Conversationsheft);
denn wenn er so ergriffen, so Hort er fast gar nicht. Wir haben ein Buch
vollgeschrieben. Dieser Edelmuth, diese reine kindliche Seele! Es ist nicht
in seinem Wesen, einen Menschen für durchaus böse zu halten, wie er sagt,
wie es denn doch dies Weib ist. Er sagte mir, er wäre von der Geschichte
so ergriffen, daß er seine Gedanken erst zusammenfassen müsse, sein Herz habe
die Nacht geschlagen hörbar!"

Die "kühne" Frau aber geht derweilen ebenfalls "ihres Weges Schritt
vor Schritt." Der Knabe ist allerdings mit Hülfe der Polizei wieder in
Beethovens Hand, und da er für das nächste Frühjahr eine längere Reise
nach London projectirt hatte, so lag der Gedanke nahe, um den Knaben
dann besser gesichert zu wissen, ihn ebenfalls ins Ausland zu geben. Flugs
ist nun Madame van Beethoven (am 9. Dezember) mit einer Demonstration
bei der Hand und beantragt vor allem wieder die Untersagung der Ausübung
der Vormundschaft. Ja schon am folgenden Tage wiederholt sie diesen An¬
trag , indem sie zunächst Mißtrauen gegen die Unterrichtung und Bildung des
Knaben säet, sodann aber auch dessen moralische Erziehung verdächtigt, da
Beethoven ihn "nicht einmal zur Beichte führe."

Schon am Tage darauf (11. Dezember) war denn auch gerichtliche Ver¬
nehmung aller drei Betheiligten, und um nun hier das Resultat zu sichern,
verfaßt Beethoven abermals eine lange Eingabe, die uns völlig in seine Ge¬
sinnung, seine Absichten und seine Maßregeln in Bezug auf das ihm anver¬
traute "theure Pfand" einweiht. Sie lautet:

II.

"Hochlöbliches k. k. U. Oe. Landrecht!"

Es schien mir anfangs überflüssig, ein k. k. U. Oe. Landrecht von den
Einzelnheiten meiner bisher geführten Vormundschaft in nähere Kenntniß zu
setzen. Nach den neuerlichen Vorfällen aber, die,! wie ich immer mehr mich
überzeuge, durch Machinationen herbeigeführt wurden, um eine Trennung
meines Mündels von mir zu bezwecken, finde ich es zweckmäßig und noth¬
wendig, mein bisher beobachtetes Verfahren umständlicher darzulegen. Daß
dabei die strengste Wahrheit obwalte, verbürgt meine Gesinnung und mein
öffentlich anerkannter moralischer Charakter. Die hier folgenden Beilagen
werden in dieser Hinsicht die triftigsten Belege liefern.

Die Beilage lit. ^ enthält die verlangten Schulzeugnisse meines Mündels.
Sie beweisen dessen Fortschritte und Sittlichkeit sattsam, würden aber in
einigen wenigen wissenschaftlichen Fächern vielleicht noch vortheilhafter sein
können, wenn die immerwährenden Störungen von Seite der Mutter desselben
nicht Hinderungen bereitet hätten. Die beiden Briefe der Dienstleute sind in


Grenzbotcii III. >S7S. 4

(ihrer Schwester) mehrere Stunden mit Beethoven (ins Conversationsheft);
denn wenn er so ergriffen, so Hort er fast gar nicht. Wir haben ein Buch
vollgeschrieben. Dieser Edelmuth, diese reine kindliche Seele! Es ist nicht
in seinem Wesen, einen Menschen für durchaus böse zu halten, wie er sagt,
wie es denn doch dies Weib ist. Er sagte mir, er wäre von der Geschichte
so ergriffen, daß er seine Gedanken erst zusammenfassen müsse, sein Herz habe
die Nacht geschlagen hörbar!"

Die „kühne" Frau aber geht derweilen ebenfalls „ihres Weges Schritt
vor Schritt." Der Knabe ist allerdings mit Hülfe der Polizei wieder in
Beethovens Hand, und da er für das nächste Frühjahr eine längere Reise
nach London projectirt hatte, so lag der Gedanke nahe, um den Knaben
dann besser gesichert zu wissen, ihn ebenfalls ins Ausland zu geben. Flugs
ist nun Madame van Beethoven (am 9. Dezember) mit einer Demonstration
bei der Hand und beantragt vor allem wieder die Untersagung der Ausübung
der Vormundschaft. Ja schon am folgenden Tage wiederholt sie diesen An¬
trag , indem sie zunächst Mißtrauen gegen die Unterrichtung und Bildung des
Knaben säet, sodann aber auch dessen moralische Erziehung verdächtigt, da
Beethoven ihn „nicht einmal zur Beichte führe."

Schon am Tage darauf (11. Dezember) war denn auch gerichtliche Ver¬
nehmung aller drei Betheiligten, und um nun hier das Resultat zu sichern,
verfaßt Beethoven abermals eine lange Eingabe, die uns völlig in seine Ge¬
sinnung, seine Absichten und seine Maßregeln in Bezug auf das ihm anver¬
traute „theure Pfand" einweiht. Sie lautet:

II.

„Hochlöbliches k. k. U. Oe. Landrecht!"

Es schien mir anfangs überflüssig, ein k. k. U. Oe. Landrecht von den
Einzelnheiten meiner bisher geführten Vormundschaft in nähere Kenntniß zu
setzen. Nach den neuerlichen Vorfällen aber, die,! wie ich immer mehr mich
überzeuge, durch Machinationen herbeigeführt wurden, um eine Trennung
meines Mündels von mir zu bezwecken, finde ich es zweckmäßig und noth¬
wendig, mein bisher beobachtetes Verfahren umständlicher darzulegen. Daß
dabei die strengste Wahrheit obwalte, verbürgt meine Gesinnung und mein
öffentlich anerkannter moralischer Charakter. Die hier folgenden Beilagen
werden in dieser Hinsicht die triftigsten Belege liefern.

Die Beilage lit. ^ enthält die verlangten Schulzeugnisse meines Mündels.
Sie beweisen dessen Fortschritte und Sittlichkeit sattsam, würden aber in
einigen wenigen wissenschaftlichen Fächern vielleicht noch vortheilhafter sein
können, wenn die immerwährenden Störungen von Seite der Mutter desselben
nicht Hinderungen bereitet hätten. Die beiden Briefe der Dienstleute sind in


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[0033] (ihrer Schwester) mehrere Stunden mit Beethoven (ins Conversationsheft); denn wenn er so ergriffen, so Hort er fast gar nicht. Wir haben ein Buch vollgeschrieben. Dieser Edelmuth, diese reine kindliche Seele! Es ist nicht in seinem Wesen, einen Menschen für durchaus böse zu halten, wie er sagt, wie es denn doch dies Weib ist. Er sagte mir, er wäre von der Geschichte so ergriffen, daß er seine Gedanken erst zusammenfassen müsse, sein Herz habe die Nacht geschlagen hörbar!" Die „kühne" Frau aber geht derweilen ebenfalls „ihres Weges Schritt vor Schritt." Der Knabe ist allerdings mit Hülfe der Polizei wieder in Beethovens Hand, und da er für das nächste Frühjahr eine längere Reise nach London projectirt hatte, so lag der Gedanke nahe, um den Knaben dann besser gesichert zu wissen, ihn ebenfalls ins Ausland zu geben. Flugs ist nun Madame van Beethoven (am 9. Dezember) mit einer Demonstration bei der Hand und beantragt vor allem wieder die Untersagung der Ausübung der Vormundschaft. Ja schon am folgenden Tage wiederholt sie diesen An¬ trag , indem sie zunächst Mißtrauen gegen die Unterrichtung und Bildung des Knaben säet, sodann aber auch dessen moralische Erziehung verdächtigt, da Beethoven ihn „nicht einmal zur Beichte führe." Schon am Tage darauf (11. Dezember) war denn auch gerichtliche Ver¬ nehmung aller drei Betheiligten, und um nun hier das Resultat zu sichern, verfaßt Beethoven abermals eine lange Eingabe, die uns völlig in seine Ge¬ sinnung, seine Absichten und seine Maßregeln in Bezug auf das ihm anver¬ traute „theure Pfand" einweiht. Sie lautet: II. „Hochlöbliches k. k. U. Oe. Landrecht!" Es schien mir anfangs überflüssig, ein k. k. U. Oe. Landrecht von den Einzelnheiten meiner bisher geführten Vormundschaft in nähere Kenntniß zu setzen. Nach den neuerlichen Vorfällen aber, die,! wie ich immer mehr mich überzeuge, durch Machinationen herbeigeführt wurden, um eine Trennung meines Mündels von mir zu bezwecken, finde ich es zweckmäßig und noth¬ wendig, mein bisher beobachtetes Verfahren umständlicher darzulegen. Daß dabei die strengste Wahrheit obwalte, verbürgt meine Gesinnung und mein öffentlich anerkannter moralischer Charakter. Die hier folgenden Beilagen werden in dieser Hinsicht die triftigsten Belege liefern. Die Beilage lit. ^ enthält die verlangten Schulzeugnisse meines Mündels. Sie beweisen dessen Fortschritte und Sittlichkeit sattsam, würden aber in einigen wenigen wissenschaftlichen Fächern vielleicht noch vortheilhafter sein können, wenn die immerwährenden Störungen von Seite der Mutter desselben nicht Hinderungen bereitet hätten. Die beiden Briefe der Dienstleute sind in Grenzbotcii III. >S7S. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/33>, abgerufen am 24.05.2024.