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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Nach dreitägigen Nebel hat Capitain Thomas am 7. Mai um 9'/z Uhr
Abends, kurz bevor er den Kurs des Schiller änderte, gegen seine Offiziere
geäußert, der Schiller sei etwa 25 See-Meilen vor Bishop Rock. Auf seine
langjährige Erfahrung gestützt, konnte er wohl mit einiger Zuversicht sagen,
er sei wirklich da, wo er vermuthete. Eine Senkbleimessung 25 Seemeilen vom
Lande entfernt genommen, hätte eine Tiefe von 60 bis 55 Faden ergeben
müssen. Ein solches Resultat hätte aber dem Capitain Thomas keineswegs
mit Bestimmtheit die Lage seines Schiffes angegeben. Deßhalb wahr¬
scheinlich unterließ Thomas, in leichtsinnigem Selbstvertrauen auf seine bishe¬
rigen Erfahrungen, die Senkbleimessung, die möglicherweise sein Schiff geret¬
tet hätte. Ich sage möglicherweise, weil ich aus dem Nachstehenden zu
beweisen versuchen werde, daß eine Senkbleimessung selbst wenn sie schon um
8 Uhr Abends, vorgenommen worden wäre, nicht unbedingt die Katastrophe
verhütet hätte.

Das Verhör hat ferner ergeben, daß sofort nach dem Auflaufen des
Ichiller die energischsten Versuche zur Rettung der Passagiere gemacht wur¬
den; daß aber theils die sich über das Schiff brechenden Wellen, theils das
Ungestüm der in Angst sich andrängenden Passagiere, eine Rettung Aller, ja
nur des kleinsten Theils derselben verhinderten. Wie wenig die Wahrheit
des letzteren Hindernisses zur ruhigen Bedienung der Rettungsboote sich an¬
zweifeln läßt, ergiebt sich schon aus dem Umstände, daß an Bord des Schil¬
ler unter den 254 Passagieren 54 Frauen und 76 Kinder sich befan¬
den. -- Die Rettungsgürtel und- Ringe waren in genügender Anzahl an
Bord und in trefflichem Zustand. Das Anlegen derselben durch die Passagiere
geschah aber meistens auf irrige Weise. Alle ans Land gespülter Leichen
waren mit Rettungsgürteln versehen. So ergiebt die Untersuchung auch, daß
die Rettungsbootein vorschriftsmäßiger Ordnung gewesen sind. -- Daß Oelfarbe
an den Stricken der Flaschenzüge ein Hinderniß für den Gebrauch der Boote gewesen
sein soll, ist für einen mit nautischen Details Vertrauten geradezu lächer¬
lich. -- Dagegen erhellt aus den Zeugenaussagen auch der vernommenen
Passagiere, daß die See die Boote wegspülte, an der Schiffswand zerschmet¬
terte oder umschlug, während die Versuche gemacht wurden, sie flott zu ma¬
chen. -- Aus den Verhandlungen des Gerichtshofes ergiebt sich auch die
Thatsache, daß das einzige gerettete Boot kein schweres Rettungsboot, son¬
dern ein viel leichteres Boot (ein Gig) war. Das leichte Boot wurde von
den Wellen gehoben und wieder niedergelassen, während über den schweren,
mit Wasser und Menschen belasteten Rettungsbooten die See sich brach.

Die wichtigsten Aussagen der ganzen Untersuchung förderte aber die Ver¬
nehmung zweier bewährter Küstenlootsen der Scilly-Inseln zu Tage. Dem
Einen. Stephen Hicks, welcher seit 19 Jahren bei den Seitlich Lootse ist,


Nach dreitägigen Nebel hat Capitain Thomas am 7. Mai um 9'/z Uhr
Abends, kurz bevor er den Kurs des Schiller änderte, gegen seine Offiziere
geäußert, der Schiller sei etwa 25 See-Meilen vor Bishop Rock. Auf seine
langjährige Erfahrung gestützt, konnte er wohl mit einiger Zuversicht sagen,
er sei wirklich da, wo er vermuthete. Eine Senkbleimessung 25 Seemeilen vom
Lande entfernt genommen, hätte eine Tiefe von 60 bis 55 Faden ergeben
müssen. Ein solches Resultat hätte aber dem Capitain Thomas keineswegs
mit Bestimmtheit die Lage seines Schiffes angegeben. Deßhalb wahr¬
scheinlich unterließ Thomas, in leichtsinnigem Selbstvertrauen auf seine bishe¬
rigen Erfahrungen, die Senkbleimessung, die möglicherweise sein Schiff geret¬
tet hätte. Ich sage möglicherweise, weil ich aus dem Nachstehenden zu
beweisen versuchen werde, daß eine Senkbleimessung selbst wenn sie schon um
8 Uhr Abends, vorgenommen worden wäre, nicht unbedingt die Katastrophe
verhütet hätte.

Das Verhör hat ferner ergeben, daß sofort nach dem Auflaufen des
Ichiller die energischsten Versuche zur Rettung der Passagiere gemacht wur¬
den; daß aber theils die sich über das Schiff brechenden Wellen, theils das
Ungestüm der in Angst sich andrängenden Passagiere, eine Rettung Aller, ja
nur des kleinsten Theils derselben verhinderten. Wie wenig die Wahrheit
des letzteren Hindernisses zur ruhigen Bedienung der Rettungsboote sich an¬
zweifeln läßt, ergiebt sich schon aus dem Umstände, daß an Bord des Schil¬
ler unter den 254 Passagieren 54 Frauen und 76 Kinder sich befan¬
den. — Die Rettungsgürtel und- Ringe waren in genügender Anzahl an
Bord und in trefflichem Zustand. Das Anlegen derselben durch die Passagiere
geschah aber meistens auf irrige Weise. Alle ans Land gespülter Leichen
waren mit Rettungsgürteln versehen. So ergiebt die Untersuchung auch, daß
die Rettungsbootein vorschriftsmäßiger Ordnung gewesen sind. — Daß Oelfarbe
an den Stricken der Flaschenzüge ein Hinderniß für den Gebrauch der Boote gewesen
sein soll, ist für einen mit nautischen Details Vertrauten geradezu lächer¬
lich. — Dagegen erhellt aus den Zeugenaussagen auch der vernommenen
Passagiere, daß die See die Boote wegspülte, an der Schiffswand zerschmet¬
terte oder umschlug, während die Versuche gemacht wurden, sie flott zu ma¬
chen. — Aus den Verhandlungen des Gerichtshofes ergiebt sich auch die
Thatsache, daß das einzige gerettete Boot kein schweres Rettungsboot, son¬
dern ein viel leichteres Boot (ein Gig) war. Das leichte Boot wurde von
den Wellen gehoben und wieder niedergelassen, während über den schweren,
mit Wasser und Menschen belasteten Rettungsbooten die See sich brach.

Die wichtigsten Aussagen der ganzen Untersuchung förderte aber die Ver¬
nehmung zweier bewährter Küstenlootsen der Scilly-Inseln zu Tage. Dem
Einen. Stephen Hicks, welcher seit 19 Jahren bei den Seitlich Lootse ist,


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[0434] Nach dreitägigen Nebel hat Capitain Thomas am 7. Mai um 9'/z Uhr Abends, kurz bevor er den Kurs des Schiller änderte, gegen seine Offiziere geäußert, der Schiller sei etwa 25 See-Meilen vor Bishop Rock. Auf seine langjährige Erfahrung gestützt, konnte er wohl mit einiger Zuversicht sagen, er sei wirklich da, wo er vermuthete. Eine Senkbleimessung 25 Seemeilen vom Lande entfernt genommen, hätte eine Tiefe von 60 bis 55 Faden ergeben müssen. Ein solches Resultat hätte aber dem Capitain Thomas keineswegs mit Bestimmtheit die Lage seines Schiffes angegeben. Deßhalb wahr¬ scheinlich unterließ Thomas, in leichtsinnigem Selbstvertrauen auf seine bishe¬ rigen Erfahrungen, die Senkbleimessung, die möglicherweise sein Schiff geret¬ tet hätte. Ich sage möglicherweise, weil ich aus dem Nachstehenden zu beweisen versuchen werde, daß eine Senkbleimessung selbst wenn sie schon um 8 Uhr Abends, vorgenommen worden wäre, nicht unbedingt die Katastrophe verhütet hätte. Das Verhör hat ferner ergeben, daß sofort nach dem Auflaufen des Ichiller die energischsten Versuche zur Rettung der Passagiere gemacht wur¬ den; daß aber theils die sich über das Schiff brechenden Wellen, theils das Ungestüm der in Angst sich andrängenden Passagiere, eine Rettung Aller, ja nur des kleinsten Theils derselben verhinderten. Wie wenig die Wahrheit des letzteren Hindernisses zur ruhigen Bedienung der Rettungsboote sich an¬ zweifeln läßt, ergiebt sich schon aus dem Umstände, daß an Bord des Schil¬ ler unter den 254 Passagieren 54 Frauen und 76 Kinder sich befan¬ den. — Die Rettungsgürtel und- Ringe waren in genügender Anzahl an Bord und in trefflichem Zustand. Das Anlegen derselben durch die Passagiere geschah aber meistens auf irrige Weise. Alle ans Land gespülter Leichen waren mit Rettungsgürteln versehen. So ergiebt die Untersuchung auch, daß die Rettungsbootein vorschriftsmäßiger Ordnung gewesen sind. — Daß Oelfarbe an den Stricken der Flaschenzüge ein Hinderniß für den Gebrauch der Boote gewesen sein soll, ist für einen mit nautischen Details Vertrauten geradezu lächer¬ lich. — Dagegen erhellt aus den Zeugenaussagen auch der vernommenen Passagiere, daß die See die Boote wegspülte, an der Schiffswand zerschmet¬ terte oder umschlug, während die Versuche gemacht wurden, sie flott zu ma¬ chen. — Aus den Verhandlungen des Gerichtshofes ergiebt sich auch die Thatsache, daß das einzige gerettete Boot kein schweres Rettungsboot, son¬ dern ein viel leichteres Boot (ein Gig) war. Das leichte Boot wurde von den Wellen gehoben und wieder niedergelassen, während über den schweren, mit Wasser und Menschen belasteten Rettungsbooten die See sich brach. Die wichtigsten Aussagen der ganzen Untersuchung förderte aber die Ver¬ nehmung zweier bewährter Küstenlootsen der Scilly-Inseln zu Tage. Dem Einen. Stephen Hicks, welcher seit 19 Jahren bei den Seitlich Lootse ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/434>, abgerufen am 17.06.2024.