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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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berathung auf die Erörterung solcher Wünsche verwendet, ist rein weggeworfen.
Denn die Erörterung führt nie zum Ziel, weil weder die Regierung noch das
Haus zu durchgreifenden Beschlüssen vorbereitet sind. Wir haben freilich schon
oft unsere Verwunderung aussprechen müssen, wie so viele der Herren Abge¬
ordneten es fertig bekommen, zugleich über Mangel und Ueberfluß an Arbeit
zu klagen. Als in der Sitzung vom 17. März der Abgeordnete Laster die
Ansicht aussprach, die Abgeordneten hätten mindestens noch auf drei Monate
zu arbeiten, erschallten Osos und lebhafter Widerspruch. An eine schnellere
Erledigung des Arbeitspensums ist aber bei der herrschenden Art, die Be¬
rathung mit unnützen Erörterungen anzuschwellen, gar nicht zu denken. Und
dabei kommt an jedem Schwerinstag eine oder ein paar Interpellationen,
warum dieses und dieses Gesetz noch nicht eingebracht sei. Wir fürchten, die
Herren im Abgeordnetenhause beachten nicht genug, daß in solcher unverständ¬
lichen Haltung eine ernste Gefahr für den Parlamentarismus liegt. In einer
Abendsitzung des 17. März wurde denn endlich die zweite Berathung des
Haushalts erledigt.

Am 18. März stand zur ersten Berathung der Entwurf einer neuen
Städteordnung für die fünf Provinzen der Kreisordnung von 1872 und der
Provinzialordnung von 187S. Es ist dies wiederum eines der Gesetze, welche
durch die Verwaltungsreform bedingt sind, zu der in der genannten Kreis¬
ordnung und Provinzialordnung die ersten Bausteine gelegt sind. Jemehr
aber diese Reformgesetzgebung fortschreitet, destomehr muß man sich leider von
der Unzweckmäßigkeit des Weges überzeugen, daß die Reform stückweise vor¬
gelegt wird und nicht als Ganzes. Die Hauptschuld liegt freilich an der
Ungeduld des Abgeordnetenhauses, der die Regierung leider nachgegeben hat.
Die Vorlegung des ganzen Werkes hätte selbstverständlich eine mehrjährige
Frist erfordert, und in jeder Session wäre natürlich die Regierung nach dem
Ganzen interpellirt worden, wie sie ja jetzt selbst interpellirt wird, warum sie mit
den noch nicht vorgelegten Theilen des Werkes im Rest ist. Hätte die Regie¬
rung jedoch sich zur Abwehr dieser mit einem parlamentarischen Ausdruck
nicht zu qualisicirenden Ungeduld entschlossen, so wäre dies dem Werke in hohem
Grade zu Gute gekommen. In der Provinzialordnung hat man bereits wie¬
der die Kretsordnung geändert, in dem. Competenzgesetz ändert man wieder
die Kreisordnung und die Provinzialordnung, in der Städteordnung des¬
gleichen. Durch das Unterrichtsgesetz und durch die Wegeordnung wird man
die Organisationsgesetze wiederum ändern, und den dringendsten Anlaß zu
einer abermaligen Aenderung wird man bei dem Communalsteuergesetz finden,
dann kommt aber wiederum ein neuer Anlaß bei der Landgemeindeordnung.
Wenn Regierung und Landtag diese Arbeitsmethode aushalten, so ist sie doch
für die ausführenden Behörden unerträglich.


berathung auf die Erörterung solcher Wünsche verwendet, ist rein weggeworfen.
Denn die Erörterung führt nie zum Ziel, weil weder die Regierung noch das
Haus zu durchgreifenden Beschlüssen vorbereitet sind. Wir haben freilich schon
oft unsere Verwunderung aussprechen müssen, wie so viele der Herren Abge¬
ordneten es fertig bekommen, zugleich über Mangel und Ueberfluß an Arbeit
zu klagen. Als in der Sitzung vom 17. März der Abgeordnete Laster die
Ansicht aussprach, die Abgeordneten hätten mindestens noch auf drei Monate
zu arbeiten, erschallten Osos und lebhafter Widerspruch. An eine schnellere
Erledigung des Arbeitspensums ist aber bei der herrschenden Art, die Be¬
rathung mit unnützen Erörterungen anzuschwellen, gar nicht zu denken. Und
dabei kommt an jedem Schwerinstag eine oder ein paar Interpellationen,
warum dieses und dieses Gesetz noch nicht eingebracht sei. Wir fürchten, die
Herren im Abgeordnetenhause beachten nicht genug, daß in solcher unverständ¬
lichen Haltung eine ernste Gefahr für den Parlamentarismus liegt. In einer
Abendsitzung des 17. März wurde denn endlich die zweite Berathung des
Haushalts erledigt.

Am 18. März stand zur ersten Berathung der Entwurf einer neuen
Städteordnung für die fünf Provinzen der Kreisordnung von 1872 und der
Provinzialordnung von 187S. Es ist dies wiederum eines der Gesetze, welche
durch die Verwaltungsreform bedingt sind, zu der in der genannten Kreis¬
ordnung und Provinzialordnung die ersten Bausteine gelegt sind. Jemehr
aber diese Reformgesetzgebung fortschreitet, destomehr muß man sich leider von
der Unzweckmäßigkeit des Weges überzeugen, daß die Reform stückweise vor¬
gelegt wird und nicht als Ganzes. Die Hauptschuld liegt freilich an der
Ungeduld des Abgeordnetenhauses, der die Regierung leider nachgegeben hat.
Die Vorlegung des ganzen Werkes hätte selbstverständlich eine mehrjährige
Frist erfordert, und in jeder Session wäre natürlich die Regierung nach dem
Ganzen interpellirt worden, wie sie ja jetzt selbst interpellirt wird, warum sie mit
den noch nicht vorgelegten Theilen des Werkes im Rest ist. Hätte die Regie¬
rung jedoch sich zur Abwehr dieser mit einem parlamentarischen Ausdruck
nicht zu qualisicirenden Ungeduld entschlossen, so wäre dies dem Werke in hohem
Grade zu Gute gekommen. In der Provinzialordnung hat man bereits wie¬
der die Kretsordnung geändert, in dem. Competenzgesetz ändert man wieder
die Kreisordnung und die Provinzialordnung, in der Städteordnung des¬
gleichen. Durch das Unterrichtsgesetz und durch die Wegeordnung wird man
die Organisationsgesetze wiederum ändern, und den dringendsten Anlaß zu
einer abermaligen Aenderung wird man bei dem Communalsteuergesetz finden,
dann kommt aber wiederum ein neuer Anlaß bei der Landgemeindeordnung.
Wenn Regierung und Landtag diese Arbeitsmethode aushalten, so ist sie doch
für die ausführenden Behörden unerträglich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/516>, abgerufen am 16.06.2024.