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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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geben: "daneben eine völlig geistlose Religion -- deßhalb bet den
Einsichtsvollen totale Irreligiosität, bei der ungebildeten Menge roher Aber¬
glaube:" fügen wir dem noch S. 293 hinzu, daß Aristoteles "im Gegensatz
zu dem nutzlosen Idealismus eines Platon durchaus Materialist ist" und etwa,
daß S. 274 schon Solon zu Athen zu eben erwähnten Behufe ein großes
Dicterion hat bauen lassen: so glauben wir dieses Stück allgemeiner Cultur¬
geschichte genügend charakterifirr zu haben, das wenigstens den Vorzug rela¬
tiver Kürze hat. Die Zeit, wo "Philip mit kräftiger Hand die Zügel des
Staates führte, welche die griechischen Republiken in die schwachen Hände
hvhlköpfiger Demagogen hatten naturgemäß entgleiten lassen" sowie die "all¬
gemeinen Culturfolgen der makedonischer Eroberungen" wollen wir übergehen,
möchten aber bitten uns zu sagen, wo uns der Kopf stehen soll, wenn der
Verfasser S. 288 sagt: "Die großen, weitere Kreise bewegenden Ereignisse der
punischen Kriege fielen erst in eine Zeit, wo der makedonische Alexander das
persische Reich zertrümmerte?" Soviel wie andern Quartaner wissen, hat
Alexander 334 v. Chr. das persische "Reich zertrümmert", und haben die aller¬
dings auch weiteren Kreisen nicht fremden punischen Kriege zwischen 269--146
v. Chr. statt gefunden.

Wir kommen zur römischen Geschichte, nicht ohne düstere Ahnungen, was
ein Buch, das mit Meester und Periöken so wunderlich umspringt, mit der
römischen Staatsverfassung anfangen wird, und S. 315 finden wir auch richtig
schon, daß zwischen Patriciern und Plebejern ein ethnischer Unterschied obge¬
waltet hat, und daß "die römischen Plebejer lebhaft an die Meester und
Periöken der Griechen erinnern." Hier und da fällt noch ein weiteres Streif¬
licht auf einzelne Punkte der griechischen Geschichte, z. B. S. 320, "daß in
Athen auf die Könige die 2 Archonten mitköniglicher Gewalt gefolgt sind:"
"Rom aber", fährt das Buch fort, "ward (nach der Vertreibung der Könige
nämlich) eine Mtlitärherrschaft aus dem Bündnisse einiger mäch¬
tigen Familien bestehend" -- eine neuentdeckte Staatsform, bei der es
unmöglich mit ganz natürlichen Dingen zugegangen sein kann. "Das
römische Volksthum" ist ein Abschnitt überschrieben: es fehlte zunächst an
einem solchen: aber (S. 324) "Anfangs unruhiger Geister im Innern voll war
das Schaffen eines Volkstypus--ein dringendes Gebot der Selbsterhaltung.
Blinder Gehorsam, Mimicry*) und -- der Krieg brachten auch diesen zu
Stande." "Rom ohne Handel, ohne Kunst, lebte von Krieg, mußte davon
leben, weil es nichts anderes hatte" (S. 332). Einen schätzbaren Beitrag zum
römischen Volksthum erhalten wir noch u. a. aus S. 363: "In Rom hatte
von jeher der Stoicismus geblüht, noch ehe Zeno denselben ersonnen:" das



-) soll auf Deutsch Nachahmungstrieb heißen, wie erst S. 727 auseinandergesetzt wird.

geben: „daneben eine völlig geistlose Religion — deßhalb bet den
Einsichtsvollen totale Irreligiosität, bei der ungebildeten Menge roher Aber¬
glaube:" fügen wir dem noch S. 293 hinzu, daß Aristoteles „im Gegensatz
zu dem nutzlosen Idealismus eines Platon durchaus Materialist ist" und etwa,
daß S. 274 schon Solon zu Athen zu eben erwähnten Behufe ein großes
Dicterion hat bauen lassen: so glauben wir dieses Stück allgemeiner Cultur¬
geschichte genügend charakterifirr zu haben, das wenigstens den Vorzug rela¬
tiver Kürze hat. Die Zeit, wo „Philip mit kräftiger Hand die Zügel des
Staates führte, welche die griechischen Republiken in die schwachen Hände
hvhlköpfiger Demagogen hatten naturgemäß entgleiten lassen" sowie die „all¬
gemeinen Culturfolgen der makedonischer Eroberungen" wollen wir übergehen,
möchten aber bitten uns zu sagen, wo uns der Kopf stehen soll, wenn der
Verfasser S. 288 sagt: „Die großen, weitere Kreise bewegenden Ereignisse der
punischen Kriege fielen erst in eine Zeit, wo der makedonische Alexander das
persische Reich zertrümmerte?" Soviel wie andern Quartaner wissen, hat
Alexander 334 v. Chr. das persische „Reich zertrümmert", und haben die aller¬
dings auch weiteren Kreisen nicht fremden punischen Kriege zwischen 269—146
v. Chr. statt gefunden.

Wir kommen zur römischen Geschichte, nicht ohne düstere Ahnungen, was
ein Buch, das mit Meester und Periöken so wunderlich umspringt, mit der
römischen Staatsverfassung anfangen wird, und S. 315 finden wir auch richtig
schon, daß zwischen Patriciern und Plebejern ein ethnischer Unterschied obge¬
waltet hat, und daß „die römischen Plebejer lebhaft an die Meester und
Periöken der Griechen erinnern." Hier und da fällt noch ein weiteres Streif¬
licht auf einzelne Punkte der griechischen Geschichte, z. B. S. 320, „daß in
Athen auf die Könige die 2 Archonten mitköniglicher Gewalt gefolgt sind:"
„Rom aber", fährt das Buch fort, „ward (nach der Vertreibung der Könige
nämlich) eine Mtlitärherrschaft aus dem Bündnisse einiger mäch¬
tigen Familien bestehend" — eine neuentdeckte Staatsform, bei der es
unmöglich mit ganz natürlichen Dingen zugegangen sein kann. „Das
römische Volksthum" ist ein Abschnitt überschrieben: es fehlte zunächst an
einem solchen: aber (S. 324) „Anfangs unruhiger Geister im Innern voll war
das Schaffen eines Volkstypus--ein dringendes Gebot der Selbsterhaltung.
Blinder Gehorsam, Mimicry*) und — der Krieg brachten auch diesen zu
Stande." „Rom ohne Handel, ohne Kunst, lebte von Krieg, mußte davon
leben, weil es nichts anderes hatte" (S. 332). Einen schätzbaren Beitrag zum
römischen Volksthum erhalten wir noch u. a. aus S. 363: „In Rom hatte
von jeher der Stoicismus geblüht, noch ehe Zeno denselben ersonnen:" das



-) soll auf Deutsch Nachahmungstrieb heißen, wie erst S. 727 auseinandergesetzt wird.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/132>, abgerufen am 18.05.2024.