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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Heiligen anschließt, ist die. nichts Eignes zu haben. Die Shaker betrachten
all ihr Besttzthum als Gut der gesammten Kirche, und da sie infolge ihres
streng festgehaltenen Cölibats keine leiblichen Erben haben, so findet die
Civilgesetzgebung keine Ursache, wider sie einzuschreiten. Das letzte Haupt¬
gebot ihrer Ethik endlich ist Gehorsam, zunächst gegen Gott, dann aber auch
gegen die Oberen. Die Shaker haben gegenwärtig 17 Colonien, Dörfer
oder, wenn man will. Klöster, von denen 12 auf den Osten, nämlich 3 auf
den Staat New-Uork, 4 (darunter das im Folgenden geschilderte Shirley und
das dort ebenfalls erwähnte, sieben englische Meilen von Shirley gelegene
Harvard) auf Massachusetts, 1 auf Connecticut, 2 auf Newhampshire, gleich¬
falls 2 auf Maine. und 5 auf den Westen, nämlich 4 auf Ohio und 1 auf
Kentucky kommen. Die Gesammtzahl der in diesen Dörfern wohnenden Mit¬
glieder der Seete soll circa 4000 betragen. Die Kirche ist eine geistige
Familie. Eine Familie muß aber ein sichtbares Oberhaupt haben, und dieses
Oberhaupt, welches "die Eltern Christus und Ann Lee" vertritt, ist für das
gesammte Shakerthum das sogenannte Ministerium in der Muttercolonie
New-Lebanon bei Albany, während die einzelnen Zweige der Kirche unter
der Leitung von männlichen und weiblichen nettesten stehen.

Der Gottesdienst in einer Shakergemeinde ist ein ebenso einfacher als
seltsamer. Ich werde ihn in der zweiten Abtheilung meines Aufsatzes aus¬
führlich schildern und auch einige der dabei gesungenen Lieder mittheilen. Die
Kinder der "Mutter Ann" kennen als Bürger des tausendjährigen Reiches
die darauf nur vorbereitenden Sacramente nicht mehr. Ihr Meetinghouse hat
weder Kreuze noch Glocken, weder Bilder noch eine Orgel. Man sieht dort
keinen Altar und keine Kanzel, und ebenso wenig ist von einem Clerus oder
einer Liturgie die Rede. Kurze Ansprachen aus dem Stegreife und Lieder, die
ebenfalls bisweilen improvisirt werden, namentlich aber eine Art Tanz, sind
alles, womit sie sich bei ihren gottesdienstlichen Zusammenkünften erbauen.
Als Musik dazu dienen jene Gesänge, welche bald als Bild ihrer Einheit
unter einander, bald als Wanderung nach dem Himmel, gewöhnlicher aber
als Aeußerung ihrer Freude über die Herrlichkeit des Schöpfers oder als un¬
willkürliche Kundgebung der brennenden Liebe zu ihrer heiligen Mutter
aufgefaßt werden.

Im Allgemeinen kann man sagen, ihr Glaube ist ihr Leben, ein Leben
voll Barmherzigkeit, voll fleißiger Arbeit und voll Enthaltsamkeit. Nach der
letztern Seite hin nennen sie es "das Leben der Engel." Theologisch kann
ihr Glaube kurz mit ihrer Formel ausgedrückt werden: Erlösung durch Jesus
Christus und durch Ann Lee, welche die Ordnung der zum Heile der Menschheit
von Gott Gesandten vervollständigte und beschloß. Sie ist die Wiederkunft
des Geistes Gottes, sie ist die göttliche Mutter der Gläubigen. Die Colo-


Heiligen anschließt, ist die. nichts Eignes zu haben. Die Shaker betrachten
all ihr Besttzthum als Gut der gesammten Kirche, und da sie infolge ihres
streng festgehaltenen Cölibats keine leiblichen Erben haben, so findet die
Civilgesetzgebung keine Ursache, wider sie einzuschreiten. Das letzte Haupt¬
gebot ihrer Ethik endlich ist Gehorsam, zunächst gegen Gott, dann aber auch
gegen die Oberen. Die Shaker haben gegenwärtig 17 Colonien, Dörfer
oder, wenn man will. Klöster, von denen 12 auf den Osten, nämlich 3 auf
den Staat New-Uork, 4 (darunter das im Folgenden geschilderte Shirley und
das dort ebenfalls erwähnte, sieben englische Meilen von Shirley gelegene
Harvard) auf Massachusetts, 1 auf Connecticut, 2 auf Newhampshire, gleich¬
falls 2 auf Maine. und 5 auf den Westen, nämlich 4 auf Ohio und 1 auf
Kentucky kommen. Die Gesammtzahl der in diesen Dörfern wohnenden Mit¬
glieder der Seete soll circa 4000 betragen. Die Kirche ist eine geistige
Familie. Eine Familie muß aber ein sichtbares Oberhaupt haben, und dieses
Oberhaupt, welches „die Eltern Christus und Ann Lee" vertritt, ist für das
gesammte Shakerthum das sogenannte Ministerium in der Muttercolonie
New-Lebanon bei Albany, während die einzelnen Zweige der Kirche unter
der Leitung von männlichen und weiblichen nettesten stehen.

Der Gottesdienst in einer Shakergemeinde ist ein ebenso einfacher als
seltsamer. Ich werde ihn in der zweiten Abtheilung meines Aufsatzes aus¬
führlich schildern und auch einige der dabei gesungenen Lieder mittheilen. Die
Kinder der „Mutter Ann" kennen als Bürger des tausendjährigen Reiches
die darauf nur vorbereitenden Sacramente nicht mehr. Ihr Meetinghouse hat
weder Kreuze noch Glocken, weder Bilder noch eine Orgel. Man sieht dort
keinen Altar und keine Kanzel, und ebenso wenig ist von einem Clerus oder
einer Liturgie die Rede. Kurze Ansprachen aus dem Stegreife und Lieder, die
ebenfalls bisweilen improvisirt werden, namentlich aber eine Art Tanz, sind
alles, womit sie sich bei ihren gottesdienstlichen Zusammenkünften erbauen.
Als Musik dazu dienen jene Gesänge, welche bald als Bild ihrer Einheit
unter einander, bald als Wanderung nach dem Himmel, gewöhnlicher aber
als Aeußerung ihrer Freude über die Herrlichkeit des Schöpfers oder als un¬
willkürliche Kundgebung der brennenden Liebe zu ihrer heiligen Mutter
aufgefaßt werden.

Im Allgemeinen kann man sagen, ihr Glaube ist ihr Leben, ein Leben
voll Barmherzigkeit, voll fleißiger Arbeit und voll Enthaltsamkeit. Nach der
letztern Seite hin nennen sie es „das Leben der Engel." Theologisch kann
ihr Glaube kurz mit ihrer Formel ausgedrückt werden: Erlösung durch Jesus
Christus und durch Ann Lee, welche die Ordnung der zum Heile der Menschheit
von Gott Gesandten vervollständigte und beschloß. Sie ist die Wiederkunft
des Geistes Gottes, sie ist die göttliche Mutter der Gläubigen. Die Colo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/160>, abgerufen am 18.05.2024.