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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Schiller's "Geschichte des dreißigjährigen Krieges". Ich finde an Schiller's
Stil ein außerordentliches Wohlgefallen. Seine Geschichte enthält eine Fülle
der wahrsten und tiefsten Gedanken und zwar in einer so populären und
gefälligen Sprache, daß die Pedanten ihn für "oberflächlich" erklären könnten."
Ich glaube keinem Widerspruche zu begegnen, wenn ich behaupte, daß
Macaulay gewisse Reize seiner Prosa in der unvergleichlichen "Kistor? ot'
Lvglanä" der Lectüre der Schiller'schen Prosa verdankt. Zudem ist ein
merklicher Unterschied zwischen Macaulay's Stil in den vor der "llistor?
ot Dnswnä" geschriebenen Essays und den späteren Aufsätzen wie auch der
"Geschichte" selbst. Eine eingehende Untersuchung über die innere stilistische
Wahlverwandtschaft Schiller's und Macaulay's ist hier nicht möglich, vielleicht
gebe ich durch die bloße Andeutung zu einer derartigen Arbeit Veranlassung, die
ganz eigenthümliche, für Schiller wie für Macaulay ehrende Resultate ans Licht
ziehen könnte. (Und Walter Scott? d. R.) Was Macaulay vor seiner Be¬
kanntschaft mit Schiller's Werken in unbewußter Künstlerschaft stilistisch ge¬
leistet, dessen wurde er sich nach der Rückkehr in die Heimath immer mehr be¬
wußt, --nämlich der Nothwendigkeit der größtmöglichen Klarheit in der
Prosa. Freilich ist diese höchste Stiltugend für den Engländer leichter zu üben
als für den Deutschen, dem zahllose böse und doch belobte Beispiele die
besten Vorsätze verderben. Während Macaulay an seiner "Englischen Ge¬
schichte" arbeitete, schrieb er in sein Tagebuch die beherzigenswerthen Worte:
"2. Januar 1850. Wie wenig studirt man doch heute die unendlich wichtige
Kunst der Durchsichtigkeit des Stils! Kaum ein populärer Schriftsteller, ich
ausgenommen, denkt auch nur daran. Viele streben sogar augenscheinlich
danach absichtlich dunkel zu sein. Sie mögen freilich in einer Beziehung
Recht haben, sintemalen viele Leser das für tief halten, was doch nur dunkel
ist, und den klaren, durchsichtigen Stil seicht nennen. Aber eoraMv l und
hübsch an ^nov 2850 gedacht. Wo werden dann eure Emersons") sein?
Aber auch dann wird man noch Herodotos mit Vergnügen lesen, -- Ich
Will mein Bestes thun, um dann auch noch gelesen zu werden!"

Bei der ungeheuren Belesenheit und sprachlichen Vielseitigkeit Macaulay's,
die ihn zu einem reifen und maßgebenden Urtheile in literartschen Dingen
Mehr als einen Andern befähigte, müssen natürlich seine Aeußerungen über
deutsche Literatur uns von besonderem Interesse sein. Mit der Kenntniß der
deutschen Sprache ging ihm eine neue Welt aus; Goethe, Lessing, namentlich
aber Schiller blieben seine am häufigsten gelesenen Autoren. Macaulay las



") Der auch in Deutschland zu Ehren gebrachte flbyllinisch dunkle Ralph Waldo Emerson,
Amerikas Prosalumen.

Schiller's „Geschichte des dreißigjährigen Krieges". Ich finde an Schiller's
Stil ein außerordentliches Wohlgefallen. Seine Geschichte enthält eine Fülle
der wahrsten und tiefsten Gedanken und zwar in einer so populären und
gefälligen Sprache, daß die Pedanten ihn für „oberflächlich" erklären könnten."
Ich glaube keinem Widerspruche zu begegnen, wenn ich behaupte, daß
Macaulay gewisse Reize seiner Prosa in der unvergleichlichen „Kistor? ot'
Lvglanä" der Lectüre der Schiller'schen Prosa verdankt. Zudem ist ein
merklicher Unterschied zwischen Macaulay's Stil in den vor der «llistor?
ot Dnswnä» geschriebenen Essays und den späteren Aufsätzen wie auch der
„Geschichte" selbst. Eine eingehende Untersuchung über die innere stilistische
Wahlverwandtschaft Schiller's und Macaulay's ist hier nicht möglich, vielleicht
gebe ich durch die bloße Andeutung zu einer derartigen Arbeit Veranlassung, die
ganz eigenthümliche, für Schiller wie für Macaulay ehrende Resultate ans Licht
ziehen könnte. (Und Walter Scott? d. R.) Was Macaulay vor seiner Be¬
kanntschaft mit Schiller's Werken in unbewußter Künstlerschaft stilistisch ge¬
leistet, dessen wurde er sich nach der Rückkehr in die Heimath immer mehr be¬
wußt, —nämlich der Nothwendigkeit der größtmöglichen Klarheit in der
Prosa. Freilich ist diese höchste Stiltugend für den Engländer leichter zu üben
als für den Deutschen, dem zahllose böse und doch belobte Beispiele die
besten Vorsätze verderben. Während Macaulay an seiner „Englischen Ge¬
schichte" arbeitete, schrieb er in sein Tagebuch die beherzigenswerthen Worte:
"2. Januar 1850. Wie wenig studirt man doch heute die unendlich wichtige
Kunst der Durchsichtigkeit des Stils! Kaum ein populärer Schriftsteller, ich
ausgenommen, denkt auch nur daran. Viele streben sogar augenscheinlich
danach absichtlich dunkel zu sein. Sie mögen freilich in einer Beziehung
Recht haben, sintemalen viele Leser das für tief halten, was doch nur dunkel
ist, und den klaren, durchsichtigen Stil seicht nennen. Aber eoraMv l und
hübsch an ^nov 2850 gedacht. Wo werden dann eure Emersons") sein?
Aber auch dann wird man noch Herodotos mit Vergnügen lesen, — Ich
Will mein Bestes thun, um dann auch noch gelesen zu werden!"

Bei der ungeheuren Belesenheit und sprachlichen Vielseitigkeit Macaulay's,
die ihn zu einem reifen und maßgebenden Urtheile in literartschen Dingen
Mehr als einen Andern befähigte, müssen natürlich seine Aeußerungen über
deutsche Literatur uns von besonderem Interesse sein. Mit der Kenntniß der
deutschen Sprache ging ihm eine neue Welt aus; Goethe, Lessing, namentlich
aber Schiller blieben seine am häufigsten gelesenen Autoren. Macaulay las



") Der auch in Deutschland zu Ehren gebrachte flbyllinisch dunkle Ralph Waldo Emerson,
Amerikas Prosalumen.
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[0179] Schiller's „Geschichte des dreißigjährigen Krieges". Ich finde an Schiller's Stil ein außerordentliches Wohlgefallen. Seine Geschichte enthält eine Fülle der wahrsten und tiefsten Gedanken und zwar in einer so populären und gefälligen Sprache, daß die Pedanten ihn für „oberflächlich" erklären könnten." Ich glaube keinem Widerspruche zu begegnen, wenn ich behaupte, daß Macaulay gewisse Reize seiner Prosa in der unvergleichlichen „Kistor? ot' Lvglanä" der Lectüre der Schiller'schen Prosa verdankt. Zudem ist ein merklicher Unterschied zwischen Macaulay's Stil in den vor der «llistor? ot Dnswnä» geschriebenen Essays und den späteren Aufsätzen wie auch der „Geschichte" selbst. Eine eingehende Untersuchung über die innere stilistische Wahlverwandtschaft Schiller's und Macaulay's ist hier nicht möglich, vielleicht gebe ich durch die bloße Andeutung zu einer derartigen Arbeit Veranlassung, die ganz eigenthümliche, für Schiller wie für Macaulay ehrende Resultate ans Licht ziehen könnte. (Und Walter Scott? d. R.) Was Macaulay vor seiner Be¬ kanntschaft mit Schiller's Werken in unbewußter Künstlerschaft stilistisch ge¬ leistet, dessen wurde er sich nach der Rückkehr in die Heimath immer mehr be¬ wußt, —nämlich der Nothwendigkeit der größtmöglichen Klarheit in der Prosa. Freilich ist diese höchste Stiltugend für den Engländer leichter zu üben als für den Deutschen, dem zahllose böse und doch belobte Beispiele die besten Vorsätze verderben. Während Macaulay an seiner „Englischen Ge¬ schichte" arbeitete, schrieb er in sein Tagebuch die beherzigenswerthen Worte: "2. Januar 1850. Wie wenig studirt man doch heute die unendlich wichtige Kunst der Durchsichtigkeit des Stils! Kaum ein populärer Schriftsteller, ich ausgenommen, denkt auch nur daran. Viele streben sogar augenscheinlich danach absichtlich dunkel zu sein. Sie mögen freilich in einer Beziehung Recht haben, sintemalen viele Leser das für tief halten, was doch nur dunkel ist, und den klaren, durchsichtigen Stil seicht nennen. Aber eoraMv l und hübsch an ^nov 2850 gedacht. Wo werden dann eure Emersons") sein? Aber auch dann wird man noch Herodotos mit Vergnügen lesen, — Ich Will mein Bestes thun, um dann auch noch gelesen zu werden!" Bei der ungeheuren Belesenheit und sprachlichen Vielseitigkeit Macaulay's, die ihn zu einem reifen und maßgebenden Urtheile in literartschen Dingen Mehr als einen Andern befähigte, müssen natürlich seine Aeußerungen über deutsche Literatur uns von besonderem Interesse sein. Mit der Kenntniß der deutschen Sprache ging ihm eine neue Welt aus; Goethe, Lessing, namentlich aber Schiller blieben seine am häufigsten gelesenen Autoren. Macaulay las ") Der auch in Deutschland zu Ehren gebrachte flbyllinisch dunkle Ralph Waldo Emerson, Amerikas Prosalumen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/179>, abgerufen am 19.05.2024.