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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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nämlich die bedeutenderen Dichter, römische, griechische, italienische, spanische,
mehr als einmal im Jahre vom Anfang bis zu Ende durch.(?)

In seinem Tagebuch vom 21. September 1850, also aus der vielumwor¬
benen Zeit der Abfassung der "Histor? ok Nnslanä" finden wir: "Ich be-
gannLesstng's Laokoon und las 40 oder 50 Seiten, manchmal mit innerem
Widerspruch gegen den Inhalt, aber immer bewundernd und zulernend."
(Macaulay war, was hierbei noch in Betracht kommt, ein äußerst genauer
Kenner der römischen und griechischen Alterthümer.) -- "Bücher wie Lessing's
Laokoon, oder Stellen wie die Kritik des Hamlet im Wilhelm Meister
erfüllen mich mit Bewunderung und Verzweiflung, dem Bewußtsein der ei¬
genen Schwäche." Während einer Reise, die er nach der Rückkehr von Indien
unternahm, schreibt er in Florenz: "Mein Zimmer geht auf einen Hof, voll
von Orangenbäumen und Marmorstatuen. Die Letzteren kann ich niemals
ansehen, ohne an die arme Mignon zu denken:


"Und Marmorbilder stehn und sehn mich an, --
Was hat man Dir, Du armes Kind, gethan?"

Ich kenne keine zwei Verse in der Welt, die ich lieber geschrieben haben
möchte, als jene!"

Ueber Schiller's Dramen heißt es in einem Briefe an seine Nichte:
"Maria Stuart ist keines meiner Lieblingsstücke. Ich möchte ihm die vierte
Stelle unter seinen Dramen anweisen, die ich so ordne: Wallenstein, Wilhelm
Tell, Maria Stuart, Jungfrau von Orleans. Wenn ich nun aber auch im
allgemeinen seine Maria Stuart nicht sehr bewundere, so zähle ich doch die
Fotheringhay-Scene im 5. Akt zu dem Allerbesten, was er je geschrieben, ja
überhaupt zu den besten dramatischen Thaten seit Shakespeare." In den fünf¬
ziger Jahren unterbricht er die Arbeit an seiner Lebensaufgabe, der "Geschichte
Englands," fast nur noch, um sich an der Lectüre der deutschen Meisterwerke
zu erholen. In einem Tagebuchblatt heißt es: "Beendigte heute den Don
Karlos. Ich habe ziemlich lange daran gelesen. Ein schönes Stück mit
allen seinen Fehlern. Schiller's guter und böser Genius lagen mit einander
im Kampfe, ganz wie Shakespeare's guter und böser Genius in "Romeo und
Julie" kämpften. Don Karlos ist zur Hälfte von dem Dichter des Wallen¬
stein, zur andern Hälfte von dem der Räuber. Nach Romeo und Julie that
Shakespeare keinen Rückschritt mehr, ebenso wenig wie Schiller nach dem Don
Karlos----Habe den ganzen Morgen geschrieben." Wenn auch Macaulay
bei der Lectüre der "Jungfrau von Orleans" wegen ihres mit der geschicht¬
lichen Treue in bedenklichsten Widerspruch stehenden letzten Aktes zu recht
harten Ausdrücken kommt, welche man dem gewissenhaften Historiker
verzeihen muß, so greift er doch immer wieder zu Schiller, und wenn er


nämlich die bedeutenderen Dichter, römische, griechische, italienische, spanische,
mehr als einmal im Jahre vom Anfang bis zu Ende durch.(?)

In seinem Tagebuch vom 21. September 1850, also aus der vielumwor¬
benen Zeit der Abfassung der „Histor? ok Nnslanä" finden wir: „Ich be-
gannLesstng's Laokoon und las 40 oder 50 Seiten, manchmal mit innerem
Widerspruch gegen den Inhalt, aber immer bewundernd und zulernend."
(Macaulay war, was hierbei noch in Betracht kommt, ein äußerst genauer
Kenner der römischen und griechischen Alterthümer.) — „Bücher wie Lessing's
Laokoon, oder Stellen wie die Kritik des Hamlet im Wilhelm Meister
erfüllen mich mit Bewunderung und Verzweiflung, dem Bewußtsein der ei¬
genen Schwäche." Während einer Reise, die er nach der Rückkehr von Indien
unternahm, schreibt er in Florenz: „Mein Zimmer geht auf einen Hof, voll
von Orangenbäumen und Marmorstatuen. Die Letzteren kann ich niemals
ansehen, ohne an die arme Mignon zu denken:


„Und Marmorbilder stehn und sehn mich an, —
Was hat man Dir, Du armes Kind, gethan?"

Ich kenne keine zwei Verse in der Welt, die ich lieber geschrieben haben
möchte, als jene!"

Ueber Schiller's Dramen heißt es in einem Briefe an seine Nichte:
„Maria Stuart ist keines meiner Lieblingsstücke. Ich möchte ihm die vierte
Stelle unter seinen Dramen anweisen, die ich so ordne: Wallenstein, Wilhelm
Tell, Maria Stuart, Jungfrau von Orleans. Wenn ich nun aber auch im
allgemeinen seine Maria Stuart nicht sehr bewundere, so zähle ich doch die
Fotheringhay-Scene im 5. Akt zu dem Allerbesten, was er je geschrieben, ja
überhaupt zu den besten dramatischen Thaten seit Shakespeare." In den fünf¬
ziger Jahren unterbricht er die Arbeit an seiner Lebensaufgabe, der „Geschichte
Englands," fast nur noch, um sich an der Lectüre der deutschen Meisterwerke
zu erholen. In einem Tagebuchblatt heißt es: „Beendigte heute den Don
Karlos. Ich habe ziemlich lange daran gelesen. Ein schönes Stück mit
allen seinen Fehlern. Schiller's guter und böser Genius lagen mit einander
im Kampfe, ganz wie Shakespeare's guter und böser Genius in „Romeo und
Julie" kämpften. Don Karlos ist zur Hälfte von dem Dichter des Wallen¬
stein, zur andern Hälfte von dem der Räuber. Nach Romeo und Julie that
Shakespeare keinen Rückschritt mehr, ebenso wenig wie Schiller nach dem Don
Karlos----Habe den ganzen Morgen geschrieben." Wenn auch Macaulay
bei der Lectüre der „Jungfrau von Orleans" wegen ihres mit der geschicht¬
lichen Treue in bedenklichsten Widerspruch stehenden letzten Aktes zu recht
harten Ausdrücken kommt, welche man dem gewissenhaften Historiker
verzeihen muß, so greift er doch immer wieder zu Schiller, und wenn er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/180>, abgerufen am 19.05.2024.