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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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sache selbst verrichten. Die in Shirley betriebene Industrie besteht in der
Verfertigung von Besen, worin sich unter andern Brüdern der Vorsteher der
Colonie. Eider John Whiteley auszeichnet, in der Pflege ihrer Brombeer¬
sträuche, im Trocknen von jungen Maiskolben und in der Bereitung von
Aepfelsauce und Fruchtgelees.

Eider Whiteley ist von Geburt ein Engländer, der, bevor er nach Amerika
kam, von Robert Owen die Shaker als Leute hatte rühmen hören, die mit
Erfolg nach kommunistischen Grundsätzen lebten. Kurz nach seinem Eintreffen
hier, im Jahre 1843, hörte er die Secte auch wegen ihrer außerordentlichen
Rechtlichkeit loben. Er versuchte, auch über ihren Glauben etwas zu erfahren,
doch gelang ihm das erst fünf Jahre später, wo ihm ein Kamerad in seinem
Geschäfte -- er war ein Wollsortirer -- einige von den Büchern lieh, in
welcher die Secte ihre Lehren niedergelegt hat, und von denen Dunlavy's
" Manifest"" das wichtigste ist. Er las daraus an Winterabenden seiner
Frau vor. Beide begannen "Glauben zu gewinnen" und an dem Leben der
Shaker Gefallen zu finden, und als sie bald nachher die Bekanntschaft von
Thalern machten, welche Freunde in der Stadt Andover besuchten, zogen sie
auf deren Einladung mit nach Shirley. Wieder nach Andover zurückgekehrt,
kamen sie zwei Monate später wieder und brachten ihre Kinder mit, um sich
ganz in Shirley niederzulassen. Fast vier Jahre hatten sie hier miteinander
in der südlichen Familie gelebt, als Whiteley gebeten wurde, die Leitung der
weltlichen Angelegenheiten der nördlichen Familie zu übernehmen und damit
sich vollständig der Secte anzuschließen, was die Trennung von seiner Frau
verlangte. Die Probe für ihren Glauben war gekommen, und sie bestanden
sie. Die Eheleute, die sich von Kindheit auf gekannt hatten, trennten sich,
indem sie in die Schwesternabtheilung übertrat, die Kinder wurden der Ob¬
hut der Gemeinde übergeben. Nach wenigen Jahren wurde Whiteley Eider
der Nordsamilie, und später wählte man ihn zum Vorsteher der ganzen Ge¬
meinde. Er erzählt, daß er auf seiner Fahrt nach Amerika einen Traum
oder ein Gesicht gehabt, in welchem ihn seine zukünftige Wohnstätte gezeigt
wurde und zwar so deutlich, daß er das Gesicht niederschrieb. Als er nach
Shirley kam. erkannte er sofort das Bild seines damaligen Traumes wieder.

In früheren Zeiten, ehe die Gottlosigkeit des Genusses gegohrener Ge¬
tränke von den Temperanz-Predigern klar erwiesen und auch von den Shakern
erkannt worden war, gab es in Shirley einen Bruder, der Wein machte,
wozu er sich bisweilen der amerikanischen Waldtraube, bisweilen auch der
Hollunderbeeren bediente, und noch jetzt stehen im Keller der Office einige
Flaschen von diesem Getränke. Schon seit vielen Jahren ist aber hier
kein Wein mehr gekeltert worden; denn die Shaker enthalten sich streng aller
berauschenden Flüssigkeiten und trinken außer Wasser nur Milch, Kaffee und


sache selbst verrichten. Die in Shirley betriebene Industrie besteht in der
Verfertigung von Besen, worin sich unter andern Brüdern der Vorsteher der
Colonie. Eider John Whiteley auszeichnet, in der Pflege ihrer Brombeer¬
sträuche, im Trocknen von jungen Maiskolben und in der Bereitung von
Aepfelsauce und Fruchtgelees.

Eider Whiteley ist von Geburt ein Engländer, der, bevor er nach Amerika
kam, von Robert Owen die Shaker als Leute hatte rühmen hören, die mit
Erfolg nach kommunistischen Grundsätzen lebten. Kurz nach seinem Eintreffen
hier, im Jahre 1843, hörte er die Secte auch wegen ihrer außerordentlichen
Rechtlichkeit loben. Er versuchte, auch über ihren Glauben etwas zu erfahren,
doch gelang ihm das erst fünf Jahre später, wo ihm ein Kamerad in seinem
Geschäfte — er war ein Wollsortirer — einige von den Büchern lieh, in
welcher die Secte ihre Lehren niedergelegt hat, und von denen Dunlavy's
„ Manifest»" das wichtigste ist. Er las daraus an Winterabenden seiner
Frau vor. Beide begannen „Glauben zu gewinnen" und an dem Leben der
Shaker Gefallen zu finden, und als sie bald nachher die Bekanntschaft von
Thalern machten, welche Freunde in der Stadt Andover besuchten, zogen sie
auf deren Einladung mit nach Shirley. Wieder nach Andover zurückgekehrt,
kamen sie zwei Monate später wieder und brachten ihre Kinder mit, um sich
ganz in Shirley niederzulassen. Fast vier Jahre hatten sie hier miteinander
in der südlichen Familie gelebt, als Whiteley gebeten wurde, die Leitung der
weltlichen Angelegenheiten der nördlichen Familie zu übernehmen und damit
sich vollständig der Secte anzuschließen, was die Trennung von seiner Frau
verlangte. Die Probe für ihren Glauben war gekommen, und sie bestanden
sie. Die Eheleute, die sich von Kindheit auf gekannt hatten, trennten sich,
indem sie in die Schwesternabtheilung übertrat, die Kinder wurden der Ob¬
hut der Gemeinde übergeben. Nach wenigen Jahren wurde Whiteley Eider
der Nordsamilie, und später wählte man ihn zum Vorsteher der ganzen Ge¬
meinde. Er erzählt, daß er auf seiner Fahrt nach Amerika einen Traum
oder ein Gesicht gehabt, in welchem ihn seine zukünftige Wohnstätte gezeigt
wurde und zwar so deutlich, daß er das Gesicht niederschrieb. Als er nach
Shirley kam. erkannte er sofort das Bild seines damaligen Traumes wieder.

In früheren Zeiten, ehe die Gottlosigkeit des Genusses gegohrener Ge¬
tränke von den Temperanz-Predigern klar erwiesen und auch von den Shakern
erkannt worden war, gab es in Shirley einen Bruder, der Wein machte,
wozu er sich bisweilen der amerikanischen Waldtraube, bisweilen auch der
Hollunderbeeren bediente, und noch jetzt stehen im Keller der Office einige
Flaschen von diesem Getränke. Schon seit vielen Jahren ist aber hier
kein Wein mehr gekeltert worden; denn die Shaker enthalten sich streng aller
berauschenden Flüssigkeiten und trinken außer Wasser nur Milch, Kaffee und


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[0195] sache selbst verrichten. Die in Shirley betriebene Industrie besteht in der Verfertigung von Besen, worin sich unter andern Brüdern der Vorsteher der Colonie. Eider John Whiteley auszeichnet, in der Pflege ihrer Brombeer¬ sträuche, im Trocknen von jungen Maiskolben und in der Bereitung von Aepfelsauce und Fruchtgelees. Eider Whiteley ist von Geburt ein Engländer, der, bevor er nach Amerika kam, von Robert Owen die Shaker als Leute hatte rühmen hören, die mit Erfolg nach kommunistischen Grundsätzen lebten. Kurz nach seinem Eintreffen hier, im Jahre 1843, hörte er die Secte auch wegen ihrer außerordentlichen Rechtlichkeit loben. Er versuchte, auch über ihren Glauben etwas zu erfahren, doch gelang ihm das erst fünf Jahre später, wo ihm ein Kamerad in seinem Geschäfte — er war ein Wollsortirer — einige von den Büchern lieh, in welcher die Secte ihre Lehren niedergelegt hat, und von denen Dunlavy's „ Manifest»" das wichtigste ist. Er las daraus an Winterabenden seiner Frau vor. Beide begannen „Glauben zu gewinnen" und an dem Leben der Shaker Gefallen zu finden, und als sie bald nachher die Bekanntschaft von Thalern machten, welche Freunde in der Stadt Andover besuchten, zogen sie auf deren Einladung mit nach Shirley. Wieder nach Andover zurückgekehrt, kamen sie zwei Monate später wieder und brachten ihre Kinder mit, um sich ganz in Shirley niederzulassen. Fast vier Jahre hatten sie hier miteinander in der südlichen Familie gelebt, als Whiteley gebeten wurde, die Leitung der weltlichen Angelegenheiten der nördlichen Familie zu übernehmen und damit sich vollständig der Secte anzuschließen, was die Trennung von seiner Frau verlangte. Die Probe für ihren Glauben war gekommen, und sie bestanden sie. Die Eheleute, die sich von Kindheit auf gekannt hatten, trennten sich, indem sie in die Schwesternabtheilung übertrat, die Kinder wurden der Ob¬ hut der Gemeinde übergeben. Nach wenigen Jahren wurde Whiteley Eider der Nordsamilie, und später wählte man ihn zum Vorsteher der ganzen Ge¬ meinde. Er erzählt, daß er auf seiner Fahrt nach Amerika einen Traum oder ein Gesicht gehabt, in welchem ihn seine zukünftige Wohnstätte gezeigt wurde und zwar so deutlich, daß er das Gesicht niederschrieb. Als er nach Shirley kam. erkannte er sofort das Bild seines damaligen Traumes wieder. In früheren Zeiten, ehe die Gottlosigkeit des Genusses gegohrener Ge¬ tränke von den Temperanz-Predigern klar erwiesen und auch von den Shakern erkannt worden war, gab es in Shirley einen Bruder, der Wein machte, wozu er sich bisweilen der amerikanischen Waldtraube, bisweilen auch der Hollunderbeeren bediente, und noch jetzt stehen im Keller der Office einige Flaschen von diesem Getränke. Schon seit vielen Jahren ist aber hier kein Wein mehr gekeltert worden; denn die Shaker enthalten sich streng aller berauschenden Flüssigkeiten und trinken außer Wasser nur Milch, Kaffee und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/195>, abgerufen am 29.04.2024.