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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Thee. Kommt es ja einmal vor. daß der natürliche Mensch in einem Bruder
auf einem Schlucke des verpöntem Saftes besteht, so tragen die Andern den
Umständen Rechnung und verwehren ihm die Sache nicht, sondern beklagen
blos kopfschüttelnd seine Schwäche. Eine ähnliche sanfte Duldsamkeit scheinen
sie dem virginischen Kraute gegenüber zu beobachten; denn ich sah einen
Bruder, der nicht blos Tabak schnupfte, sondern auch kaute. Viele vermeiden
auch den Genuß von Thee und Kaffee, als aufregend, sowie den von heißen
Biscuits, Krapfen und der ganzen unverdaulichen Bäckerei der amerikanischen
Farmersküche, die so viele Magenkranke erzeugt, wogegen sie sich dem neuen
Evangelium von dem Seligwerden durch Hafergrützschleim und Schwarzbrot
sehr geneigt zeigen. Viele von den jüngern Leuten essen gar kein Fleisch,
indem sie der Lehre und dem Beispiele unseres guten Eider Fräser folgen,
der seit fünfunddreißig Jahren sich sein blühendes schottisches Gesicht mit
Hülfe einer Diät frisch erhalten hat, die keinem lebenden Geschöpfe die Existenz
kostet, und der in seinem siebzigsten Jahre so schöne rothe Wangen aufzu¬
weisen hat, wie kaum irgend ein Amerikaner in seiner Jugendblüthe. Er
und andere Vegetarianer sollen diese Enthaltsamkeit auf Grund von Be¬
lehrungen üben, die ihnen von Geistern aus dem Jenseits zugekommen sind.
Im Allgemeinen jedoch kamen mir die hiesigen Shaker nicht recht gesund vor,
und namentlich die Männer hatten ein Etwas an sich, was zugleich an katho¬
lische Geistliche und an Leute, die im Spielet verpflegt werden, denken ließ.

Wir besuchten die gottesdienstlichen Versammlungen der Shaker regel¬
mäßig. Dieselben werden während des Sommers in der oben erwähnten
Kirche oder, wie sie sagen, dem Meetinghouse abgehalten, wogegen sie im
Winter in den großen Privatstuben stattfinden, welche das Jahr hindurch
zu den Versammlungen der einzelnen Familien dienen. In der Kirche waren
die für Besuche von auswärts bestimmten Bänke stets gefüllt. Es waren
Leute aus dem benachbarten Dörfern, sowie aus der nahegelegenen Stadt
Lancaster, wo im Sommer viele Fremde aus Boston ihren Aufenthalt
nehmen, zugegen. Modevolk in Seide und Spitzen und Landvolk in grobem
selbstgemachten Zeug. Aber alle sahen achtungsvoll und aufmerksam dem
Gottesdienste zu, der, wie sehr er auch von dem unsern abweicht, selbst in
seiner groteskesten Phase, meinem Gefühl nach, nur Einfältige zum Lachen
reizen kann.

Die Versammlungen wurden immer mit einem Gesänge eröffnet, wobei
aber die geschriebn"" Gesangbücher, von denen ich später eins durchsehen konnte,
nicht benutzt wurden. Eins dieser Lieder lautete:


">>VbiIs livinZ povor llovs so trof,
^ livinZ sont ^ infam to be,
l'o Zitin et6 xröoious xitt ol (^va

Thee. Kommt es ja einmal vor. daß der natürliche Mensch in einem Bruder
auf einem Schlucke des verpöntem Saftes besteht, so tragen die Andern den
Umständen Rechnung und verwehren ihm die Sache nicht, sondern beklagen
blos kopfschüttelnd seine Schwäche. Eine ähnliche sanfte Duldsamkeit scheinen
sie dem virginischen Kraute gegenüber zu beobachten; denn ich sah einen
Bruder, der nicht blos Tabak schnupfte, sondern auch kaute. Viele vermeiden
auch den Genuß von Thee und Kaffee, als aufregend, sowie den von heißen
Biscuits, Krapfen und der ganzen unverdaulichen Bäckerei der amerikanischen
Farmersküche, die so viele Magenkranke erzeugt, wogegen sie sich dem neuen
Evangelium von dem Seligwerden durch Hafergrützschleim und Schwarzbrot
sehr geneigt zeigen. Viele von den jüngern Leuten essen gar kein Fleisch,
indem sie der Lehre und dem Beispiele unseres guten Eider Fräser folgen,
der seit fünfunddreißig Jahren sich sein blühendes schottisches Gesicht mit
Hülfe einer Diät frisch erhalten hat, die keinem lebenden Geschöpfe die Existenz
kostet, und der in seinem siebzigsten Jahre so schöne rothe Wangen aufzu¬
weisen hat, wie kaum irgend ein Amerikaner in seiner Jugendblüthe. Er
und andere Vegetarianer sollen diese Enthaltsamkeit auf Grund von Be¬
lehrungen üben, die ihnen von Geistern aus dem Jenseits zugekommen sind.
Im Allgemeinen jedoch kamen mir die hiesigen Shaker nicht recht gesund vor,
und namentlich die Männer hatten ein Etwas an sich, was zugleich an katho¬
lische Geistliche und an Leute, die im Spielet verpflegt werden, denken ließ.

Wir besuchten die gottesdienstlichen Versammlungen der Shaker regel¬
mäßig. Dieselben werden während des Sommers in der oben erwähnten
Kirche oder, wie sie sagen, dem Meetinghouse abgehalten, wogegen sie im
Winter in den großen Privatstuben stattfinden, welche das Jahr hindurch
zu den Versammlungen der einzelnen Familien dienen. In der Kirche waren
die für Besuche von auswärts bestimmten Bänke stets gefüllt. Es waren
Leute aus dem benachbarten Dörfern, sowie aus der nahegelegenen Stadt
Lancaster, wo im Sommer viele Fremde aus Boston ihren Aufenthalt
nehmen, zugegen. Modevolk in Seide und Spitzen und Landvolk in grobem
selbstgemachten Zeug. Aber alle sahen achtungsvoll und aufmerksam dem
Gottesdienste zu, der, wie sehr er auch von dem unsern abweicht, selbst in
seiner groteskesten Phase, meinem Gefühl nach, nur Einfältige zum Lachen
reizen kann.

Die Versammlungen wurden immer mit einem Gesänge eröffnet, wobei
aber die geschriebn«» Gesangbücher, von denen ich später eins durchsehen konnte,
nicht benutzt wurden. Eins dieser Lieder lautete:


„>>VbiIs livinZ povor llovs so trof,
^ livinZ sont ^ infam to be,
l'o Zitin et6 xröoious xitt ol (^va

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[0196] Thee. Kommt es ja einmal vor. daß der natürliche Mensch in einem Bruder auf einem Schlucke des verpöntem Saftes besteht, so tragen die Andern den Umständen Rechnung und verwehren ihm die Sache nicht, sondern beklagen blos kopfschüttelnd seine Schwäche. Eine ähnliche sanfte Duldsamkeit scheinen sie dem virginischen Kraute gegenüber zu beobachten; denn ich sah einen Bruder, der nicht blos Tabak schnupfte, sondern auch kaute. Viele vermeiden auch den Genuß von Thee und Kaffee, als aufregend, sowie den von heißen Biscuits, Krapfen und der ganzen unverdaulichen Bäckerei der amerikanischen Farmersküche, die so viele Magenkranke erzeugt, wogegen sie sich dem neuen Evangelium von dem Seligwerden durch Hafergrützschleim und Schwarzbrot sehr geneigt zeigen. Viele von den jüngern Leuten essen gar kein Fleisch, indem sie der Lehre und dem Beispiele unseres guten Eider Fräser folgen, der seit fünfunddreißig Jahren sich sein blühendes schottisches Gesicht mit Hülfe einer Diät frisch erhalten hat, die keinem lebenden Geschöpfe die Existenz kostet, und der in seinem siebzigsten Jahre so schöne rothe Wangen aufzu¬ weisen hat, wie kaum irgend ein Amerikaner in seiner Jugendblüthe. Er und andere Vegetarianer sollen diese Enthaltsamkeit auf Grund von Be¬ lehrungen üben, die ihnen von Geistern aus dem Jenseits zugekommen sind. Im Allgemeinen jedoch kamen mir die hiesigen Shaker nicht recht gesund vor, und namentlich die Männer hatten ein Etwas an sich, was zugleich an katho¬ lische Geistliche und an Leute, die im Spielet verpflegt werden, denken ließ. Wir besuchten die gottesdienstlichen Versammlungen der Shaker regel¬ mäßig. Dieselben werden während des Sommers in der oben erwähnten Kirche oder, wie sie sagen, dem Meetinghouse abgehalten, wogegen sie im Winter in den großen Privatstuben stattfinden, welche das Jahr hindurch zu den Versammlungen der einzelnen Familien dienen. In der Kirche waren die für Besuche von auswärts bestimmten Bänke stets gefüllt. Es waren Leute aus dem benachbarten Dörfern, sowie aus der nahegelegenen Stadt Lancaster, wo im Sommer viele Fremde aus Boston ihren Aufenthalt nehmen, zugegen. Modevolk in Seide und Spitzen und Landvolk in grobem selbstgemachten Zeug. Aber alle sahen achtungsvoll und aufmerksam dem Gottesdienste zu, der, wie sehr er auch von dem unsern abweicht, selbst in seiner groteskesten Phase, meinem Gefühl nach, nur Einfältige zum Lachen reizen kann. Die Versammlungen wurden immer mit einem Gesänge eröffnet, wobei aber die geschriebn«» Gesangbücher, von denen ich später eins durchsehen konnte, nicht benutzt wurden. Eins dieser Lieder lautete: „>>VbiIs livinZ povor llovs so trof, ^ livinZ sont ^ infam to be, l'o Zitin et6 xröoious xitt ol (^va

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/196>, abgerufen am 13.05.2024.