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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Der am 10. März angeknüpfte Waffenstillstand wurde bereits am 28.
durch einen erneuten Angriff der Abessinier auf die ägyptischen Truppen ge¬
brochen, jedoch war der Erfolg nur eine erneute Niederlage des abessinischen
Heeres. Die Nachrichten über diese Kämpfe waren so spärlich, daß man ge¬
rechte Zweifel an der Wahrheit der Behauptung von zwei schweren abessinischen
Niederlagen kaum unterdrücken kann. Allzugroße Bescheidenheit ist gerade
kein Fehler der Aegypter, am wenigsten der ägyptischen Staatsmänner, und
deshalb berechtigt ein tiefes Schweigen über die beiden glorreichen Siege zu
allerlei Vermuthungen. Die ägyptische Streitmacht ist kaum über Hamasin
vorgedrungen, das ursprüngliche Ziel, die Besetzung der Hauptstadt des frechen
Feindes, Adoa, wurde nicht erreicht, und der jugendliche General Prinz Hassan
hat sich nicht veranlaßt gefunden, die Aufforderung seines Gegners Johannes,
die verlangte Entschädigung sich in Adoa zu holen, anzunehmen. Bei dem
ägyptischen Generalstab, der zumeist aus amerikanischen Offizieren gebildet
ist, muß wohl die Ansicht Platz gegriffen haben, daß genug gesiegt sei und
die Sehnsucht der Truppen nach den "Fleischtöpfen Aegyptens" gestillt werden
müsse. Man war deshalb auch sehr erstaunt, vor Kurzem die lakonische
Depesche zu lesen, daß am 26. April die ägyptischen Truppen den Rückmarsch
(resp. Rückzug) nach Massawa angetreten haben. Da von abessinischer Seite
keine Nachrichten über den Verlauf des Kampfes vorliegen, so müssen wir
wohl einstweilen das von Aegypten Gesagte als richtig annehmen. Der
Khedive hat somit die Niederlage von Gürtel gerächt und sich einigermaßen
mit Ehren aus einer selbstgeschaffenen Klemme gezogen.

Fragt man nun, was haben die blutigen Metzeleien den Parteien genützt,
so lautet die Antwort "Es war pro ninno!" Man wird den Vizekönig
kaum von dem Vorwurf reinigen können, daß er in unverantwortlicher Weise
mit dem Gelde und Blute seines Volkes gehaust hat. Wie groß die ägyp¬
tischen Verluste an Geld und Menschen sind, wird wohl nicht so bald bekannt
werden; aber in Verbindung mit anderen romantischen Unternehmungen am
weißen Nil, in Darfur, im Somaliland, in Harrar :c., die auch nicht ohne
empfindliche Opfer in Szene gesetzt wurden, hat dieser abessinische Feldzug so
viel gekostet, um die ernstlichsten Befürchtungen für die Zukunft Aegyptens zu
rechtfertigen, wenn nicht der verkehrte Weg schleunigst verlassen wird. Darfur
ist nach ägyptischer Behauptung mit seinem Loose vollständig zufrieden;
allein die Thatsache, daß europäischen Reisenden, die ungeschminkte Berichte
schicken könnten, der Eintritt nach Darfur nicht erlaubt ist, bildet eine sonder¬
bare Illustration zu der erwähnten Behauptung. Das Land wird regiert von
Siber Pascha, dem Eroberer Darfurs, einem ehemaligen Sklavenhändler und
Kaufmann und einem der größten Schufte des Sudan; die Vasallentreue
dieses unruhigen Nubiers und seiner Schaar ist nicht über alle Zweifel er-


Der am 10. März angeknüpfte Waffenstillstand wurde bereits am 28.
durch einen erneuten Angriff der Abessinier auf die ägyptischen Truppen ge¬
brochen, jedoch war der Erfolg nur eine erneute Niederlage des abessinischen
Heeres. Die Nachrichten über diese Kämpfe waren so spärlich, daß man ge¬
rechte Zweifel an der Wahrheit der Behauptung von zwei schweren abessinischen
Niederlagen kaum unterdrücken kann. Allzugroße Bescheidenheit ist gerade
kein Fehler der Aegypter, am wenigsten der ägyptischen Staatsmänner, und
deshalb berechtigt ein tiefes Schweigen über die beiden glorreichen Siege zu
allerlei Vermuthungen. Die ägyptische Streitmacht ist kaum über Hamasin
vorgedrungen, das ursprüngliche Ziel, die Besetzung der Hauptstadt des frechen
Feindes, Adoa, wurde nicht erreicht, und der jugendliche General Prinz Hassan
hat sich nicht veranlaßt gefunden, die Aufforderung seines Gegners Johannes,
die verlangte Entschädigung sich in Adoa zu holen, anzunehmen. Bei dem
ägyptischen Generalstab, der zumeist aus amerikanischen Offizieren gebildet
ist, muß wohl die Ansicht Platz gegriffen haben, daß genug gesiegt sei und
die Sehnsucht der Truppen nach den „Fleischtöpfen Aegyptens" gestillt werden
müsse. Man war deshalb auch sehr erstaunt, vor Kurzem die lakonische
Depesche zu lesen, daß am 26. April die ägyptischen Truppen den Rückmarsch
(resp. Rückzug) nach Massawa angetreten haben. Da von abessinischer Seite
keine Nachrichten über den Verlauf des Kampfes vorliegen, so müssen wir
wohl einstweilen das von Aegypten Gesagte als richtig annehmen. Der
Khedive hat somit die Niederlage von Gürtel gerächt und sich einigermaßen
mit Ehren aus einer selbstgeschaffenen Klemme gezogen.

Fragt man nun, was haben die blutigen Metzeleien den Parteien genützt,
so lautet die Antwort „Es war pro ninno!" Man wird den Vizekönig
kaum von dem Vorwurf reinigen können, daß er in unverantwortlicher Weise
mit dem Gelde und Blute seines Volkes gehaust hat. Wie groß die ägyp¬
tischen Verluste an Geld und Menschen sind, wird wohl nicht so bald bekannt
werden; aber in Verbindung mit anderen romantischen Unternehmungen am
weißen Nil, in Darfur, im Somaliland, in Harrar :c., die auch nicht ohne
empfindliche Opfer in Szene gesetzt wurden, hat dieser abessinische Feldzug so
viel gekostet, um die ernstlichsten Befürchtungen für die Zukunft Aegyptens zu
rechtfertigen, wenn nicht der verkehrte Weg schleunigst verlassen wird. Darfur
ist nach ägyptischer Behauptung mit seinem Loose vollständig zufrieden;
allein die Thatsache, daß europäischen Reisenden, die ungeschminkte Berichte
schicken könnten, der Eintritt nach Darfur nicht erlaubt ist, bildet eine sonder¬
bare Illustration zu der erwähnten Behauptung. Das Land wird regiert von
Siber Pascha, dem Eroberer Darfurs, einem ehemaligen Sklavenhändler und
Kaufmann und einem der größten Schufte des Sudan; die Vasallentreue
dieses unruhigen Nubiers und seiner Schaar ist nicht über alle Zweifel er-


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[0214] Der am 10. März angeknüpfte Waffenstillstand wurde bereits am 28. durch einen erneuten Angriff der Abessinier auf die ägyptischen Truppen ge¬ brochen, jedoch war der Erfolg nur eine erneute Niederlage des abessinischen Heeres. Die Nachrichten über diese Kämpfe waren so spärlich, daß man ge¬ rechte Zweifel an der Wahrheit der Behauptung von zwei schweren abessinischen Niederlagen kaum unterdrücken kann. Allzugroße Bescheidenheit ist gerade kein Fehler der Aegypter, am wenigsten der ägyptischen Staatsmänner, und deshalb berechtigt ein tiefes Schweigen über die beiden glorreichen Siege zu allerlei Vermuthungen. Die ägyptische Streitmacht ist kaum über Hamasin vorgedrungen, das ursprüngliche Ziel, die Besetzung der Hauptstadt des frechen Feindes, Adoa, wurde nicht erreicht, und der jugendliche General Prinz Hassan hat sich nicht veranlaßt gefunden, die Aufforderung seines Gegners Johannes, die verlangte Entschädigung sich in Adoa zu holen, anzunehmen. Bei dem ägyptischen Generalstab, der zumeist aus amerikanischen Offizieren gebildet ist, muß wohl die Ansicht Platz gegriffen haben, daß genug gesiegt sei und die Sehnsucht der Truppen nach den „Fleischtöpfen Aegyptens" gestillt werden müsse. Man war deshalb auch sehr erstaunt, vor Kurzem die lakonische Depesche zu lesen, daß am 26. April die ägyptischen Truppen den Rückmarsch (resp. Rückzug) nach Massawa angetreten haben. Da von abessinischer Seite keine Nachrichten über den Verlauf des Kampfes vorliegen, so müssen wir wohl einstweilen das von Aegypten Gesagte als richtig annehmen. Der Khedive hat somit die Niederlage von Gürtel gerächt und sich einigermaßen mit Ehren aus einer selbstgeschaffenen Klemme gezogen. Fragt man nun, was haben die blutigen Metzeleien den Parteien genützt, so lautet die Antwort „Es war pro ninno!" Man wird den Vizekönig kaum von dem Vorwurf reinigen können, daß er in unverantwortlicher Weise mit dem Gelde und Blute seines Volkes gehaust hat. Wie groß die ägyp¬ tischen Verluste an Geld und Menschen sind, wird wohl nicht so bald bekannt werden; aber in Verbindung mit anderen romantischen Unternehmungen am weißen Nil, in Darfur, im Somaliland, in Harrar :c., die auch nicht ohne empfindliche Opfer in Szene gesetzt wurden, hat dieser abessinische Feldzug so viel gekostet, um die ernstlichsten Befürchtungen für die Zukunft Aegyptens zu rechtfertigen, wenn nicht der verkehrte Weg schleunigst verlassen wird. Darfur ist nach ägyptischer Behauptung mit seinem Loose vollständig zufrieden; allein die Thatsache, daß europäischen Reisenden, die ungeschminkte Berichte schicken könnten, der Eintritt nach Darfur nicht erlaubt ist, bildet eine sonder¬ bare Illustration zu der erwähnten Behauptung. Das Land wird regiert von Siber Pascha, dem Eroberer Darfurs, einem ehemaligen Sklavenhändler und Kaufmann und einem der größten Schufte des Sudan; die Vasallentreue dieses unruhigen Nubiers und seiner Schaar ist nicht über alle Zweifel er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/214>, abgerufen am 28.05.2024.