Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haben. Die beiden Expeditionen am weißen Nil von Baker und Gordon haben
im Allgemeinen, trotz enormer Geld- und Menschenopfer (Baker's Expedition
kostete mehr als 20 Millionen Mark) negative Resultate erzielt. Die Neger
stehen den ägyptischen Rettern vor den Chartumer Sklavenhändlern feindlich
oder wenigstens gleichgültig gegenüber, was die Ermordung Linnant's durch
die Bari und die Jusuff Beys, des Gouverneurs von Taschoda mit seiner
Schaar durch die Schilluk schlagend beweisen. Von einem Gewinn durch
die Eroberung der centralafrieanischen Länder kann natürlich keine Rede sein;
der einzige Ausfuhrartikel, das Elfenbein, ist eine wahre Kleinigkeit, die sich
von Jahr zu Jahr vermindert, und die schwarze Waare, die Sklaven, die den
Handel rentabel machten, kann doch eine Regierung, die den Negerhandel
unterdrücken will, nicht nehmen. Die Maßregeln zur Unterdrückung des
Sklavenhandels wurden übrigens von Cairo aus widerwillig gegeben und
noch widerwilltger von den Chartumer Organen der Regierung ausgeführt,
so daß zu befürchten ist, nachdem der europäische Gouverneur das Land ver¬
lassen, werde die alte Wirthschaft wieder einreißen. Im Sudan und noch
mehr in Aegypten herrschen in Folge der fast unerschwinglichen Steuern und
Frohnden Elend und Noth; bei einer weniger furchtsamen Bevölkerung als
der ägyptischen würde die jämmerliche Lage schon längst zu gefährlichen Auf.
ständen geführt haben. Die Eroberungen im Somaliland und die Besetzung
Harrars können den ägyptischen Gläubigern auch wenig Beruhigung gewähren,
der Regierung aber noch weniger; die treulosen Somali und die kriegerischen
Galla sind keine liebenswürdigen Unterthanen, sie warten nur auf eine Ge¬
legenheit, das fremde Joch abzuschütteln. Bereits haben diese Eroberungen
ein edles Opfer gefordert: der ewig beklagenswerthe Werner Munzinger ist
auf einem Kriegszug in einen Hinterhalt der Galla gefallen und mit ^/z
seiner Leute umgekommen. Welche Erfolge die ägyptische Macht in Abessinien
hatte, ist bereits erwähnt; es heißt nun, der Khedive wolle als Entschädigung
die abessinischen Länder nördlich des March behalten, die Landschaften Dem-
bela. Hamasin und Serawi, ein Gedanke, der gewiß nicht glücklich ist.

Die Behauptung der genannten Provinzen erfordert schon von Hause
aus eine starke Truppenmacht, blos gegen die eignen abessinischen Unter¬
thanen. An der Grenze steht der abessinische König, der einen solchen Ver¬
lust wohl nicht schweigend verschmerzt, und mit ihm eine Armee von
40,000 -- 60,000 Mann, die jeden Augenblick die genannten Gebiete über-
schwemmen können. Diese Armee ist zwar nicht regelrecht ausgebildet, aber
auch nicht ganz regellos; theilweise mit Feuergewehren versehen, mit einer
Anzahl Kanonen ausgerüstet, die Kavallerie vortrefflich beritten, bilden diese
Truppen einen höchst gefährlichen Gegner, der vermöge der Tapferkeit, Aus¬
dauer und Gewandtheit der Soldaten bei dem Kampfe in dem wilden, un-


haben. Die beiden Expeditionen am weißen Nil von Baker und Gordon haben
im Allgemeinen, trotz enormer Geld- und Menschenopfer (Baker's Expedition
kostete mehr als 20 Millionen Mark) negative Resultate erzielt. Die Neger
stehen den ägyptischen Rettern vor den Chartumer Sklavenhändlern feindlich
oder wenigstens gleichgültig gegenüber, was die Ermordung Linnant's durch
die Bari und die Jusuff Beys, des Gouverneurs von Taschoda mit seiner
Schaar durch die Schilluk schlagend beweisen. Von einem Gewinn durch
die Eroberung der centralafrieanischen Länder kann natürlich keine Rede sein;
der einzige Ausfuhrartikel, das Elfenbein, ist eine wahre Kleinigkeit, die sich
von Jahr zu Jahr vermindert, und die schwarze Waare, die Sklaven, die den
Handel rentabel machten, kann doch eine Regierung, die den Negerhandel
unterdrücken will, nicht nehmen. Die Maßregeln zur Unterdrückung des
Sklavenhandels wurden übrigens von Cairo aus widerwillig gegeben und
noch widerwilltger von den Chartumer Organen der Regierung ausgeführt,
so daß zu befürchten ist, nachdem der europäische Gouverneur das Land ver¬
lassen, werde die alte Wirthschaft wieder einreißen. Im Sudan und noch
mehr in Aegypten herrschen in Folge der fast unerschwinglichen Steuern und
Frohnden Elend und Noth; bei einer weniger furchtsamen Bevölkerung als
der ägyptischen würde die jämmerliche Lage schon längst zu gefährlichen Auf.
ständen geführt haben. Die Eroberungen im Somaliland und die Besetzung
Harrars können den ägyptischen Gläubigern auch wenig Beruhigung gewähren,
der Regierung aber noch weniger; die treulosen Somali und die kriegerischen
Galla sind keine liebenswürdigen Unterthanen, sie warten nur auf eine Ge¬
legenheit, das fremde Joch abzuschütteln. Bereits haben diese Eroberungen
ein edles Opfer gefordert: der ewig beklagenswerthe Werner Munzinger ist
auf einem Kriegszug in einen Hinterhalt der Galla gefallen und mit ^/z
seiner Leute umgekommen. Welche Erfolge die ägyptische Macht in Abessinien
hatte, ist bereits erwähnt; es heißt nun, der Khedive wolle als Entschädigung
die abessinischen Länder nördlich des March behalten, die Landschaften Dem-
bela. Hamasin und Serawi, ein Gedanke, der gewiß nicht glücklich ist.

Die Behauptung der genannten Provinzen erfordert schon von Hause
aus eine starke Truppenmacht, blos gegen die eignen abessinischen Unter¬
thanen. An der Grenze steht der abessinische König, der einen solchen Ver¬
lust wohl nicht schweigend verschmerzt, und mit ihm eine Armee von
40,000 — 60,000 Mann, die jeden Augenblick die genannten Gebiete über-
schwemmen können. Diese Armee ist zwar nicht regelrecht ausgebildet, aber
auch nicht ganz regellos; theilweise mit Feuergewehren versehen, mit einer
Anzahl Kanonen ausgerüstet, die Kavallerie vortrefflich beritten, bilden diese
Truppen einen höchst gefährlichen Gegner, der vermöge der Tapferkeit, Aus¬
dauer und Gewandtheit der Soldaten bei dem Kampfe in dem wilden, un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0215" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136326"/>
          <p xml:id="ID_525" prev="#ID_524"> haben. Die beiden Expeditionen am weißen Nil von Baker und Gordon haben<lb/>
im Allgemeinen, trotz enormer Geld- und Menschenopfer (Baker's Expedition<lb/>
kostete mehr als 20 Millionen Mark) negative Resultate erzielt. Die Neger<lb/>
stehen den ägyptischen Rettern vor den Chartumer Sklavenhändlern feindlich<lb/>
oder wenigstens gleichgültig gegenüber, was die Ermordung Linnant's durch<lb/>
die Bari und die Jusuff Beys, des Gouverneurs von Taschoda mit seiner<lb/>
Schaar durch die Schilluk schlagend beweisen. Von einem Gewinn durch<lb/>
die Eroberung der centralafrieanischen Länder kann natürlich keine Rede sein;<lb/>
der einzige Ausfuhrartikel, das Elfenbein, ist eine wahre Kleinigkeit, die sich<lb/>
von Jahr zu Jahr vermindert, und die schwarze Waare, die Sklaven, die den<lb/>
Handel rentabel machten, kann doch eine Regierung, die den Negerhandel<lb/>
unterdrücken will, nicht nehmen. Die Maßregeln zur Unterdrückung des<lb/>
Sklavenhandels wurden übrigens von Cairo aus widerwillig gegeben und<lb/>
noch widerwilltger von den Chartumer Organen der Regierung ausgeführt,<lb/>
so daß zu befürchten ist, nachdem der europäische Gouverneur das Land ver¬<lb/>
lassen, werde die alte Wirthschaft wieder einreißen. Im Sudan und noch<lb/>
mehr in Aegypten herrschen in Folge der fast unerschwinglichen Steuern und<lb/>
Frohnden Elend und Noth; bei einer weniger furchtsamen Bevölkerung als<lb/>
der ägyptischen würde die jämmerliche Lage schon längst zu gefährlichen Auf.<lb/>
ständen geführt haben. Die Eroberungen im Somaliland und die Besetzung<lb/>
Harrars können den ägyptischen Gläubigern auch wenig Beruhigung gewähren,<lb/>
der Regierung aber noch weniger; die treulosen Somali und die kriegerischen<lb/>
Galla sind keine liebenswürdigen Unterthanen, sie warten nur auf eine Ge¬<lb/>
legenheit, das fremde Joch abzuschütteln. Bereits haben diese Eroberungen<lb/>
ein edles Opfer gefordert: der ewig beklagenswerthe Werner Munzinger ist<lb/>
auf einem Kriegszug in einen Hinterhalt der Galla gefallen und mit ^/z<lb/>
seiner Leute umgekommen. Welche Erfolge die ägyptische Macht in Abessinien<lb/>
hatte, ist bereits erwähnt; es heißt nun, der Khedive wolle als Entschädigung<lb/>
die abessinischen Länder nördlich des March behalten, die Landschaften Dem-<lb/>
bela. Hamasin und Serawi, ein Gedanke, der gewiß nicht glücklich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_526" next="#ID_527"> Die Behauptung der genannten Provinzen erfordert schon von Hause<lb/>
aus eine starke Truppenmacht, blos gegen die eignen abessinischen Unter¬<lb/>
thanen. An der Grenze steht der abessinische König, der einen solchen Ver¬<lb/>
lust wohl nicht schweigend verschmerzt, und mit ihm eine Armee von<lb/>
40,000 &#x2014; 60,000 Mann, die jeden Augenblick die genannten Gebiete über-<lb/>
schwemmen können. Diese Armee ist zwar nicht regelrecht ausgebildet, aber<lb/>
auch nicht ganz regellos; theilweise mit Feuergewehren versehen, mit einer<lb/>
Anzahl Kanonen ausgerüstet, die Kavallerie vortrefflich beritten, bilden diese<lb/>
Truppen einen höchst gefährlichen Gegner, der vermöge der Tapferkeit, Aus¬<lb/>
dauer und Gewandtheit der Soldaten bei dem Kampfe in dem wilden, un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0215] haben. Die beiden Expeditionen am weißen Nil von Baker und Gordon haben im Allgemeinen, trotz enormer Geld- und Menschenopfer (Baker's Expedition kostete mehr als 20 Millionen Mark) negative Resultate erzielt. Die Neger stehen den ägyptischen Rettern vor den Chartumer Sklavenhändlern feindlich oder wenigstens gleichgültig gegenüber, was die Ermordung Linnant's durch die Bari und die Jusuff Beys, des Gouverneurs von Taschoda mit seiner Schaar durch die Schilluk schlagend beweisen. Von einem Gewinn durch die Eroberung der centralafrieanischen Länder kann natürlich keine Rede sein; der einzige Ausfuhrartikel, das Elfenbein, ist eine wahre Kleinigkeit, die sich von Jahr zu Jahr vermindert, und die schwarze Waare, die Sklaven, die den Handel rentabel machten, kann doch eine Regierung, die den Negerhandel unterdrücken will, nicht nehmen. Die Maßregeln zur Unterdrückung des Sklavenhandels wurden übrigens von Cairo aus widerwillig gegeben und noch widerwilltger von den Chartumer Organen der Regierung ausgeführt, so daß zu befürchten ist, nachdem der europäische Gouverneur das Land ver¬ lassen, werde die alte Wirthschaft wieder einreißen. Im Sudan und noch mehr in Aegypten herrschen in Folge der fast unerschwinglichen Steuern und Frohnden Elend und Noth; bei einer weniger furchtsamen Bevölkerung als der ägyptischen würde die jämmerliche Lage schon längst zu gefährlichen Auf. ständen geführt haben. Die Eroberungen im Somaliland und die Besetzung Harrars können den ägyptischen Gläubigern auch wenig Beruhigung gewähren, der Regierung aber noch weniger; die treulosen Somali und die kriegerischen Galla sind keine liebenswürdigen Unterthanen, sie warten nur auf eine Ge¬ legenheit, das fremde Joch abzuschütteln. Bereits haben diese Eroberungen ein edles Opfer gefordert: der ewig beklagenswerthe Werner Munzinger ist auf einem Kriegszug in einen Hinterhalt der Galla gefallen und mit ^/z seiner Leute umgekommen. Welche Erfolge die ägyptische Macht in Abessinien hatte, ist bereits erwähnt; es heißt nun, der Khedive wolle als Entschädigung die abessinischen Länder nördlich des March behalten, die Landschaften Dem- bela. Hamasin und Serawi, ein Gedanke, der gewiß nicht glücklich ist. Die Behauptung der genannten Provinzen erfordert schon von Hause aus eine starke Truppenmacht, blos gegen die eignen abessinischen Unter¬ thanen. An der Grenze steht der abessinische König, der einen solchen Ver¬ lust wohl nicht schweigend verschmerzt, und mit ihm eine Armee von 40,000 — 60,000 Mann, die jeden Augenblick die genannten Gebiete über- schwemmen können. Diese Armee ist zwar nicht regelrecht ausgebildet, aber auch nicht ganz regellos; theilweise mit Feuergewehren versehen, mit einer Anzahl Kanonen ausgerüstet, die Kavallerie vortrefflich beritten, bilden diese Truppen einen höchst gefährlichen Gegner, der vermöge der Tapferkeit, Aus¬ dauer und Gewandtheit der Soldaten bei dem Kampfe in dem wilden, un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/215
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/215>, abgerufen am 14.05.2024.