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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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wegsamen Gebirge doppelt gefährlich ist. Zudem halten sich die Abessinier
noch durchaus nicht für geschlagen und werden gewiß jede Gelegenheit be¬
nutzen, die verlorenen Landschaften zurückzugewinnen; sollte der Vizekönig ge¬
treu seinen Grundsätzen, wirklich eine Annexion in Abessinien beabsichtigen,
so werden wir bald von weiteren Kämpfen hören.

Die Verhältnisse in Abessinien liegen gerade so wenig erfreulich wie in
Aegypten. Die abessinische Armee hat sehr starke Verluste erlitten (man
spricht, mit Uebertreibung allerdings, von 40,000 -- S0,000 Mann), die um
so empfindlicher sind, da das Land dünn bevölkert ist und die Bevölkerung
sich so wie so langsam vermindert. Trotz des von Außen anrückenden Feindes
herrschte der alte Geist der Zwietracht im innern Lande. Amhara war dem
König Johannes nie ergeben, mit Schoa lag er in offenem Kriege, und nur
Tigre war einigermaßen verläßlich; aber selbst in dem letztgenannten Lande
trieben während des letzten Krieges einige Rebellen ihr Unwesen. Es ist
überhaupt zu verwundern, daß es dem König glückte, Truppen genug zu¬
sammenzubringen, um damit den Vormarsch der Aegypter aufzuhalten, und
berechtigt dies immerhin zu einigen Hoffnungen für seine weitere Thätigkeit.
Eine Riesenaufgabe liegt freilich noch vor ihm; die Aufgabe, die wider¬
haarigen Vasallen niederzuhalten und Ruhe und Ordnung zu schaffen, ist so
ungeheuer, daß Johannes sie schwerlich lösen wird, scheiterte doch das Genie
des großen Theodor an ihr. Abessinien bietet seit Jahrhunderten das be¬
trübende Schauspiel eines von Natur reich begabten Volkes, das sich in
inneren Kämpfen zerfleischt, dabei immer tiefer und tiefer sinkt und die Schätze
der Natur, womit das Land so überschwängltch gesegnet ist, nicht zu be¬
nutzen versteht. Woher soll da die Hülfe kommen? Aus dem Lande selbst?
Bis jetzt hat das Volk auf den verheißenen Messias noch immer umsonst
gewartet. Von Europa! Europa hat jetzt, wo die gefürchtete orientalische
Frage wieder einmal brennend wurde, gerade genug mit sich selbst zu thun,
um der Regelung abesstnischer Verhältnisse viel Aufmerksamkeit schenken zu
können. Und doch wäre nur durch Europa Hülse möglich; nur eine innige
Verbindung mit der europäischen Kultur und ungehindertes Einwirken der¬
selben auf das Land kann Abessinien und sein Volk vor dem langsamen
Untergang durch innere Fäulniß retten. Eine solche Einwirkung ist aber
unmöglich, so lange Abessinien durch Aegypten von dem Meere abgeschlossen
ist, und die Wegräumung dieses Hindernisses kann nur durch Gewalt geschehen,
Joseph Menge s. wozu wohl auch Niemand Lust hat.




wegsamen Gebirge doppelt gefährlich ist. Zudem halten sich die Abessinier
noch durchaus nicht für geschlagen und werden gewiß jede Gelegenheit be¬
nutzen, die verlorenen Landschaften zurückzugewinnen; sollte der Vizekönig ge¬
treu seinen Grundsätzen, wirklich eine Annexion in Abessinien beabsichtigen,
so werden wir bald von weiteren Kämpfen hören.

Die Verhältnisse in Abessinien liegen gerade so wenig erfreulich wie in
Aegypten. Die abessinische Armee hat sehr starke Verluste erlitten (man
spricht, mit Uebertreibung allerdings, von 40,000 — S0,000 Mann), die um
so empfindlicher sind, da das Land dünn bevölkert ist und die Bevölkerung
sich so wie so langsam vermindert. Trotz des von Außen anrückenden Feindes
herrschte der alte Geist der Zwietracht im innern Lande. Amhara war dem
König Johannes nie ergeben, mit Schoa lag er in offenem Kriege, und nur
Tigre war einigermaßen verläßlich; aber selbst in dem letztgenannten Lande
trieben während des letzten Krieges einige Rebellen ihr Unwesen. Es ist
überhaupt zu verwundern, daß es dem König glückte, Truppen genug zu¬
sammenzubringen, um damit den Vormarsch der Aegypter aufzuhalten, und
berechtigt dies immerhin zu einigen Hoffnungen für seine weitere Thätigkeit.
Eine Riesenaufgabe liegt freilich noch vor ihm; die Aufgabe, die wider¬
haarigen Vasallen niederzuhalten und Ruhe und Ordnung zu schaffen, ist so
ungeheuer, daß Johannes sie schwerlich lösen wird, scheiterte doch das Genie
des großen Theodor an ihr. Abessinien bietet seit Jahrhunderten das be¬
trübende Schauspiel eines von Natur reich begabten Volkes, das sich in
inneren Kämpfen zerfleischt, dabei immer tiefer und tiefer sinkt und die Schätze
der Natur, womit das Land so überschwängltch gesegnet ist, nicht zu be¬
nutzen versteht. Woher soll da die Hülfe kommen? Aus dem Lande selbst?
Bis jetzt hat das Volk auf den verheißenen Messias noch immer umsonst
gewartet. Von Europa! Europa hat jetzt, wo die gefürchtete orientalische
Frage wieder einmal brennend wurde, gerade genug mit sich selbst zu thun,
um der Regelung abesstnischer Verhältnisse viel Aufmerksamkeit schenken zu
können. Und doch wäre nur durch Europa Hülse möglich; nur eine innige
Verbindung mit der europäischen Kultur und ungehindertes Einwirken der¬
selben auf das Land kann Abessinien und sein Volk vor dem langsamen
Untergang durch innere Fäulniß retten. Eine solche Einwirkung ist aber
unmöglich, so lange Abessinien durch Aegypten von dem Meere abgeschlossen
ist, und die Wegräumung dieses Hindernisses kann nur durch Gewalt geschehen,
Joseph Menge s. wozu wohl auch Niemand Lust hat.




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[0216] wegsamen Gebirge doppelt gefährlich ist. Zudem halten sich die Abessinier noch durchaus nicht für geschlagen und werden gewiß jede Gelegenheit be¬ nutzen, die verlorenen Landschaften zurückzugewinnen; sollte der Vizekönig ge¬ treu seinen Grundsätzen, wirklich eine Annexion in Abessinien beabsichtigen, so werden wir bald von weiteren Kämpfen hören. Die Verhältnisse in Abessinien liegen gerade so wenig erfreulich wie in Aegypten. Die abessinische Armee hat sehr starke Verluste erlitten (man spricht, mit Uebertreibung allerdings, von 40,000 — S0,000 Mann), die um so empfindlicher sind, da das Land dünn bevölkert ist und die Bevölkerung sich so wie so langsam vermindert. Trotz des von Außen anrückenden Feindes herrschte der alte Geist der Zwietracht im innern Lande. Amhara war dem König Johannes nie ergeben, mit Schoa lag er in offenem Kriege, und nur Tigre war einigermaßen verläßlich; aber selbst in dem letztgenannten Lande trieben während des letzten Krieges einige Rebellen ihr Unwesen. Es ist überhaupt zu verwundern, daß es dem König glückte, Truppen genug zu¬ sammenzubringen, um damit den Vormarsch der Aegypter aufzuhalten, und berechtigt dies immerhin zu einigen Hoffnungen für seine weitere Thätigkeit. Eine Riesenaufgabe liegt freilich noch vor ihm; die Aufgabe, die wider¬ haarigen Vasallen niederzuhalten und Ruhe und Ordnung zu schaffen, ist so ungeheuer, daß Johannes sie schwerlich lösen wird, scheiterte doch das Genie des großen Theodor an ihr. Abessinien bietet seit Jahrhunderten das be¬ trübende Schauspiel eines von Natur reich begabten Volkes, das sich in inneren Kämpfen zerfleischt, dabei immer tiefer und tiefer sinkt und die Schätze der Natur, womit das Land so überschwängltch gesegnet ist, nicht zu be¬ nutzen versteht. Woher soll da die Hülfe kommen? Aus dem Lande selbst? Bis jetzt hat das Volk auf den verheißenen Messias noch immer umsonst gewartet. Von Europa! Europa hat jetzt, wo die gefürchtete orientalische Frage wieder einmal brennend wurde, gerade genug mit sich selbst zu thun, um der Regelung abesstnischer Verhältnisse viel Aufmerksamkeit schenken zu können. Und doch wäre nur durch Europa Hülse möglich; nur eine innige Verbindung mit der europäischen Kultur und ungehindertes Einwirken der¬ selben auf das Land kann Abessinien und sein Volk vor dem langsamen Untergang durch innere Fäulniß retten. Eine solche Einwirkung ist aber unmöglich, so lange Abessinien durch Aegypten von dem Meere abgeschlossen ist, und die Wegräumung dieses Hindernisses kann nur durch Gewalt geschehen, Joseph Menge s. wozu wohl auch Niemand Lust hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/216>, abgerufen am 28.04.2024.