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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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daß sie von dem Betreffenden ohne irgend welche Erörterung an seine Se-
cundärem verwiesen werden, mit denen sie dann das Nähere verabreden.
Die Wahl der Waffen steht nach französischer Sitte dem Beleidigten zu, was
billig erscheint und verhütet, daß ein Raufbold sich im Bewußtsein, ein guter
Fechter zu sein, Frechheiten erlaubt, die er sein lassen würde, wenn er wüßte,
daß er sich vielleicht mit dem Beleidigten schießen muß.

Ist Alles besprochen, so begeben sich die sechs Schauspieler in der Posse
in Begleitung eines Wundarztes, der eine ziemlich unnöthige Borsichtsma߬
regel ist, nach einem der Gehölze bei Paris, wo eine Lichtung zum Kampf¬
platze ausgesucht wird. Der Kluge und Erfahrene nimmt sich leinwandne
Beinkleider und alte Schuhe mit niedrigen Absätzen mit. Man legt alle
andern Kleidungsstücke ab und zieht jene an. Strenge Secundärem leiden
auch keine Hemden, da ein steifgestärkter Hemdenbusen den Degen abgleiten
läßt. Häufig tragen die Duellanten gewisse Medaillen oder andere Amulete,
selbst wenn sie zu denen gehören, die nichts von der Kirche wissen wollen
und "dem Heiligen den Rücken zudrehen, sobald die Brücke passirt ist".
Paul de Cassanac behauptete stets, daß er Henri Rochefort bet ihrem bekann¬
ten Duell ganz sicher niedergeschossen haben würde, wenn dieser nicht eine
geweihte silberne Medaille getragen hätte, von der die wohlgezielte Pistolen¬
kugel abprallte. Bei dem Duell zwischen Amödee Achard und Charles Blane
trat der letztere mit einem Fünffrankenthaler in der Westentasche auf die
Mensur, der dann in ähnlicher Weise seinen Herrn beschützte, wie dort das
Amulet. "Das nenne ich sein Geld gut anlegen!" sagte der eingefleischte
Witzbold Mery, der Achard secundirte.

Nachdem die Duellanten bis an die Hüfte entkleidet sind, wirft man ein
Geldstück empor und läßt "Schrift oder Bild" rathen. Wer zuerst richtig
erräth, kann sich seine Stellung wählen, die er dann so nimmt, daß er die
Sonne im Rücken hat. Der Andere hat ihm gegenüber zu treten. Dann
werden beide bewaffnet, und zwar mit Degen, die sie noch nicht in den Hän¬
den gehabt haben; denn man ist doppelt geschickt mit einer Waffe, mit der
man vertraut ist. Die Degen werden zunächst mit horizontal ausge¬
strecktem Arme die Spitze nach oben gerichtet gehalten, bis der Secundant
dessen, der sich die Wahl seiner Position errathen, zwischen die beiden Gegner
vorschreitet, woraus die Waffen gesenkt werden, so daß sie ein schrägstehendes
Kreuz bilden. Der zweite Secundant hält sie an der Stelle, wo sie sich be¬
rühren und fragt (seinen Duellanten zuletzt): "Sind Sie bereit, mein Herr?"
Nachdem dies bejaht worden, läßt er die Degen los, springt zurück und ruft:
,,^,1le2, NWLieurs!" Gewöhnlich retiriren beide Duellanten dann mit langen
Schritten, um sich gegen Ueberraschung durch den Gegner zu sichern. Der
Zuversichtlichere oder Ungeduldigere avanctrt dann vorsichtig, bis die


daß sie von dem Betreffenden ohne irgend welche Erörterung an seine Se-
cundärem verwiesen werden, mit denen sie dann das Nähere verabreden.
Die Wahl der Waffen steht nach französischer Sitte dem Beleidigten zu, was
billig erscheint und verhütet, daß ein Raufbold sich im Bewußtsein, ein guter
Fechter zu sein, Frechheiten erlaubt, die er sein lassen würde, wenn er wüßte,
daß er sich vielleicht mit dem Beleidigten schießen muß.

Ist Alles besprochen, so begeben sich die sechs Schauspieler in der Posse
in Begleitung eines Wundarztes, der eine ziemlich unnöthige Borsichtsma߬
regel ist, nach einem der Gehölze bei Paris, wo eine Lichtung zum Kampf¬
platze ausgesucht wird. Der Kluge und Erfahrene nimmt sich leinwandne
Beinkleider und alte Schuhe mit niedrigen Absätzen mit. Man legt alle
andern Kleidungsstücke ab und zieht jene an. Strenge Secundärem leiden
auch keine Hemden, da ein steifgestärkter Hemdenbusen den Degen abgleiten
läßt. Häufig tragen die Duellanten gewisse Medaillen oder andere Amulete,
selbst wenn sie zu denen gehören, die nichts von der Kirche wissen wollen
und „dem Heiligen den Rücken zudrehen, sobald die Brücke passirt ist".
Paul de Cassanac behauptete stets, daß er Henri Rochefort bet ihrem bekann¬
ten Duell ganz sicher niedergeschossen haben würde, wenn dieser nicht eine
geweihte silberne Medaille getragen hätte, von der die wohlgezielte Pistolen¬
kugel abprallte. Bei dem Duell zwischen Amödee Achard und Charles Blane
trat der letztere mit einem Fünffrankenthaler in der Westentasche auf die
Mensur, der dann in ähnlicher Weise seinen Herrn beschützte, wie dort das
Amulet. „Das nenne ich sein Geld gut anlegen!" sagte der eingefleischte
Witzbold Mery, der Achard secundirte.

Nachdem die Duellanten bis an die Hüfte entkleidet sind, wirft man ein
Geldstück empor und läßt „Schrift oder Bild" rathen. Wer zuerst richtig
erräth, kann sich seine Stellung wählen, die er dann so nimmt, daß er die
Sonne im Rücken hat. Der Andere hat ihm gegenüber zu treten. Dann
werden beide bewaffnet, und zwar mit Degen, die sie noch nicht in den Hän¬
den gehabt haben; denn man ist doppelt geschickt mit einer Waffe, mit der
man vertraut ist. Die Degen werden zunächst mit horizontal ausge¬
strecktem Arme die Spitze nach oben gerichtet gehalten, bis der Secundant
dessen, der sich die Wahl seiner Position errathen, zwischen die beiden Gegner
vorschreitet, woraus die Waffen gesenkt werden, so daß sie ein schrägstehendes
Kreuz bilden. Der zweite Secundant hält sie an der Stelle, wo sie sich be¬
rühren und fragt (seinen Duellanten zuletzt): „Sind Sie bereit, mein Herr?"
Nachdem dies bejaht worden, läßt er die Degen los, springt zurück und ruft:
,,^,1le2, NWLieurs!" Gewöhnlich retiriren beide Duellanten dann mit langen
Schritten, um sich gegen Ueberraschung durch den Gegner zu sichern. Der
Zuversichtlichere oder Ungeduldigere avanctrt dann vorsichtig, bis die


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[0272] daß sie von dem Betreffenden ohne irgend welche Erörterung an seine Se- cundärem verwiesen werden, mit denen sie dann das Nähere verabreden. Die Wahl der Waffen steht nach französischer Sitte dem Beleidigten zu, was billig erscheint und verhütet, daß ein Raufbold sich im Bewußtsein, ein guter Fechter zu sein, Frechheiten erlaubt, die er sein lassen würde, wenn er wüßte, daß er sich vielleicht mit dem Beleidigten schießen muß. Ist Alles besprochen, so begeben sich die sechs Schauspieler in der Posse in Begleitung eines Wundarztes, der eine ziemlich unnöthige Borsichtsma߬ regel ist, nach einem der Gehölze bei Paris, wo eine Lichtung zum Kampf¬ platze ausgesucht wird. Der Kluge und Erfahrene nimmt sich leinwandne Beinkleider und alte Schuhe mit niedrigen Absätzen mit. Man legt alle andern Kleidungsstücke ab und zieht jene an. Strenge Secundärem leiden auch keine Hemden, da ein steifgestärkter Hemdenbusen den Degen abgleiten läßt. Häufig tragen die Duellanten gewisse Medaillen oder andere Amulete, selbst wenn sie zu denen gehören, die nichts von der Kirche wissen wollen und „dem Heiligen den Rücken zudrehen, sobald die Brücke passirt ist". Paul de Cassanac behauptete stets, daß er Henri Rochefort bet ihrem bekann¬ ten Duell ganz sicher niedergeschossen haben würde, wenn dieser nicht eine geweihte silberne Medaille getragen hätte, von der die wohlgezielte Pistolen¬ kugel abprallte. Bei dem Duell zwischen Amödee Achard und Charles Blane trat der letztere mit einem Fünffrankenthaler in der Westentasche auf die Mensur, der dann in ähnlicher Weise seinen Herrn beschützte, wie dort das Amulet. „Das nenne ich sein Geld gut anlegen!" sagte der eingefleischte Witzbold Mery, der Achard secundirte. Nachdem die Duellanten bis an die Hüfte entkleidet sind, wirft man ein Geldstück empor und läßt „Schrift oder Bild" rathen. Wer zuerst richtig erräth, kann sich seine Stellung wählen, die er dann so nimmt, daß er die Sonne im Rücken hat. Der Andere hat ihm gegenüber zu treten. Dann werden beide bewaffnet, und zwar mit Degen, die sie noch nicht in den Hän¬ den gehabt haben; denn man ist doppelt geschickt mit einer Waffe, mit der man vertraut ist. Die Degen werden zunächst mit horizontal ausge¬ strecktem Arme die Spitze nach oben gerichtet gehalten, bis der Secundant dessen, der sich die Wahl seiner Position errathen, zwischen die beiden Gegner vorschreitet, woraus die Waffen gesenkt werden, so daß sie ein schrägstehendes Kreuz bilden. Der zweite Secundant hält sie an der Stelle, wo sie sich be¬ rühren und fragt (seinen Duellanten zuletzt): „Sind Sie bereit, mein Herr?" Nachdem dies bejaht worden, läßt er die Degen los, springt zurück und ruft: ,,^,1le2, NWLieurs!" Gewöhnlich retiriren beide Duellanten dann mit langen Schritten, um sich gegen Ueberraschung durch den Gegner zu sichern. Der Zuversichtlichere oder Ungeduldigere avanctrt dann vorsichtig, bis die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/272>, abgerufen am 30.04.2024.