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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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nannten Hochschule schlimme Dinge behauptet. Wenn Schweigen auf einen
Vorwurf Geständniß der Berechtigung des Tadlers zu seiner Anklage wäre,
so hätte Herr M. hier in Betreff einer Anzahl von akademischen Körper¬
schaften das Rechte gethan und den Dank verdient, der jedem zukommt,
welcher irgendwo faule Zustände aufdeckt und Abstellung von Mißbrauch
fordert; denn die Mehrheit der betreffenden Facultäten hat unseres Wissens
zu der Anklage geschwiegen. Zwei aber haben entschiedene Verwahrung da¬
gegen eingelegt: die juristische Facultät in Freiburg und die philosophische
in Jena, und zwar geschah dies, nachdem die Red. der Pr. Jahrb. die ge¬
dachten Proteste aufzunehmen abgelehnt, in der Jenaer Literaturzeitung
Ur. 20 und 24. Hören wir die Vertheidigung der Angeschuldigten in den
Hauptpunkten, so fällt Herrn M. den Freiburgern gegenüber nur vorschnelles
Generalisiren und Aburtheilen ohne genügende Sachkenntniß, den Jenensern
gegenüber aber etwas Schlimmeres zur Last, wofür die Juristen unter
unsern Lesern den passenden Ausdruck finden werden.

Wir glauben, daß es keine Mißwirthschaft und keine ungebührliche Be¬
triebsamkeit, sondern das Gegentheil hiervon ist, wenn die Freiburger Ju-
ristenfacultät von sich behaupten kann: "die bei ihr seit fünf Jahren in
Kraft stehende Promotionsordnung verlangt eine Inauguraldissertation, drei
weitere schriftliche Arbeiten über von der Facultät gestellte Themata und eine
mündliche Prüfung vor versammelter Facultät über die Hauptfächer der
Rechtswissenschaft. Von diesen Erfordernissen findet keine Dispensation statt."
Diese Ordnung und die Handhabung derselben hat bewirkt, daß "von circa 40
Auswärtigen, welchen in den letzten fünf Jahren auf Verlangen die Beding¬
ungen des juristischen Doktorexamens mitgetheilt wurden, nur einer sich dem¬
selben unterzogen hat", und daß sich von denen, welche in Freiburg selbst
studirt hatten, in demselben Zeitraum nur zwei zu ihm gemeldet haben.
"Der Facultät ist bekannt, daß einzelne zu dieser Kategorie Gehörende es
vorzogen, anderswo zu promoviren."

In Bezug auf die Jenenser hatte Herr Mommsen u. A. zunächst mit "empör¬
tem Rechtsgefühl" behauptet, "daß der Pseudodoclor von Jena kürzlich in un¬
liebsamer Weise in den Culturkampf hineingetreten" sei, "indem ein inhaftir-
ter Caplan diese seine unfreiwillige Muße benutzt" habe, "um sich das be¬
treffende Diplom von dort zu verschreiben und eines schönes Morgens nach
Eingang der Post sich seinem verwunderten Gefängnißdirector als je¬
naischer Herr Doctor zu Präsentiren." Weiterhin aber hatte er sogar wissen
wollen, daß "die katholische Kriegskasse ihre strebsamen Kapläne in Jena
promovire." Ferner hieß es in seinen Aufsätzen, daß die "Mißwirthschaft auf
den obengenannten vier Universitäten es so weit gebracht habe, daß der
Kern-in Doctor in England zum Beiwort geworden" sei und die von jenen


nannten Hochschule schlimme Dinge behauptet. Wenn Schweigen auf einen
Vorwurf Geständniß der Berechtigung des Tadlers zu seiner Anklage wäre,
so hätte Herr M. hier in Betreff einer Anzahl von akademischen Körper¬
schaften das Rechte gethan und den Dank verdient, der jedem zukommt,
welcher irgendwo faule Zustände aufdeckt und Abstellung von Mißbrauch
fordert; denn die Mehrheit der betreffenden Facultäten hat unseres Wissens
zu der Anklage geschwiegen. Zwei aber haben entschiedene Verwahrung da¬
gegen eingelegt: die juristische Facultät in Freiburg und die philosophische
in Jena, und zwar geschah dies, nachdem die Red. der Pr. Jahrb. die ge¬
dachten Proteste aufzunehmen abgelehnt, in der Jenaer Literaturzeitung
Ur. 20 und 24. Hören wir die Vertheidigung der Angeschuldigten in den
Hauptpunkten, so fällt Herrn M. den Freiburgern gegenüber nur vorschnelles
Generalisiren und Aburtheilen ohne genügende Sachkenntniß, den Jenensern
gegenüber aber etwas Schlimmeres zur Last, wofür die Juristen unter
unsern Lesern den passenden Ausdruck finden werden.

Wir glauben, daß es keine Mißwirthschaft und keine ungebührliche Be¬
triebsamkeit, sondern das Gegentheil hiervon ist, wenn die Freiburger Ju-
ristenfacultät von sich behaupten kann: „die bei ihr seit fünf Jahren in
Kraft stehende Promotionsordnung verlangt eine Inauguraldissertation, drei
weitere schriftliche Arbeiten über von der Facultät gestellte Themata und eine
mündliche Prüfung vor versammelter Facultät über die Hauptfächer der
Rechtswissenschaft. Von diesen Erfordernissen findet keine Dispensation statt."
Diese Ordnung und die Handhabung derselben hat bewirkt, daß „von circa 40
Auswärtigen, welchen in den letzten fünf Jahren auf Verlangen die Beding¬
ungen des juristischen Doktorexamens mitgetheilt wurden, nur einer sich dem¬
selben unterzogen hat", und daß sich von denen, welche in Freiburg selbst
studirt hatten, in demselben Zeitraum nur zwei zu ihm gemeldet haben.
„Der Facultät ist bekannt, daß einzelne zu dieser Kategorie Gehörende es
vorzogen, anderswo zu promoviren."

In Bezug auf die Jenenser hatte Herr Mommsen u. A. zunächst mit „empör¬
tem Rechtsgefühl" behauptet, „daß der Pseudodoclor von Jena kürzlich in un¬
liebsamer Weise in den Culturkampf hineingetreten" sei, „indem ein inhaftir-
ter Caplan diese seine unfreiwillige Muße benutzt" habe, „um sich das be¬
treffende Diplom von dort zu verschreiben und eines schönes Morgens nach
Eingang der Post sich seinem verwunderten Gefängnißdirector als je¬
naischer Herr Doctor zu Präsentiren." Weiterhin aber hatte er sogar wissen
wollen, daß „die katholische Kriegskasse ihre strebsamen Kapläne in Jena
promovire." Ferner hieß es in seinen Aufsätzen, daß die „Mißwirthschaft auf
den obengenannten vier Universitäten es so weit gebracht habe, daß der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/274>, abgerufen am 30.04.2024.