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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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daß keine Verwaltung tauber ist gegen die gerechtesten Wünsche und Be¬
schwerden des Publikums als die von Privatbahnen, eine mehr als 30jährige
Erfahrung hat gezeigt, daß solche Privatverwaltungen oft Jahrzehnte lang
weder den persönlichen und schriftlichen Eingaben des Publikums noch den
begründetsten Vorstellungen der Presse irgend nachgegeben haben. Um unter
vielen Beispielen nur Eins hervorzuheben, erinnern wir an die Taunusbahn,
wo die vierte ungeschützte Klasse von Stehwagen am längsten aufrecht erhal¬
ten wurde, wo sogar die dritte Klasse lange Zeit ohne Fenster bestand und
das reisende Publikum dem Wind und Wetter preisgegeben war, ja wo oft
die Wagen Jahre lang so beschädigt waren, daß der Regen durch die
Dächer tropfte und trotz des allgemeinen Alarmschretes der Bevölkerung die
Direction absolut nichts that, bis die Staatsbahnen längst mit gutem Bei¬
spiel voran gegangen waren und die Beschwerden vor die Volksvertretung
der betreffenden Staaten gebracht wurden. Es hat sich also gezeigt, daß die
localen Bedürfnisse viel leichter bei Staatsbahnen durch die Vermittlung der
Volksvertretung zu den Ohren der Verwaltungen gelangen, daß ihre Erfül¬
lung viel leichter auf diesem Wege durchgesetzt werden kann als bei Privat¬
bahnen, ja daß bei Prtvatbahnen geradezu sehr häufig die Organe des
Staates, d. h. die Volksvertretung, die Regierung in Anspruch genommen
werden müssen, um die verstockten Verwaltungen, welche lediglich das Interesse
einer hohen Dividende ihrer Actionäre im Auge haben, zur Erfüllung der
berechtigtsten Wünsche zu zwingen.

Das Staatsbahn-System verdient in der hier erörterten Beziehung auch
deshalb den Vorzug vor den Privatbahnen, weil die Verwaltungsbezirke viel
gleichmäßiger vertheilt werden können. Während jetzt in den Ländern, wo
das System der Privatbahnen ausschließlich oder zum Theil herrscht, ganz
kleine Bahnen neben sehr großen Linien bestehen, und dadurch ein gewisses
Mißverhältniß und ein Mangel an Oekonomie in der Verwaltung und in
der Anstellung des Personals nothwendig stattfinden muß, können beim
Staatsbahn-System die Verwaltungs-Abtheilungen viel gleichmäßiger abge¬
grenzt werden, so daß auch deren Central-Oberleitung dadurch erleichtert
wird, und die Anforderungen an die Verwaltung überhaupt übereinstim¬
mender sind.

Wir müssen deshalb auch die unter Nummer 6 oben erwähnte Behaup¬
tung unter das Gebiet der Gemeinplätze rechnen, daß die Reichsregierung
außer Stand sein würde, das verwickelte Transport-Gewerbe für mehr als
40 Millionen Menschen mit Erfolg zu betreiben. Abgesehen von dem eben
genannten Vorzug der gleichmäßigeren Vertheilung der Verwaltungsbezirke
könnte, wie wir weiter unten näher sehen werden, das Haupthinderniß der
Rentabilität der Eisenbahnen durch den Reichsbetrieb bedeutend gemindert


daß keine Verwaltung tauber ist gegen die gerechtesten Wünsche und Be¬
schwerden des Publikums als die von Privatbahnen, eine mehr als 30jährige
Erfahrung hat gezeigt, daß solche Privatverwaltungen oft Jahrzehnte lang
weder den persönlichen und schriftlichen Eingaben des Publikums noch den
begründetsten Vorstellungen der Presse irgend nachgegeben haben. Um unter
vielen Beispielen nur Eins hervorzuheben, erinnern wir an die Taunusbahn,
wo die vierte ungeschützte Klasse von Stehwagen am längsten aufrecht erhal¬
ten wurde, wo sogar die dritte Klasse lange Zeit ohne Fenster bestand und
das reisende Publikum dem Wind und Wetter preisgegeben war, ja wo oft
die Wagen Jahre lang so beschädigt waren, daß der Regen durch die
Dächer tropfte und trotz des allgemeinen Alarmschretes der Bevölkerung die
Direction absolut nichts that, bis die Staatsbahnen längst mit gutem Bei¬
spiel voran gegangen waren und die Beschwerden vor die Volksvertretung
der betreffenden Staaten gebracht wurden. Es hat sich also gezeigt, daß die
localen Bedürfnisse viel leichter bei Staatsbahnen durch die Vermittlung der
Volksvertretung zu den Ohren der Verwaltungen gelangen, daß ihre Erfül¬
lung viel leichter auf diesem Wege durchgesetzt werden kann als bei Privat¬
bahnen, ja daß bei Prtvatbahnen geradezu sehr häufig die Organe des
Staates, d. h. die Volksvertretung, die Regierung in Anspruch genommen
werden müssen, um die verstockten Verwaltungen, welche lediglich das Interesse
einer hohen Dividende ihrer Actionäre im Auge haben, zur Erfüllung der
berechtigtsten Wünsche zu zwingen.

Das Staatsbahn-System verdient in der hier erörterten Beziehung auch
deshalb den Vorzug vor den Privatbahnen, weil die Verwaltungsbezirke viel
gleichmäßiger vertheilt werden können. Während jetzt in den Ländern, wo
das System der Privatbahnen ausschließlich oder zum Theil herrscht, ganz
kleine Bahnen neben sehr großen Linien bestehen, und dadurch ein gewisses
Mißverhältniß und ein Mangel an Oekonomie in der Verwaltung und in
der Anstellung des Personals nothwendig stattfinden muß, können beim
Staatsbahn-System die Verwaltungs-Abtheilungen viel gleichmäßiger abge¬
grenzt werden, so daß auch deren Central-Oberleitung dadurch erleichtert
wird, und die Anforderungen an die Verwaltung überhaupt übereinstim¬
mender sind.

Wir müssen deshalb auch die unter Nummer 6 oben erwähnte Behaup¬
tung unter das Gebiet der Gemeinplätze rechnen, daß die Reichsregierung
außer Stand sein würde, das verwickelte Transport-Gewerbe für mehr als
40 Millionen Menschen mit Erfolg zu betreiben. Abgesehen von dem eben
genannten Vorzug der gleichmäßigeren Vertheilung der Verwaltungsbezirke
könnte, wie wir weiter unten näher sehen werden, das Haupthinderniß der
Rentabilität der Eisenbahnen durch den Reichsbetrieb bedeutend gemindert


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[0310] daß keine Verwaltung tauber ist gegen die gerechtesten Wünsche und Be¬ schwerden des Publikums als die von Privatbahnen, eine mehr als 30jährige Erfahrung hat gezeigt, daß solche Privatverwaltungen oft Jahrzehnte lang weder den persönlichen und schriftlichen Eingaben des Publikums noch den begründetsten Vorstellungen der Presse irgend nachgegeben haben. Um unter vielen Beispielen nur Eins hervorzuheben, erinnern wir an die Taunusbahn, wo die vierte ungeschützte Klasse von Stehwagen am längsten aufrecht erhal¬ ten wurde, wo sogar die dritte Klasse lange Zeit ohne Fenster bestand und das reisende Publikum dem Wind und Wetter preisgegeben war, ja wo oft die Wagen Jahre lang so beschädigt waren, daß der Regen durch die Dächer tropfte und trotz des allgemeinen Alarmschretes der Bevölkerung die Direction absolut nichts that, bis die Staatsbahnen längst mit gutem Bei¬ spiel voran gegangen waren und die Beschwerden vor die Volksvertretung der betreffenden Staaten gebracht wurden. Es hat sich also gezeigt, daß die localen Bedürfnisse viel leichter bei Staatsbahnen durch die Vermittlung der Volksvertretung zu den Ohren der Verwaltungen gelangen, daß ihre Erfül¬ lung viel leichter auf diesem Wege durchgesetzt werden kann als bei Privat¬ bahnen, ja daß bei Prtvatbahnen geradezu sehr häufig die Organe des Staates, d. h. die Volksvertretung, die Regierung in Anspruch genommen werden müssen, um die verstockten Verwaltungen, welche lediglich das Interesse einer hohen Dividende ihrer Actionäre im Auge haben, zur Erfüllung der berechtigtsten Wünsche zu zwingen. Das Staatsbahn-System verdient in der hier erörterten Beziehung auch deshalb den Vorzug vor den Privatbahnen, weil die Verwaltungsbezirke viel gleichmäßiger vertheilt werden können. Während jetzt in den Ländern, wo das System der Privatbahnen ausschließlich oder zum Theil herrscht, ganz kleine Bahnen neben sehr großen Linien bestehen, und dadurch ein gewisses Mißverhältniß und ein Mangel an Oekonomie in der Verwaltung und in der Anstellung des Personals nothwendig stattfinden muß, können beim Staatsbahn-System die Verwaltungs-Abtheilungen viel gleichmäßiger abge¬ grenzt werden, so daß auch deren Central-Oberleitung dadurch erleichtert wird, und die Anforderungen an die Verwaltung überhaupt übereinstim¬ mender sind. Wir müssen deshalb auch die unter Nummer 6 oben erwähnte Behaup¬ tung unter das Gebiet der Gemeinplätze rechnen, daß die Reichsregierung außer Stand sein würde, das verwickelte Transport-Gewerbe für mehr als 40 Millionen Menschen mit Erfolg zu betreiben. Abgesehen von dem eben genannten Vorzug der gleichmäßigeren Vertheilung der Verwaltungsbezirke könnte, wie wir weiter unten näher sehen werden, das Haupthinderniß der Rentabilität der Eisenbahnen durch den Reichsbetrieb bedeutend gemindert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/310>, abgerufen am 14.05.2024.