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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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an der Küste oder nicht weit im Innern, in Smyrna und Jerusalem z. B.
Gouverneurs sah. die keinen Para aus den öffentlichen Kassen bezogen und
monatlich doch mindestens so viel aufgehen ließen, als ihr Jahresgehalt
betragen haben würde, wenn er ausgezahlt worden wäre, daneben aber noch
reiche Geschenke an die hohen Gönner in Stambul abgehen ließen und gewiß
auch nicht den Nothpfennig vergaßen, den jeder türkische Würdenträger für die
Zeit der Ungnade zu sammeln pflegt.

Seit Jahrzehnten hat England -- selbstverständlich nicht von humanen
Grundsätzen bewegt, sondern wie allenthalben in seiner Politik eigennützige Zwecke
verfolgend -- auf gewisse Reformen hingewirkt, die sich namentlich auf die tür¬
kische Handelspolitik bezogen. Bis in die vierziger Jahre hinein waren noch
allenthalben Monopole in voller Geltung, die auf die Entwicklung der Hülfs-
quellen des Landes die nachtheiligste Entwicklung übten. Unter Anderm
durfte der Bauer seine Erzeugnisse nicht nach Belieben zu Markte bringen,
sondern mußte warten, bis irgend ein Händler mit einem Firman aus Stambul
versehen, oder auch sein Pascha ihm seine Vorräthe abkaufte, wobei natürlich
Händler oder Pascha den Preis festsetzte. Ferner gab es eine Menge innerer
Zollschranken, die der gehörigen Verwerthung der Landesproducte nicht weniger
entgegenstanden und sehr wesentlich zur Steigerung des kläglichen Zustandes
beitrugen, in welchem sich die ackerbauende Bevölkerung befand. Von Seiten
der englischen Gesandtschaft geschah alles Mögliche, um verständigere Ein¬
richtungen zu empfehlen, und so kam es endlich zu einem Handelsvertrage,
in welchem die Pforte sich verpflichtet, die Monopole sowie die Binnenzölle
fallen zu lassen. Jeder Producent erhielt das Recht, seine Ernte nach Abzug
der Zehnten und andrer Lasten beliebig zu verkaufen, ein mäßiger Zoll, fünf
Prozent für die Einfuhr und zwölf für die Ausfuhr, war fortan alles, was
die englischen Schutzangehörigen zu entrichten hatten; diese Begünstigung
wurde auf die Angehörigen andrer Staaten, die dem Vertrage beitreten woll¬
ten, ausgedehnt, und wenn die Reform auch vor Allem im Hinblick auf das
Interesse der britischen Kaufleute und Fabrikanten angeregt worden war, so
kam sie doch auch großen Theilen des türkischen Reiches zu Gute, indem sie
namentlich die an die Küste grenzenden Glieder dieses bisher vielfach unter¬
bundenen und wegen mangelnden Kreislaufs der Säfte absterbenden Staats¬
körpers von Neuem belebte. Längs des ganzen Gestades des Mittelmeeres
und seiner Ueberdecken, in einem Theile Anatoliens, Karamaniens, Syriens,
Rumeliens und Bulgariens äußerten sich die wohlthätigen Folgen der Reform
insbesondere in einer Zunahme des Ackerbaus, sodaß selbst das getreidereiche
Rumänien und Südrußland dadurch beunruhigt wurden. Man hätte weiter¬
gehen sollen und können, aber man that von Seiten der Pforte wie immer
auch hier nicht nur blos die Hälfte des Nothwendigen, sondern erlahmte


Grenzboten III. 1876. 39

an der Küste oder nicht weit im Innern, in Smyrna und Jerusalem z. B.
Gouverneurs sah. die keinen Para aus den öffentlichen Kassen bezogen und
monatlich doch mindestens so viel aufgehen ließen, als ihr Jahresgehalt
betragen haben würde, wenn er ausgezahlt worden wäre, daneben aber noch
reiche Geschenke an die hohen Gönner in Stambul abgehen ließen und gewiß
auch nicht den Nothpfennig vergaßen, den jeder türkische Würdenträger für die
Zeit der Ungnade zu sammeln pflegt.

Seit Jahrzehnten hat England — selbstverständlich nicht von humanen
Grundsätzen bewegt, sondern wie allenthalben in seiner Politik eigennützige Zwecke
verfolgend — auf gewisse Reformen hingewirkt, die sich namentlich auf die tür¬
kische Handelspolitik bezogen. Bis in die vierziger Jahre hinein waren noch
allenthalben Monopole in voller Geltung, die auf die Entwicklung der Hülfs-
quellen des Landes die nachtheiligste Entwicklung übten. Unter Anderm
durfte der Bauer seine Erzeugnisse nicht nach Belieben zu Markte bringen,
sondern mußte warten, bis irgend ein Händler mit einem Firman aus Stambul
versehen, oder auch sein Pascha ihm seine Vorräthe abkaufte, wobei natürlich
Händler oder Pascha den Preis festsetzte. Ferner gab es eine Menge innerer
Zollschranken, die der gehörigen Verwerthung der Landesproducte nicht weniger
entgegenstanden und sehr wesentlich zur Steigerung des kläglichen Zustandes
beitrugen, in welchem sich die ackerbauende Bevölkerung befand. Von Seiten
der englischen Gesandtschaft geschah alles Mögliche, um verständigere Ein¬
richtungen zu empfehlen, und so kam es endlich zu einem Handelsvertrage,
in welchem die Pforte sich verpflichtet, die Monopole sowie die Binnenzölle
fallen zu lassen. Jeder Producent erhielt das Recht, seine Ernte nach Abzug
der Zehnten und andrer Lasten beliebig zu verkaufen, ein mäßiger Zoll, fünf
Prozent für die Einfuhr und zwölf für die Ausfuhr, war fortan alles, was
die englischen Schutzangehörigen zu entrichten hatten; diese Begünstigung
wurde auf die Angehörigen andrer Staaten, die dem Vertrage beitreten woll¬
ten, ausgedehnt, und wenn die Reform auch vor Allem im Hinblick auf das
Interesse der britischen Kaufleute und Fabrikanten angeregt worden war, so
kam sie doch auch großen Theilen des türkischen Reiches zu Gute, indem sie
namentlich die an die Küste grenzenden Glieder dieses bisher vielfach unter¬
bundenen und wegen mangelnden Kreislaufs der Säfte absterbenden Staats¬
körpers von Neuem belebte. Längs des ganzen Gestades des Mittelmeeres
und seiner Ueberdecken, in einem Theile Anatoliens, Karamaniens, Syriens,
Rumeliens und Bulgariens äußerten sich die wohlthätigen Folgen der Reform
insbesondere in einer Zunahme des Ackerbaus, sodaß selbst das getreidereiche
Rumänien und Südrußland dadurch beunruhigt wurden. Man hätte weiter¬
gehen sollen und können, aber man that von Seiten der Pforte wie immer
auch hier nicht nur blos die Hälfte des Nothwendigen, sondern erlahmte


Grenzboten III. 1876. 39
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[0313] an der Küste oder nicht weit im Innern, in Smyrna und Jerusalem z. B. Gouverneurs sah. die keinen Para aus den öffentlichen Kassen bezogen und monatlich doch mindestens so viel aufgehen ließen, als ihr Jahresgehalt betragen haben würde, wenn er ausgezahlt worden wäre, daneben aber noch reiche Geschenke an die hohen Gönner in Stambul abgehen ließen und gewiß auch nicht den Nothpfennig vergaßen, den jeder türkische Würdenträger für die Zeit der Ungnade zu sammeln pflegt. Seit Jahrzehnten hat England — selbstverständlich nicht von humanen Grundsätzen bewegt, sondern wie allenthalben in seiner Politik eigennützige Zwecke verfolgend — auf gewisse Reformen hingewirkt, die sich namentlich auf die tür¬ kische Handelspolitik bezogen. Bis in die vierziger Jahre hinein waren noch allenthalben Monopole in voller Geltung, die auf die Entwicklung der Hülfs- quellen des Landes die nachtheiligste Entwicklung übten. Unter Anderm durfte der Bauer seine Erzeugnisse nicht nach Belieben zu Markte bringen, sondern mußte warten, bis irgend ein Händler mit einem Firman aus Stambul versehen, oder auch sein Pascha ihm seine Vorräthe abkaufte, wobei natürlich Händler oder Pascha den Preis festsetzte. Ferner gab es eine Menge innerer Zollschranken, die der gehörigen Verwerthung der Landesproducte nicht weniger entgegenstanden und sehr wesentlich zur Steigerung des kläglichen Zustandes beitrugen, in welchem sich die ackerbauende Bevölkerung befand. Von Seiten der englischen Gesandtschaft geschah alles Mögliche, um verständigere Ein¬ richtungen zu empfehlen, und so kam es endlich zu einem Handelsvertrage, in welchem die Pforte sich verpflichtet, die Monopole sowie die Binnenzölle fallen zu lassen. Jeder Producent erhielt das Recht, seine Ernte nach Abzug der Zehnten und andrer Lasten beliebig zu verkaufen, ein mäßiger Zoll, fünf Prozent für die Einfuhr und zwölf für die Ausfuhr, war fortan alles, was die englischen Schutzangehörigen zu entrichten hatten; diese Begünstigung wurde auf die Angehörigen andrer Staaten, die dem Vertrage beitreten woll¬ ten, ausgedehnt, und wenn die Reform auch vor Allem im Hinblick auf das Interesse der britischen Kaufleute und Fabrikanten angeregt worden war, so kam sie doch auch großen Theilen des türkischen Reiches zu Gute, indem sie namentlich die an die Küste grenzenden Glieder dieses bisher vielfach unter¬ bundenen und wegen mangelnden Kreislaufs der Säfte absterbenden Staats¬ körpers von Neuem belebte. Längs des ganzen Gestades des Mittelmeeres und seiner Ueberdecken, in einem Theile Anatoliens, Karamaniens, Syriens, Rumeliens und Bulgariens äußerten sich die wohlthätigen Folgen der Reform insbesondere in einer Zunahme des Ackerbaus, sodaß selbst das getreidereiche Rumänien und Südrußland dadurch beunruhigt wurden. Man hätte weiter¬ gehen sollen und können, aber man that von Seiten der Pforte wie immer auch hier nicht nur blos die Hälfte des Nothwendigen, sondern erlahmte Grenzboten III. 1876. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/313>, abgerufen am 29.04.2024.