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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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weniger als 9 heraus, und Smyrna besitze 3 griechische, 2 griechisch-türkische
und 2 französische Zeitungen, eine Wochenschrift in armenischer Sprache
und zwei griechische illustrirte Blätter.

Die Griechen sind bis tief in unser Jahrhundert hinein von den Türken
sehr schlecht behandelt und schwer bedrückt worden, und doch ist diese Race
jetzt zahlreicher und mächtiger wie je, während die natürliche Unbeholfenheit
und der Rückgang ihrer Unterdrücker, die aller Hebungsversuche spottende
Altersschwäche der letzteren den höchsten Grad erreicht zu haben scheint.
Ehemals verstanden die Türken zu handeln und bisweilen so kräftig zu
handeln, daß die ganze abendländische Welt vor ihnen zitterte. Jetzt finden
sie es bequemer. Nichts zu thun und Allah für sich handeln zu lassen. Noch
giebt der gemeine Mann einen vortrefflichen Soldaten ab, der namentlich im
Ertragen von Strapatzen und Entbehrungen Erstaunliches leistet. Aber ein
Arbeiter ist er nur soweit er muß. Selten begegnet man einem Türken, der
auch nur die Hälfte dessen zu leisten gewillt wäre, was seinem europäischen
Standesgenossen Kinderspiel ist. Dieses von Natur schwerfällige Volk ist
unfähig geworden zum Gebrauch seines Verstandes, seines Willens und selbst
seiner Glieder; unfähig zu einer Verbesserung, alt und gebrochen, scheint es un¬
rettbar verloren, wenigstens in Europa, wo es in weniger als hundert Jahren
sicher ungefähr die Rolle spielen wird, welche die stammverwandten Tartaren
in der Gegend von Astrachan und auf der Krim spielen. Bestimmt zu sagen,
wann die Katastrophe eintreten und wie lange sie dauern wird, ist freilich
unmöglich. Die Agonie eines Riesenkörpers gleich dem des Osmanenreiches
kann wie die des Byzanlinerthums, seines Vorgängers am goldnen Horn, sich
durch Jahrzehnte hinziehen. So sicher aber die Türkenherrschaft innerhalb
der Grenzen Europas in nicht gar langer Zeit ein Ende haben wird, schon
weil die Türken hier schon jetzt an Zahl verhältnißmäßig schwach sind und
mit jedem Jahre schwächer werden, glauben wir doch nicht an eine gänzliche
Vernichtung des Reichs der Sultane und noch weniger an ein völliges Ver¬
schwinden deö türkischen Volkes. Aus Europa zunächst als Macht, dann
wohl auch als Volk allmählich hinausgedrängt, werden sie ihre natürliche
Zufluchtsstätte in Kleinasien finden, wo ihre Race weit zahlreicher, weniger
mit andern Elementen gemischt und kräftiger und ursprünglicher ist als dies¬
seits der drei südöstlichen Meeresbecken Europas. Zusammengedrängt, ver¬
jüngt im Zusammenleben mit den jugendlicher gebliebner Stammgenossen,
wird sich ihre Kraft hier verzehnfachen und noch lange russischer Eroberung
Trotz bieten. Ja. es ist nicht völlig undenkbar, daß hier unter einem be¬
deutenden Herrscher, den aber die gegenwärtige Dynastie kaum zu erzeugen
im Stande sein wird, eine Regeneration des Staates und Volkes eintritt.


weniger als 9 heraus, und Smyrna besitze 3 griechische, 2 griechisch-türkische
und 2 französische Zeitungen, eine Wochenschrift in armenischer Sprache
und zwei griechische illustrirte Blätter.

Die Griechen sind bis tief in unser Jahrhundert hinein von den Türken
sehr schlecht behandelt und schwer bedrückt worden, und doch ist diese Race
jetzt zahlreicher und mächtiger wie je, während die natürliche Unbeholfenheit
und der Rückgang ihrer Unterdrücker, die aller Hebungsversuche spottende
Altersschwäche der letzteren den höchsten Grad erreicht zu haben scheint.
Ehemals verstanden die Türken zu handeln und bisweilen so kräftig zu
handeln, daß die ganze abendländische Welt vor ihnen zitterte. Jetzt finden
sie es bequemer. Nichts zu thun und Allah für sich handeln zu lassen. Noch
giebt der gemeine Mann einen vortrefflichen Soldaten ab, der namentlich im
Ertragen von Strapatzen und Entbehrungen Erstaunliches leistet. Aber ein
Arbeiter ist er nur soweit er muß. Selten begegnet man einem Türken, der
auch nur die Hälfte dessen zu leisten gewillt wäre, was seinem europäischen
Standesgenossen Kinderspiel ist. Dieses von Natur schwerfällige Volk ist
unfähig geworden zum Gebrauch seines Verstandes, seines Willens und selbst
seiner Glieder; unfähig zu einer Verbesserung, alt und gebrochen, scheint es un¬
rettbar verloren, wenigstens in Europa, wo es in weniger als hundert Jahren
sicher ungefähr die Rolle spielen wird, welche die stammverwandten Tartaren
in der Gegend von Astrachan und auf der Krim spielen. Bestimmt zu sagen,
wann die Katastrophe eintreten und wie lange sie dauern wird, ist freilich
unmöglich. Die Agonie eines Riesenkörpers gleich dem des Osmanenreiches
kann wie die des Byzanlinerthums, seines Vorgängers am goldnen Horn, sich
durch Jahrzehnte hinziehen. So sicher aber die Türkenherrschaft innerhalb
der Grenzen Europas in nicht gar langer Zeit ein Ende haben wird, schon
weil die Türken hier schon jetzt an Zahl verhältnißmäßig schwach sind und
mit jedem Jahre schwächer werden, glauben wir doch nicht an eine gänzliche
Vernichtung des Reichs der Sultane und noch weniger an ein völliges Ver¬
schwinden deö türkischen Volkes. Aus Europa zunächst als Macht, dann
wohl auch als Volk allmählich hinausgedrängt, werden sie ihre natürliche
Zufluchtsstätte in Kleinasien finden, wo ihre Race weit zahlreicher, weniger
mit andern Elementen gemischt und kräftiger und ursprünglicher ist als dies¬
seits der drei südöstlichen Meeresbecken Europas. Zusammengedrängt, ver¬
jüngt im Zusammenleben mit den jugendlicher gebliebner Stammgenossen,
wird sich ihre Kraft hier verzehnfachen und noch lange russischer Eroberung
Trotz bieten. Ja. es ist nicht völlig undenkbar, daß hier unter einem be¬
deutenden Herrscher, den aber die gegenwärtige Dynastie kaum zu erzeugen
im Stande sein wird, eine Regeneration des Staates und Volkes eintritt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/320>, abgerufen am 10.06.2024.