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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Beschaulichkeit sind zu groß, um dauernde Befürchtungen aufkommen zu lassen.
Jene bedrohlichen Zeichen sind Sache Allahs und höchstens noch des Gro߬
herrn , die Gegenwart ist ein flüchtiges Gaukelspiel, die Zukunft allein wird
entscheiden, und sie gehört dem unaufhaltsamen von jeher bestimmten Walten
des Fatums. Die Erziehung eines ganzen Lebens giebt dem Denken und
Anschauen des Türken diese Richtung, und sie stimmt mit seiner Neigung
zu unbekümmerten Nichtsthun überein, welches sich und die Dinge gehen läßt,
weil es so bequem ist.

Trotz dieser phlegmatischen Ergebung aber erfüllt in Folge jenes Dünkels
auf seine Race und seine Religion bisweilen Entsetzen und Kummer sein
Gemüth, wenn er von'der überHand nehmenden Entwürdigung der Söhne
des Islam und von der frevelhaften Einmischung der Franken und Mosko¬
witer Kunde erhält, welche die Oberherrlichkett jener über die Erde in Frage
zu stellen scheint. Der Padischah reist -- furchtbarer Gedanke, aber die Mähr
davon wird ihm von zuverlässigem Munde erzählt -- der Herr der Gläubigen
also reist von Zeit zu Zeit im Lande umher und versammelt um sein heiliges
Antlitz nicht nur die Vornehmsten jener Gläubigen, sondern auch niederträch¬
tige Giaurs, und er scheut sich nicht, laut und öffentlich zu verkünden: Fort¬
an seid Ihre alle gleich -- kein Unterschied der Religion, kein Vorzug des
Stammes mehr! Das grämt und wurmt. Verdrießlich, mürrisch, finster für
eine Weile erklärt sichs der Altgläubige so, daß der Padischah, verlockt durch
den Rath bestochener und verrärherischer Minister und verblendet durch die
Vorspiegelungen ränkevoll sich einschmeichelnder fränkischer Freunde, sich mit
eigener Hand den Umsturz seines Throns und den Untergang seines Na¬
mens vorzubereiten bemüht, während gerade das Gegentheil seines Redens
und Thuns sicher zum rechten Ziel und zu gleichem Ruhme mit seinen Vor¬
fahren führen müßte. Der Alttürke, der hier denkt und spricht, hat in seiner
Art Recht, sein Jnstinct sagt ihm, daß reformiren, die Christen den Türken
gleichstellen, den letzteren die Obmacht abtreten und dem Staate den Untergang
bereiten heißt. Gleichheit der Racen, Verschmelzung, Uebergehen derselben in
einander ist nicht denkbar. Der Türke müßte die ungeheuerste Metamor¬
phose aller seiner Erinnerungen und Anschauungen durchmachen, um sich dem
Christen gleich fühlen, ihn als Seinesgleichen behandeln zu können. Anderer¬
seits aber Anschluß an das Türkenthum und treue Ergebenheit zu hoffen von
dieser Rajah, die seit Jahrhunderten nichts als Unbill, Hohn und Verachtung
von den Türken erfahren hat, die von ihnen bis in die neueste Zeit herein
ohne Unterlaß geplagt und ausgesogen, geschändet und hingeschlachtet worden
ist, und die nun plötzlich gleiches Recht und gleiche Pflicht mit ihren Peini¬
gern und Blutsaugern bekommen soll, darunter, wie doch nicht ausbleiben
kann, das Recht, die Waffen im Dienste des Sultans zu tragen -- fürwahr,


Beschaulichkeit sind zu groß, um dauernde Befürchtungen aufkommen zu lassen.
Jene bedrohlichen Zeichen sind Sache Allahs und höchstens noch des Gro߬
herrn , die Gegenwart ist ein flüchtiges Gaukelspiel, die Zukunft allein wird
entscheiden, und sie gehört dem unaufhaltsamen von jeher bestimmten Walten
des Fatums. Die Erziehung eines ganzen Lebens giebt dem Denken und
Anschauen des Türken diese Richtung, und sie stimmt mit seiner Neigung
zu unbekümmerten Nichtsthun überein, welches sich und die Dinge gehen läßt,
weil es so bequem ist.

Trotz dieser phlegmatischen Ergebung aber erfüllt in Folge jenes Dünkels
auf seine Race und seine Religion bisweilen Entsetzen und Kummer sein
Gemüth, wenn er von'der überHand nehmenden Entwürdigung der Söhne
des Islam und von der frevelhaften Einmischung der Franken und Mosko¬
witer Kunde erhält, welche die Oberherrlichkett jener über die Erde in Frage
zu stellen scheint. Der Padischah reist — furchtbarer Gedanke, aber die Mähr
davon wird ihm von zuverlässigem Munde erzählt — der Herr der Gläubigen
also reist von Zeit zu Zeit im Lande umher und versammelt um sein heiliges
Antlitz nicht nur die Vornehmsten jener Gläubigen, sondern auch niederträch¬
tige Giaurs, und er scheut sich nicht, laut und öffentlich zu verkünden: Fort¬
an seid Ihre alle gleich — kein Unterschied der Religion, kein Vorzug des
Stammes mehr! Das grämt und wurmt. Verdrießlich, mürrisch, finster für
eine Weile erklärt sichs der Altgläubige so, daß der Padischah, verlockt durch
den Rath bestochener und verrärherischer Minister und verblendet durch die
Vorspiegelungen ränkevoll sich einschmeichelnder fränkischer Freunde, sich mit
eigener Hand den Umsturz seines Throns und den Untergang seines Na¬
mens vorzubereiten bemüht, während gerade das Gegentheil seines Redens
und Thuns sicher zum rechten Ziel und zu gleichem Ruhme mit seinen Vor¬
fahren führen müßte. Der Alttürke, der hier denkt und spricht, hat in seiner
Art Recht, sein Jnstinct sagt ihm, daß reformiren, die Christen den Türken
gleichstellen, den letzteren die Obmacht abtreten und dem Staate den Untergang
bereiten heißt. Gleichheit der Racen, Verschmelzung, Uebergehen derselben in
einander ist nicht denkbar. Der Türke müßte die ungeheuerste Metamor¬
phose aller seiner Erinnerungen und Anschauungen durchmachen, um sich dem
Christen gleich fühlen, ihn als Seinesgleichen behandeln zu können. Anderer¬
seits aber Anschluß an das Türkenthum und treue Ergebenheit zu hoffen von
dieser Rajah, die seit Jahrhunderten nichts als Unbill, Hohn und Verachtung
von den Türken erfahren hat, die von ihnen bis in die neueste Zeit herein
ohne Unterlaß geplagt und ausgesogen, geschändet und hingeschlachtet worden
ist, und die nun plötzlich gleiches Recht und gleiche Pflicht mit ihren Peini¬
gern und Blutsaugern bekommen soll, darunter, wie doch nicht ausbleiben
kann, das Recht, die Waffen im Dienste des Sultans zu tragen — fürwahr,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/322>, abgerufen am 05.05.2024.