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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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bahndirectoren in so großer Zahl im Parlamente sitzen, daß alle wichtigen
Eisenbahnfragen bloß im Interesse der Directoren und Actionäre statt in dem
des Publikums und des Landes entschieden werden. In der Schweiz herrscht
seit längerer Zeit gerade unter der freisinnigeren Partei die Besorgniß vor
dem um sich greifenden Einfluß der so genannten Eisenbahnbarone. In
Belgien, wo der Eisenbahnbau ausschließlich vom Staate in die Hände ge¬
nommen wurde und erst später die Partei des Privatbaues vorübergehend
Concessionen durchsetzte, ist die Regierung längst zu der Ueberzeugung gelangt,
daß sie die entstandenen Privateisenbahnen nach und nach wieder an sich
ziehen müsse, weil bei der außerordentlichen Gleichmäßigkeit der Parteien eine
einzige Eisenbahngesellschaft im Stande ist, die Wahl für die eine oder die
andere Partei zu entscheiden und es nicht verschmäht hat, gegen besprochene
Begünstigungen zum Vortheil der einen oder anderen Partei davon Gebrauch
zu machen.

Die französischen Eisenbahnen können nicht als ein Beispiel der Vorzüg¬
lichkeit des Privatbahn-Systems aufgeführt werden, weil der Staat sich eine
übermächtige Controle vorbehalten hat, und weil dieselben nach Ablauf ihres
Privilegs unentgeltlich an den Staat zurückfallen, und der letztere als Aequi-
valent so bedeutende Leistungen übernommen hat wenigstens gegenüber den
sechs großen Gesellschaften, welche die Hauptlinien übernommen haben, daß
sie ein gewaltiges Monopol repräsentiren, welches statt den Ausbau des
Netzes zu fördern, demselben viele Hindernisse in den Weg gelegt hat. Auch
Wenn der Staat durch den unentgeltlichen Heimfall der Linien die genügende
Entschädigung erhält, so ist es doch fraglich, ob es für das Land nicht besser
gewesen wäre, wenn der Staat Bau und Betrieb des ganzen Systems selbst
in die Hand genommen hätte. Denn die großen Gesellschaften haben nur
die möglichste Ausnützung ihres Monopols zu Gunsten ihrer Acttonäre im
Auge, und obwohl sie verpflichtet waren zur Vervollständigung des nationalen
Eisenbahnnetzes auch den Bau von Secundärbahnen zu übernehmen, so
suchten sie doch im Gegentheil sich dieser Pflicht so viel als möglich zu
entziehen, um ihr Einkommen aus den rentablen Linien ersten Ranges nicht
M schmälern, dessen Ueberschüsse bei einem nationalen Verkehrssystem eigentlich
dazu dienen müßten, um die Ausstattung auch weniger bevölkerter Gegenden
mit neuen, weniger gut rentirenden Eisenbahnlinien zu erlauben. Statt ihre
Pflicht zu erfüllen, suchten die großen Gesellschaften vielmehr sich dem Bau
aller solcher Linien, die nicht eine sichere Rente versprachen, zu entziehen. Als
aber dann das öffentliche Verlangen nach der Errichtung solcher Linien zu
laut wurde und die Regierung den an sie gerichteten Anträgen nicht mehr
widerstehen konnte, suchten die großen Gesellschaften den Concessionserthei¬
lungen an Dritte dadurch zuvorzukommen, daß sie selbst um die Concession


Grenzboten III. 187K. 45

bahndirectoren in so großer Zahl im Parlamente sitzen, daß alle wichtigen
Eisenbahnfragen bloß im Interesse der Directoren und Actionäre statt in dem
des Publikums und des Landes entschieden werden. In der Schweiz herrscht
seit längerer Zeit gerade unter der freisinnigeren Partei die Besorgniß vor
dem um sich greifenden Einfluß der so genannten Eisenbahnbarone. In
Belgien, wo der Eisenbahnbau ausschließlich vom Staate in die Hände ge¬
nommen wurde und erst später die Partei des Privatbaues vorübergehend
Concessionen durchsetzte, ist die Regierung längst zu der Ueberzeugung gelangt,
daß sie die entstandenen Privateisenbahnen nach und nach wieder an sich
ziehen müsse, weil bei der außerordentlichen Gleichmäßigkeit der Parteien eine
einzige Eisenbahngesellschaft im Stande ist, die Wahl für die eine oder die
andere Partei zu entscheiden und es nicht verschmäht hat, gegen besprochene
Begünstigungen zum Vortheil der einen oder anderen Partei davon Gebrauch
zu machen.

Die französischen Eisenbahnen können nicht als ein Beispiel der Vorzüg¬
lichkeit des Privatbahn-Systems aufgeführt werden, weil der Staat sich eine
übermächtige Controle vorbehalten hat, und weil dieselben nach Ablauf ihres
Privilegs unentgeltlich an den Staat zurückfallen, und der letztere als Aequi-
valent so bedeutende Leistungen übernommen hat wenigstens gegenüber den
sechs großen Gesellschaften, welche die Hauptlinien übernommen haben, daß
sie ein gewaltiges Monopol repräsentiren, welches statt den Ausbau des
Netzes zu fördern, demselben viele Hindernisse in den Weg gelegt hat. Auch
Wenn der Staat durch den unentgeltlichen Heimfall der Linien die genügende
Entschädigung erhält, so ist es doch fraglich, ob es für das Land nicht besser
gewesen wäre, wenn der Staat Bau und Betrieb des ganzen Systems selbst
in die Hand genommen hätte. Denn die großen Gesellschaften haben nur
die möglichste Ausnützung ihres Monopols zu Gunsten ihrer Acttonäre im
Auge, und obwohl sie verpflichtet waren zur Vervollständigung des nationalen
Eisenbahnnetzes auch den Bau von Secundärbahnen zu übernehmen, so
suchten sie doch im Gegentheil sich dieser Pflicht so viel als möglich zu
entziehen, um ihr Einkommen aus den rentablen Linien ersten Ranges nicht
M schmälern, dessen Ueberschüsse bei einem nationalen Verkehrssystem eigentlich
dazu dienen müßten, um die Ausstattung auch weniger bevölkerter Gegenden
mit neuen, weniger gut rentirenden Eisenbahnlinien zu erlauben. Statt ihre
Pflicht zu erfüllen, suchten die großen Gesellschaften vielmehr sich dem Bau
aller solcher Linien, die nicht eine sichere Rente versprachen, zu entziehen. Als
aber dann das öffentliche Verlangen nach der Errichtung solcher Linien zu
laut wurde und die Regierung den an sie gerichteten Anträgen nicht mehr
widerstehen konnte, suchten die großen Gesellschaften den Concessionserthei¬
lungen an Dritte dadurch zuvorzukommen, daß sie selbst um die Concession


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[0361] bahndirectoren in so großer Zahl im Parlamente sitzen, daß alle wichtigen Eisenbahnfragen bloß im Interesse der Directoren und Actionäre statt in dem des Publikums und des Landes entschieden werden. In der Schweiz herrscht seit längerer Zeit gerade unter der freisinnigeren Partei die Besorgniß vor dem um sich greifenden Einfluß der so genannten Eisenbahnbarone. In Belgien, wo der Eisenbahnbau ausschließlich vom Staate in die Hände ge¬ nommen wurde und erst später die Partei des Privatbaues vorübergehend Concessionen durchsetzte, ist die Regierung längst zu der Ueberzeugung gelangt, daß sie die entstandenen Privateisenbahnen nach und nach wieder an sich ziehen müsse, weil bei der außerordentlichen Gleichmäßigkeit der Parteien eine einzige Eisenbahngesellschaft im Stande ist, die Wahl für die eine oder die andere Partei zu entscheiden und es nicht verschmäht hat, gegen besprochene Begünstigungen zum Vortheil der einen oder anderen Partei davon Gebrauch zu machen. Die französischen Eisenbahnen können nicht als ein Beispiel der Vorzüg¬ lichkeit des Privatbahn-Systems aufgeführt werden, weil der Staat sich eine übermächtige Controle vorbehalten hat, und weil dieselben nach Ablauf ihres Privilegs unentgeltlich an den Staat zurückfallen, und der letztere als Aequi- valent so bedeutende Leistungen übernommen hat wenigstens gegenüber den sechs großen Gesellschaften, welche die Hauptlinien übernommen haben, daß sie ein gewaltiges Monopol repräsentiren, welches statt den Ausbau des Netzes zu fördern, demselben viele Hindernisse in den Weg gelegt hat. Auch Wenn der Staat durch den unentgeltlichen Heimfall der Linien die genügende Entschädigung erhält, so ist es doch fraglich, ob es für das Land nicht besser gewesen wäre, wenn der Staat Bau und Betrieb des ganzen Systems selbst in die Hand genommen hätte. Denn die großen Gesellschaften haben nur die möglichste Ausnützung ihres Monopols zu Gunsten ihrer Acttonäre im Auge, und obwohl sie verpflichtet waren zur Vervollständigung des nationalen Eisenbahnnetzes auch den Bau von Secundärbahnen zu übernehmen, so suchten sie doch im Gegentheil sich dieser Pflicht so viel als möglich zu entziehen, um ihr Einkommen aus den rentablen Linien ersten Ranges nicht M schmälern, dessen Ueberschüsse bei einem nationalen Verkehrssystem eigentlich dazu dienen müßten, um die Ausstattung auch weniger bevölkerter Gegenden mit neuen, weniger gut rentirenden Eisenbahnlinien zu erlauben. Statt ihre Pflicht zu erfüllen, suchten die großen Gesellschaften vielmehr sich dem Bau aller solcher Linien, die nicht eine sichere Rente versprachen, zu entziehen. Als aber dann das öffentliche Verlangen nach der Errichtung solcher Linien zu laut wurde und die Regierung den an sie gerichteten Anträgen nicht mehr widerstehen konnte, suchten die großen Gesellschaften den Concessionserthei¬ lungen an Dritte dadurch zuvorzukommen, daß sie selbst um die Concession Grenzboten III. 187K. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/361>, abgerufen am 03.05.2024.