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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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solcher Secundärbahnen zur Vervollständigung des Netzes einkamen. Hatten
sie auf diese Art die Sache in der Hand, so schoben sie dieselbe mit allen
möglichen Vorwänden hinaus und dachten an nichts weniger als an die
Ausführung der Concession zu schreiten. In Folge der über dieses Verfahren
entstandenen allgemeinen Klagen sah sich die Gesetzgebung bewogen, ein Ge¬
setz zu erlassen, nach welchem den Generalräthen in den Departements die
Befugniß ertheilt wurde. Concessionen für Localbahnen zu verleihen. Die
Wirksamkeit dieses Gesetzes war sehr bald in der Gründung einer größeren
Anzahl secundärer Bahnen bemerklich, welche theils dazu dienen sollten, dem
Verkehr durch Ausbau des Netzes zu Hilfe zu kommen, indem einestheils
Durchkreuzungen der großen Linien vorgenommen wurden, anderntheils auch
schmalspurige Linien entstanden, welche in den Binnendistricten zwischen den
großen Linien den letzteren Concurrenz machten. Hierauf folgte eine Zeit
des Kampfes, in welcher die großen Linien den neuen Lokalbahnen alle mög¬
lichen Hindernisse in den Weg legten, so daß die letzteren endlich zu dem
Plan einer Fusion getrieben wurden, welcher vorläufig an der zu großen
Hast und Verwegenheit ihres Leiters (Philippart) scheiterte, aber noch nicht
ihr letztes Wort gesprochen haben wird.

In England hat sich das Privateisenbahn-System allerdings freier ent¬
wickelt, und es hat sich bis zu einem gewissen Grade sogar eine ansehnliche Con¬
currenz geltend gemacht. Wie aber schon anfangs die Concurrenz der Eisen¬
bahnen mit den Canälen sehr bald zur Coalition führte, so daß die Hälfte der
Canäle in die Hände von Eisenbahngesellschaften gelangte, so führte die Con¬
currenz der Eisenbahnen unter einander zu einem großen Fusionsproceß, welcher
im Laufe von 30 Jahren dahin geführt hat, daß mehr als fünf Sechstel sämmt¬
licher britischer Eisenbahnen in die Hände von 16 Gesellschaften gefallen sind,
daß sieben Gesellschaften mehr als die Hälfte der sämmtlichen Eisenbahnen be¬
sitzen und die größte dieser Gesellschaften, welche allmählich mehr als 80 an¬
dere Gesellschaften in sich aufgenommen hat, die London und North-Western,
fast den sechsten Theil aller Eisenbahnen Großbritanniens zu Eigen hat.

Diese Bewegung schien dem vom britischen Parlament niedergesetzten
Ausschuß eine große Gefahr in sich zu bergen; denn nach einer Enquete,
während welcher eine große Anzahl sachverständiger und geachteter Zeugen
vernommen wurde, ist 1872 von diesem Ausschusse ein Bericht erstattet worden,
dem wir folgende bemerkenswerthe Stelle entnehmen:

"Eine größere Frage, welche während der Untersuchung angeregt worden
ist, muß hier erwähnt werden, ob nämlich der Fortschritt der Verbindungen
zwischen Eisenbahngesellschaften nicht allmählich zur Schaffung von Körper¬
schaften führen kann, welche concentrirt so groß und mächtig sind, daß
es schon aus politischen, wenn nicht aus wirthschaftlichen Gründen geboten ist.


solcher Secundärbahnen zur Vervollständigung des Netzes einkamen. Hatten
sie auf diese Art die Sache in der Hand, so schoben sie dieselbe mit allen
möglichen Vorwänden hinaus und dachten an nichts weniger als an die
Ausführung der Concession zu schreiten. In Folge der über dieses Verfahren
entstandenen allgemeinen Klagen sah sich die Gesetzgebung bewogen, ein Ge¬
setz zu erlassen, nach welchem den Generalräthen in den Departements die
Befugniß ertheilt wurde. Concessionen für Localbahnen zu verleihen. Die
Wirksamkeit dieses Gesetzes war sehr bald in der Gründung einer größeren
Anzahl secundärer Bahnen bemerklich, welche theils dazu dienen sollten, dem
Verkehr durch Ausbau des Netzes zu Hilfe zu kommen, indem einestheils
Durchkreuzungen der großen Linien vorgenommen wurden, anderntheils auch
schmalspurige Linien entstanden, welche in den Binnendistricten zwischen den
großen Linien den letzteren Concurrenz machten. Hierauf folgte eine Zeit
des Kampfes, in welcher die großen Linien den neuen Lokalbahnen alle mög¬
lichen Hindernisse in den Weg legten, so daß die letzteren endlich zu dem
Plan einer Fusion getrieben wurden, welcher vorläufig an der zu großen
Hast und Verwegenheit ihres Leiters (Philippart) scheiterte, aber noch nicht
ihr letztes Wort gesprochen haben wird.

In England hat sich das Privateisenbahn-System allerdings freier ent¬
wickelt, und es hat sich bis zu einem gewissen Grade sogar eine ansehnliche Con¬
currenz geltend gemacht. Wie aber schon anfangs die Concurrenz der Eisen¬
bahnen mit den Canälen sehr bald zur Coalition führte, so daß die Hälfte der
Canäle in die Hände von Eisenbahngesellschaften gelangte, so führte die Con¬
currenz der Eisenbahnen unter einander zu einem großen Fusionsproceß, welcher
im Laufe von 30 Jahren dahin geführt hat, daß mehr als fünf Sechstel sämmt¬
licher britischer Eisenbahnen in die Hände von 16 Gesellschaften gefallen sind,
daß sieben Gesellschaften mehr als die Hälfte der sämmtlichen Eisenbahnen be¬
sitzen und die größte dieser Gesellschaften, welche allmählich mehr als 80 an¬
dere Gesellschaften in sich aufgenommen hat, die London und North-Western,
fast den sechsten Theil aller Eisenbahnen Großbritanniens zu Eigen hat.

Diese Bewegung schien dem vom britischen Parlament niedergesetzten
Ausschuß eine große Gefahr in sich zu bergen; denn nach einer Enquete,
während welcher eine große Anzahl sachverständiger und geachteter Zeugen
vernommen wurde, ist 1872 von diesem Ausschusse ein Bericht erstattet worden,
dem wir folgende bemerkenswerthe Stelle entnehmen:

„Eine größere Frage, welche während der Untersuchung angeregt worden
ist, muß hier erwähnt werden, ob nämlich der Fortschritt der Verbindungen
zwischen Eisenbahngesellschaften nicht allmählich zur Schaffung von Körper¬
schaften führen kann, welche concentrirt so groß und mächtig sind, daß
es schon aus politischen, wenn nicht aus wirthschaftlichen Gründen geboten ist.


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[0362] solcher Secundärbahnen zur Vervollständigung des Netzes einkamen. Hatten sie auf diese Art die Sache in der Hand, so schoben sie dieselbe mit allen möglichen Vorwänden hinaus und dachten an nichts weniger als an die Ausführung der Concession zu schreiten. In Folge der über dieses Verfahren entstandenen allgemeinen Klagen sah sich die Gesetzgebung bewogen, ein Ge¬ setz zu erlassen, nach welchem den Generalräthen in den Departements die Befugniß ertheilt wurde. Concessionen für Localbahnen zu verleihen. Die Wirksamkeit dieses Gesetzes war sehr bald in der Gründung einer größeren Anzahl secundärer Bahnen bemerklich, welche theils dazu dienen sollten, dem Verkehr durch Ausbau des Netzes zu Hilfe zu kommen, indem einestheils Durchkreuzungen der großen Linien vorgenommen wurden, anderntheils auch schmalspurige Linien entstanden, welche in den Binnendistricten zwischen den großen Linien den letzteren Concurrenz machten. Hierauf folgte eine Zeit des Kampfes, in welcher die großen Linien den neuen Lokalbahnen alle mög¬ lichen Hindernisse in den Weg legten, so daß die letzteren endlich zu dem Plan einer Fusion getrieben wurden, welcher vorläufig an der zu großen Hast und Verwegenheit ihres Leiters (Philippart) scheiterte, aber noch nicht ihr letztes Wort gesprochen haben wird. In England hat sich das Privateisenbahn-System allerdings freier ent¬ wickelt, und es hat sich bis zu einem gewissen Grade sogar eine ansehnliche Con¬ currenz geltend gemacht. Wie aber schon anfangs die Concurrenz der Eisen¬ bahnen mit den Canälen sehr bald zur Coalition führte, so daß die Hälfte der Canäle in die Hände von Eisenbahngesellschaften gelangte, so führte die Con¬ currenz der Eisenbahnen unter einander zu einem großen Fusionsproceß, welcher im Laufe von 30 Jahren dahin geführt hat, daß mehr als fünf Sechstel sämmt¬ licher britischer Eisenbahnen in die Hände von 16 Gesellschaften gefallen sind, daß sieben Gesellschaften mehr als die Hälfte der sämmtlichen Eisenbahnen be¬ sitzen und die größte dieser Gesellschaften, welche allmählich mehr als 80 an¬ dere Gesellschaften in sich aufgenommen hat, die London und North-Western, fast den sechsten Theil aller Eisenbahnen Großbritanniens zu Eigen hat. Diese Bewegung schien dem vom britischen Parlament niedergesetzten Ausschuß eine große Gefahr in sich zu bergen; denn nach einer Enquete, während welcher eine große Anzahl sachverständiger und geachteter Zeugen vernommen wurde, ist 1872 von diesem Ausschusse ein Bericht erstattet worden, dem wir folgende bemerkenswerthe Stelle entnehmen: „Eine größere Frage, welche während der Untersuchung angeregt worden ist, muß hier erwähnt werden, ob nämlich der Fortschritt der Verbindungen zwischen Eisenbahngesellschaften nicht allmählich zur Schaffung von Körper¬ schaften führen kann, welche concentrirt so groß und mächtig sind, daß es schon aus politischen, wenn nicht aus wirthschaftlichen Gründen geboten ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/362>, abgerufen am 19.05.2024.