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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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bedeutenden Antheil am Ganzen habe, daß das Risico ganz auf Seiten der
Actionäre sei. Uns ist speciell ein Fall bekannt, wo die Gründer einer
Eisenbahn, welche 20 Millionen Dollars kosten sollte, nur ein Actiencapital
von 200,000 Dollars angenommen, folglich das ganze Ristco auf die Obli-
gationenbesttzer geworfen hatten, da die Stammantheile gar nur den 50. Theil
des Gesammtcapitals ausmachten. Noch ärgere Mißbräuche sind in Amerika
bei der Verwaltung der Eisenbahnen vorgekommen. Wir brauchen nur an
die Beraubung der Erie-Bahn durch Fest und seine Spießgesellen zu erinnern.
Einer der gewöhnlichsten Mißbräuche ist die laxe Verwaltung der flüssigen
Gelder der Eisenbahn, welche häufig zum Leihgeschäft bei der Börse verwendet
werden, und bei denen der Brauch herrschen soll, daß der überschießende Ge¬
winn über die Normalzinsen in die Taschen der Verwaltungsräthe wandert,
der Verlust aber, der bei diesem gewagten Geschäfte auch zuweilen vorkommt,
der Dividende der Actionäre belastet wird. Auch bei Privatbahnen in Europa
ist vor dem Ausbruch der Krisis dieses Börsenleihgeschäft nicht selten be¬
trieben worden. Ganz besonders wird auch über die verschwenderische Weise
geklagt, mit welcher die amerikanischen Verwaltungsräthe mit den Freikarten
umgehen, und mit welchen sie jede Gelegenheit benutzen, um irgend einen Vor¬
theil aus den Mitteln der Gesellschaft zu erHaschen. Der Unfug dieses
modernen Raubritterthums war zuletzt so groß geworden, daß sich zuletzt im
Westen die großartige Bewegung der Landwirthe, die sogenannte Granger-
Agitation, wider denselben erhob, um die Interessen des Publikums, des
Volkes, des Staates gegen die Eisenbahn - Plutokratie zu wahren, indem sie
verlangte und in einigen Staaten durchsetzte, daß die Eisenbahnen einer
strengen Controle der Regierung unterworfen würden. Zwar hat sich diese
Bewegung bisher noch auf die Politik der Einzelstaaten gestützt und die
Union noch nicht hineingezogen; auch ist man von Haus aus in allen Dingen
mehr an die Privatinitiative gewöhnt und kann sich schwer dazu entschließen,
dem Staat eine wirthschaftliche Funktion zu übertragen, allein schon die
Existenz der Granger-Bewegung beweist, daß das Bedürfniß einer Reform
der aus dem Privatbahnsystem hervorgegangenen Uebelstände lebhaft gefühlt
wird, und aus der Inanspruchnahme der Hilfe der Einzelstaaten läßt sich
schließen, daß, wenn diese sich nicht als ausreichend erweisen sollte, die Be¬
wegung noch die Unionspolitik ergreift. Da man überhaupt in Amerika
instinctiv und ohne Wahl auf das Privatbahnsystem verfallen ist und das
Staatsbahnsystem gar nicht versucht hat, so lassen sich die dort gemachten
Erfahrungen überhaupt nicht gegen das letztere anführen. Mit einer einzigen
Ausnahme verhält es sich ebenso in der Schweiz, wo zwar nach voller parla¬
mentarischer Berathung der Bau der Eisenbahnen durch den Bund abgelehnt
wurde, aber zu einer Zeit (1852), wo in der Schweiz noch gar keine Er-


bedeutenden Antheil am Ganzen habe, daß das Risico ganz auf Seiten der
Actionäre sei. Uns ist speciell ein Fall bekannt, wo die Gründer einer
Eisenbahn, welche 20 Millionen Dollars kosten sollte, nur ein Actiencapital
von 200,000 Dollars angenommen, folglich das ganze Ristco auf die Obli-
gationenbesttzer geworfen hatten, da die Stammantheile gar nur den 50. Theil
des Gesammtcapitals ausmachten. Noch ärgere Mißbräuche sind in Amerika
bei der Verwaltung der Eisenbahnen vorgekommen. Wir brauchen nur an
die Beraubung der Erie-Bahn durch Fest und seine Spießgesellen zu erinnern.
Einer der gewöhnlichsten Mißbräuche ist die laxe Verwaltung der flüssigen
Gelder der Eisenbahn, welche häufig zum Leihgeschäft bei der Börse verwendet
werden, und bei denen der Brauch herrschen soll, daß der überschießende Ge¬
winn über die Normalzinsen in die Taschen der Verwaltungsräthe wandert,
der Verlust aber, der bei diesem gewagten Geschäfte auch zuweilen vorkommt,
der Dividende der Actionäre belastet wird. Auch bei Privatbahnen in Europa
ist vor dem Ausbruch der Krisis dieses Börsenleihgeschäft nicht selten be¬
trieben worden. Ganz besonders wird auch über die verschwenderische Weise
geklagt, mit welcher die amerikanischen Verwaltungsräthe mit den Freikarten
umgehen, und mit welchen sie jede Gelegenheit benutzen, um irgend einen Vor¬
theil aus den Mitteln der Gesellschaft zu erHaschen. Der Unfug dieses
modernen Raubritterthums war zuletzt so groß geworden, daß sich zuletzt im
Westen die großartige Bewegung der Landwirthe, die sogenannte Granger-
Agitation, wider denselben erhob, um die Interessen des Publikums, des
Volkes, des Staates gegen die Eisenbahn - Plutokratie zu wahren, indem sie
verlangte und in einigen Staaten durchsetzte, daß die Eisenbahnen einer
strengen Controle der Regierung unterworfen würden. Zwar hat sich diese
Bewegung bisher noch auf die Politik der Einzelstaaten gestützt und die
Union noch nicht hineingezogen; auch ist man von Haus aus in allen Dingen
mehr an die Privatinitiative gewöhnt und kann sich schwer dazu entschließen,
dem Staat eine wirthschaftliche Funktion zu übertragen, allein schon die
Existenz der Granger-Bewegung beweist, daß das Bedürfniß einer Reform
der aus dem Privatbahnsystem hervorgegangenen Uebelstände lebhaft gefühlt
wird, und aus der Inanspruchnahme der Hilfe der Einzelstaaten läßt sich
schließen, daß, wenn diese sich nicht als ausreichend erweisen sollte, die Be¬
wegung noch die Unionspolitik ergreift. Da man überhaupt in Amerika
instinctiv und ohne Wahl auf das Privatbahnsystem verfallen ist und das
Staatsbahnsystem gar nicht versucht hat, so lassen sich die dort gemachten
Erfahrungen überhaupt nicht gegen das letztere anführen. Mit einer einzigen
Ausnahme verhält es sich ebenso in der Schweiz, wo zwar nach voller parla¬
mentarischer Berathung der Bau der Eisenbahnen durch den Bund abgelehnt
wurde, aber zu einer Zeit (1852), wo in der Schweiz noch gar keine Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/364>, abgerufen am 18.05.2024.