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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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fahrungen gemacht waren und in den andern Ländern noch nicht genug, um
sich mit voller Gewißheit des Erfolgs für das eine oder andere System ent¬
scheiden zu können.

Ein anderer Einwurf ist der, daß das Reich durch die Uebernahme der
deutschen Eisenbahnen eine zu große Schuldenlast auf sich laden würde. Um
diesen Einwurf zu beurtheilen, muß man sich vergegenwärtigen, auf welche
Weise eine solche Eigenthumsübertragung vollzogen und die Zahlung des
Kaufschillings gewährt werden würde. Die bisherigen Eigenthümer der
Eisenbahnen würden mittelst einer zu creirenden Reichsrente zu entschädigen
sein, deren Verzinsung am besten so gestellt würde, daß die Titel an der
Börse im Pari-Curs stehen würden. Der Werth des Kaufobjects müßte nach
einem gewissen Durchschnittsertrag unter Ausscheidung außerordentlicher Jahre
mit einer gewissen billigen Rücksichtnahme auf das Baucapital geschätzt und
festgestellt werden. Das Reich würde sich also eigentlich gar keine Schulden¬
last aufladen; denn für die geschaffenen und hingegebenen Reichsrententitel
würde es das Kaufobject in Gestalt sämmtlicher Eisenbahnen erhalten. In
Beziehung auf das Nationalcapital und den Geldmarkt wäre nichts geändert,
als daß ein einziger Reichstitel an die Stelle der vielerlei Eisenbahn-Stamm-
actien, Prioritäten und Staats-Obligationen gesetzt würde, welcher überdies
ein weit gangbareres und geringeren Schwankungen ausgesetztes Effekt des
Capitalmarktes bilden würde als die letzteren. Um demnach behaupten zu
können, daß durch den genannten Schritt dem Reiche eine zu große Schulden¬
last aufgebürdet werde, müßte erst bewiesen werden, daß das Reich einen
Preis zahlen müsse, welcher das Verhältniß der künftigen Rentabilität der
Eisenbahnen überstiege, oder daß seine Verwaltung so viel schlechter und kost¬
spieliger sein würde, daß die Rentabilität der Eisenbahnen unter seiner Lei¬
tung abnehmen müsse, Obgleich dieser Beweis eigentlich von den Gegnern
zu liefern wäre, so behalten wir uns doch vor, auch diese Frage einer Unter¬
suchung zu unterziehen.

Endlich begegnen wir noch häufig der Behauptung, die Privateisenbahnen
hätten dem Verkehr ungeheure Dienste geleistet, ohne sie hätte das Eisenbahn¬
netz noch gar nicht seine heutige Ausdehnung gewonnen, weil der büreau-
kratische Schlendrian des Staates theils vor vielen Schwierigkeiten im Anfang
zurückgeschreckt wäre, theils aus Pedanterie überflüssige Hindernisse in den
Weg gelegt hätte. Uns scheint, daß in der ersteren Beziehung die Wohlthaten,
welche die Eisenbahnen überhaupt mit sich gebracht haben, von vielen Seiten
nur den Privatbahnen gutgeschrieben werden, weil eben der Privatbau im
Allgemeinen noch der vorherrschende ist. Man würde ebenso in Ländern wie
Baiern und Württemberg, wo nur der Staatsbäu Platz gegriffen hat, zu weit
gehen, wenn man die Wohlthaten der Eisenbahnen überhaupt wieder nur dem


fahrungen gemacht waren und in den andern Ländern noch nicht genug, um
sich mit voller Gewißheit des Erfolgs für das eine oder andere System ent¬
scheiden zu können.

Ein anderer Einwurf ist der, daß das Reich durch die Uebernahme der
deutschen Eisenbahnen eine zu große Schuldenlast auf sich laden würde. Um
diesen Einwurf zu beurtheilen, muß man sich vergegenwärtigen, auf welche
Weise eine solche Eigenthumsübertragung vollzogen und die Zahlung des
Kaufschillings gewährt werden würde. Die bisherigen Eigenthümer der
Eisenbahnen würden mittelst einer zu creirenden Reichsrente zu entschädigen
sein, deren Verzinsung am besten so gestellt würde, daß die Titel an der
Börse im Pari-Curs stehen würden. Der Werth des Kaufobjects müßte nach
einem gewissen Durchschnittsertrag unter Ausscheidung außerordentlicher Jahre
mit einer gewissen billigen Rücksichtnahme auf das Baucapital geschätzt und
festgestellt werden. Das Reich würde sich also eigentlich gar keine Schulden¬
last aufladen; denn für die geschaffenen und hingegebenen Reichsrententitel
würde es das Kaufobject in Gestalt sämmtlicher Eisenbahnen erhalten. In
Beziehung auf das Nationalcapital und den Geldmarkt wäre nichts geändert,
als daß ein einziger Reichstitel an die Stelle der vielerlei Eisenbahn-Stamm-
actien, Prioritäten und Staats-Obligationen gesetzt würde, welcher überdies
ein weit gangbareres und geringeren Schwankungen ausgesetztes Effekt des
Capitalmarktes bilden würde als die letzteren. Um demnach behaupten zu
können, daß durch den genannten Schritt dem Reiche eine zu große Schulden¬
last aufgebürdet werde, müßte erst bewiesen werden, daß das Reich einen
Preis zahlen müsse, welcher das Verhältniß der künftigen Rentabilität der
Eisenbahnen überstiege, oder daß seine Verwaltung so viel schlechter und kost¬
spieliger sein würde, daß die Rentabilität der Eisenbahnen unter seiner Lei¬
tung abnehmen müsse, Obgleich dieser Beweis eigentlich von den Gegnern
zu liefern wäre, so behalten wir uns doch vor, auch diese Frage einer Unter¬
suchung zu unterziehen.

Endlich begegnen wir noch häufig der Behauptung, die Privateisenbahnen
hätten dem Verkehr ungeheure Dienste geleistet, ohne sie hätte das Eisenbahn¬
netz noch gar nicht seine heutige Ausdehnung gewonnen, weil der büreau-
kratische Schlendrian des Staates theils vor vielen Schwierigkeiten im Anfang
zurückgeschreckt wäre, theils aus Pedanterie überflüssige Hindernisse in den
Weg gelegt hätte. Uns scheint, daß in der ersteren Beziehung die Wohlthaten,
welche die Eisenbahnen überhaupt mit sich gebracht haben, von vielen Seiten
nur den Privatbahnen gutgeschrieben werden, weil eben der Privatbau im
Allgemeinen noch der vorherrschende ist. Man würde ebenso in Ländern wie
Baiern und Württemberg, wo nur der Staatsbäu Platz gegriffen hat, zu weit
gehen, wenn man die Wohlthaten der Eisenbahnen überhaupt wieder nur dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/365>, abgerufen am 05.05.2024.