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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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betreffenden Sultanen vermählt waren, sondern nur im Range von Kadinnen
standen. Eine Kabir ist keine Ehefrau, aber sie ist doch mehr als bloße
Kebsfrau; denn ihre Kinder sind legitim und thronfähig. Sie ist auch nicht
mit einer morganatisch mit einem Fürsten Verbundenen zu vergleichen; denn
einmal sind ihre Kinder, wie gesagt, zur Thronfolge berechtigt, sodann aber
kann sie jederzeit ohne Scheidungsceremonie verstoßen werden, was auch häusig
geschieht, wenn die Betreffenden nicht Mütter von Thronerben oder überhaupt
von Söhnen geworden sind. In ersterem Falle erhalten sie nach der Thron¬
besteigung ihres Sohnes den Titel Sultanin Walide und gewinnen oft großen
Einfluß auf die Regierung. Ein Beispiel war Besma Aline, die Mutter
Abdul Medschid's, eine georgische Sklavin. Gibbon irrt, wenn er sagt, seit
Bajasid dem Ersten sei nur ein einziger Sultan gesetzlich vermählt gewesen.
Aber auch White weiß deren nur fünf zu nennen, und der letzte, Ibrahim
der Erste, regierte vor dritthalb Jahrhunderten; doch hatten die aus diesen
wirklichen Ehen entsprossenen Kinder kein Anrecht auf den Thron, wenn der
Sultan Söhne von Sklavinnen hatte, die vor ihnen geboren waren.

Die Kadinnen nehmen den ersten Rang im Haushalt des Padischcch ein,
und ihr Rang richtet sich nach dem Datum ihrer Erhöhung. Sie geben dann
ihren Namen auf und werden nur nach ihrem Titel Basch (Haupt) oder
Bujuk (Groß) Kabir Effendi, zweite, dritte u. f. w. Kabir genannt. Ein
Sultan kann nicht mehr als sieben solcher Frauen haben. Basch Kabir ist
die Mutter der erstgebornen Prinzen. Ist sie nach dessen Thronbesteigung
Sultanin Walide geworden, so nimmt sie die zweite Stelle im Reiche ein,
hat ihren eignen Hofstaat, genießt alle Ehren und Freiheiten verwittweter
Fürstinnen und erfreut sich ungeheurer Einkünfte, die theils aus einem Jahr¬
gehalte bestehen, theils aus ihrem Grundbesitze fließen. Das Einkommen der
oben erwähnten Mutter Abdul Medschid's wurde auf mehr denn 700,000
Thaler jährlich geschätzt. Die Einkünfte der Sultaninnen (Schwestern, Tanten
und Töchter des Sultans) werden gewöhnlich aus den Steuern der Inseln
des Archipelagus bestritten. So bezieht eine die Mastixsteuer der Insel Sktos,
einer andern gehören die Schwämme von Naros, einer dritten die Oliven
und Orangen von Lesbos. Einige Schriftsteller haben behauptet, die Sul¬
tanin Walide habe das Recht, unverschleiert in der Oeffentlichkeit zu erscheinen.
Dies ist jedoch Irrthum, ihr Schleier besteht nur aus feinerem Musselin als
derjenige der andern Damen des Hofes. Ihr Haushalt umfaßt etwa andert¬
halb Hundert Personen. Die Kadinnen sind gegenwärtig sämmtlich Tscher-
kesstnnen, während in früheren Zeiten das großherrliche Harem Frauen aus
allen Ländern und von allen Religionen, u. A. auch Christinnen enthielt.
Sie werden dem Sultan von seiner Mutter und andern weiblichen Anver¬
wandten zum Geschenk gemacht oder von seinen Beauftragten gekauft. Alle


betreffenden Sultanen vermählt waren, sondern nur im Range von Kadinnen
standen. Eine Kabir ist keine Ehefrau, aber sie ist doch mehr als bloße
Kebsfrau; denn ihre Kinder sind legitim und thronfähig. Sie ist auch nicht
mit einer morganatisch mit einem Fürsten Verbundenen zu vergleichen; denn
einmal sind ihre Kinder, wie gesagt, zur Thronfolge berechtigt, sodann aber
kann sie jederzeit ohne Scheidungsceremonie verstoßen werden, was auch häusig
geschieht, wenn die Betreffenden nicht Mütter von Thronerben oder überhaupt
von Söhnen geworden sind. In ersterem Falle erhalten sie nach der Thron¬
besteigung ihres Sohnes den Titel Sultanin Walide und gewinnen oft großen
Einfluß auf die Regierung. Ein Beispiel war Besma Aline, die Mutter
Abdul Medschid's, eine georgische Sklavin. Gibbon irrt, wenn er sagt, seit
Bajasid dem Ersten sei nur ein einziger Sultan gesetzlich vermählt gewesen.
Aber auch White weiß deren nur fünf zu nennen, und der letzte, Ibrahim
der Erste, regierte vor dritthalb Jahrhunderten; doch hatten die aus diesen
wirklichen Ehen entsprossenen Kinder kein Anrecht auf den Thron, wenn der
Sultan Söhne von Sklavinnen hatte, die vor ihnen geboren waren.

Die Kadinnen nehmen den ersten Rang im Haushalt des Padischcch ein,
und ihr Rang richtet sich nach dem Datum ihrer Erhöhung. Sie geben dann
ihren Namen auf und werden nur nach ihrem Titel Basch (Haupt) oder
Bujuk (Groß) Kabir Effendi, zweite, dritte u. f. w. Kabir genannt. Ein
Sultan kann nicht mehr als sieben solcher Frauen haben. Basch Kabir ist
die Mutter der erstgebornen Prinzen. Ist sie nach dessen Thronbesteigung
Sultanin Walide geworden, so nimmt sie die zweite Stelle im Reiche ein,
hat ihren eignen Hofstaat, genießt alle Ehren und Freiheiten verwittweter
Fürstinnen und erfreut sich ungeheurer Einkünfte, die theils aus einem Jahr¬
gehalte bestehen, theils aus ihrem Grundbesitze fließen. Das Einkommen der
oben erwähnten Mutter Abdul Medschid's wurde auf mehr denn 700,000
Thaler jährlich geschätzt. Die Einkünfte der Sultaninnen (Schwestern, Tanten
und Töchter des Sultans) werden gewöhnlich aus den Steuern der Inseln
des Archipelagus bestritten. So bezieht eine die Mastixsteuer der Insel Sktos,
einer andern gehören die Schwämme von Naros, einer dritten die Oliven
und Orangen von Lesbos. Einige Schriftsteller haben behauptet, die Sul¬
tanin Walide habe das Recht, unverschleiert in der Oeffentlichkeit zu erscheinen.
Dies ist jedoch Irrthum, ihr Schleier besteht nur aus feinerem Musselin als
derjenige der andern Damen des Hofes. Ihr Haushalt umfaßt etwa andert¬
halb Hundert Personen. Die Kadinnen sind gegenwärtig sämmtlich Tscher-
kesstnnen, während in früheren Zeiten das großherrliche Harem Frauen aus
allen Ländern und von allen Religionen, u. A. auch Christinnen enthielt.
Sie werden dem Sultan von seiner Mutter und andern weiblichen Anver¬
wandten zum Geschenk gemacht oder von seinen Beauftragten gekauft. Alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/427>, abgerufen am 29.04.2024.