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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Eine solche Zeit schien 1849 für Bosnien gekommen zu sein, während
Aehnltches bis jetzt sich noch nicht ankündigt, geschweige denn schon eingetreten
ist. Zweierlei war damals am Werke, um diesen Umschwung in der Stim¬
mung und Stellung der Parteien herbeizuführen: das erwachte Gemeingefühl
der Südslaven und die politischen Reformen, welche die Pforte einführen
wollte. Eins aber störte den Plan einer Vereinigung der böhmischen Muslime
mit ihren christlichen Volksgenossen gegen die Pforte und vereitelte schließlich
den Aufstand mehr als die türkische Heeresmacht: diese Muslime erstrebten
die Verbindung mit der dortigen christlichen Bevölkerung, aber die letztere
glaubte Grund zu haben, sich ihnen nicht anzuschließen, als sie sich erhoben.

Die panslavistischen Ideen, die in den vierziger Jahren sich nach allen
Seiten hin ausbreiteten, waren sehr verworren und sehr wenig praktisch.
Aber sie haben doch auf die südlichen Slaven mächtig anregend gewirkt, und
der serbische Volksstamm hat sich durch sie in weiten Kreisen als ein Ganzes
fühlen gelernt. Man hatte aus den alten Kämpfen mit den Söhnen des
Islam eine Fülle von nationalen Erinnerungen, auf die man stolz war;
der Krieg von 1806 und 1807, dessen Held der schwarze Georg war, hatte
neue Erfolge gebracht, die das Selbstgefühl steigerten. Die südslavischen Ge¬
lehrten frischem jene Erinnerungen auf, arbeiteten für Verbesserung der
Sprache, suchten über alle Theile des Volkes Bildung und das Bewußtsein
der nationalen Einheit zu verbreiten, und wenn manche dieser Bestrebungen
einzeln kleinlich, bisweilen komisch erscheinen, so war die Gesammtwirkung
doch keineswegs eine lächerliche. Wie bedeutend sie gewesen, zeigte sich in dem
österreichischen Serbenlande an der politischen Trennung der Kroaten von den
Magyaren und an der Stellung des Volkslieblings Jellachich, und im
Fürstenthum Serbien an dem starken Freicorps, welches den Kroaten unter
Knischanin zu Hülse zog, als die ungarischen Truppen sich zum Angriff gegen
sie anschickten.

Auch auf Bosnien wirkte damals der Geist, der sich in Serbien und
Kroatien regte. In Agram druckte man Gebet- und Schulbücher für die
böhmische Raja und schaffte sie über die Grenze. An die Stelle des bar¬
barischen böhmischen Alphabets trat aus diesem Wege die Orthographie, deren
sich die Kroaten und Serben in neuester Zeit in ihrer Literatur bedienen.
serbische und kroatische Zeitungen erhielten dadurch auch jenseits der weißen
save Terrain und machten die Bosnier mit Einschluß der serbischen Mus¬
lime mit den Schlagworten der politischen Presse der nördlichen und östlichen
Nachbarn und Stammgenossen bekannt. Sie hatten bisher nur den Ahnen¬
stolz gekannt, jetzt regte sich in ihnen auch eine Art serbischer Nationalstolz.
Sie hatten bisher kaum eine Ahnung von ihrer Verwandtschaft mit den
übrigen südslavischen Stämmen gehabt, und alles, was im Norden der weißen


Eine solche Zeit schien 1849 für Bosnien gekommen zu sein, während
Aehnltches bis jetzt sich noch nicht ankündigt, geschweige denn schon eingetreten
ist. Zweierlei war damals am Werke, um diesen Umschwung in der Stim¬
mung und Stellung der Parteien herbeizuführen: das erwachte Gemeingefühl
der Südslaven und die politischen Reformen, welche die Pforte einführen
wollte. Eins aber störte den Plan einer Vereinigung der böhmischen Muslime
mit ihren christlichen Volksgenossen gegen die Pforte und vereitelte schließlich
den Aufstand mehr als die türkische Heeresmacht: diese Muslime erstrebten
die Verbindung mit der dortigen christlichen Bevölkerung, aber die letztere
glaubte Grund zu haben, sich ihnen nicht anzuschließen, als sie sich erhoben.

Die panslavistischen Ideen, die in den vierziger Jahren sich nach allen
Seiten hin ausbreiteten, waren sehr verworren und sehr wenig praktisch.
Aber sie haben doch auf die südlichen Slaven mächtig anregend gewirkt, und
der serbische Volksstamm hat sich durch sie in weiten Kreisen als ein Ganzes
fühlen gelernt. Man hatte aus den alten Kämpfen mit den Söhnen des
Islam eine Fülle von nationalen Erinnerungen, auf die man stolz war;
der Krieg von 1806 und 1807, dessen Held der schwarze Georg war, hatte
neue Erfolge gebracht, die das Selbstgefühl steigerten. Die südslavischen Ge¬
lehrten frischem jene Erinnerungen auf, arbeiteten für Verbesserung der
Sprache, suchten über alle Theile des Volkes Bildung und das Bewußtsein
der nationalen Einheit zu verbreiten, und wenn manche dieser Bestrebungen
einzeln kleinlich, bisweilen komisch erscheinen, so war die Gesammtwirkung
doch keineswegs eine lächerliche. Wie bedeutend sie gewesen, zeigte sich in dem
österreichischen Serbenlande an der politischen Trennung der Kroaten von den
Magyaren und an der Stellung des Volkslieblings Jellachich, und im
Fürstenthum Serbien an dem starken Freicorps, welches den Kroaten unter
Knischanin zu Hülse zog, als die ungarischen Truppen sich zum Angriff gegen
sie anschickten.

Auch auf Bosnien wirkte damals der Geist, der sich in Serbien und
Kroatien regte. In Agram druckte man Gebet- und Schulbücher für die
böhmische Raja und schaffte sie über die Grenze. An die Stelle des bar¬
barischen böhmischen Alphabets trat aus diesem Wege die Orthographie, deren
sich die Kroaten und Serben in neuester Zeit in ihrer Literatur bedienen.
serbische und kroatische Zeitungen erhielten dadurch auch jenseits der weißen
save Terrain und machten die Bosnier mit Einschluß der serbischen Mus¬
lime mit den Schlagworten der politischen Presse der nördlichen und östlichen
Nachbarn und Stammgenossen bekannt. Sie hatten bisher nur den Ahnen¬
stolz gekannt, jetzt regte sich in ihnen auch eine Art serbischer Nationalstolz.
Sie hatten bisher kaum eine Ahnung von ihrer Verwandtschaft mit den
übrigen südslavischen Stämmen gehabt, und alles, was im Norden der weißen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/75>, abgerufen am 27.05.2024.