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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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save wohnte, auch was ihre Sprache redete, wurde von ihnen zu den
"Schwaben", den Deutschen gerechnet. Jetzt erfuhren sie, daß jene Sprach¬
genossen ihre nahen Anverwandten, ihre leiblichen Vettern und Brüder waren.
Immer bedeutsamer und verführerischer wurde den Bosniern die Kraft und
das freiere Leben ihrer Nachbarn, der Serben, der Kroaten, der Montene¬
griner, und schmachvoll erschien nicht wenigen der Druck, mit welchem der
Türke auf ihnen lastete. Viele von ihnen, darunter auch Muhamedaner,
strömten jenem serbischen Freicorps, welches den Kroaten zu Hülfe zog, nicht
allein aus Lust am Kampfe überhaupt und aus Beutegier zu, und als sie
heimkehrten, nahmen sie das Gefühl mit, für die Freiheit gestritten und an
der Seite von Christen, die sie als Brüder begrüßt, ihr Blut vergossen zu
haben. Es bedürfte nur eines Anstoßes, um sie zu einem Versuch zu ver¬
anlassen, auch daheim "für die Freiheit" zu kämpfen.

Dieser Anstoß ging von Konstantinopel aus. Die Fortschrittspartei
unter den türkischen Staatsmännern hatte die Nothwendigkeit eingesehen, der
schwindenden Kraft des Reiches entgegenzutreten. Sie glaubte diese Schwind¬
sucht durch Einführung einzelner Grundsätze des europäischen Staatsrechts
heilen zu können. Aber dieß wäre auch dann unmöglich gewesen, wenn man
dabei mit mehr Eifer und Ernst zu Werke gegangen wäre. Der Islam
erlaubt keine Gleichstellung aller Angehörigen des Staates. Er macht nur
alle Gläubigen gleich vor dem Gesetz; daß die "Kafirs", die Ungläubigen,
die Christen, die Juden mit den Muslimen gleiche Pflicht erfüllen und
gleiches Recht haben, ist ein Zustand, der entschieden gegen das Gebot des
Propheten verstößt und jeden echten Muhamedaner geradezu empören muß.
Der Sohn des Islam soll Herr der Welt sein, die Raja ihm unterworfen,
ihr die Privilegien der Gläubigen zu geben, den Gläubigen ihre Lasten auf¬
zuerlegen, ist Verbrechen, ist Sünde. Der Glaube allein macht frei, die Un¬
gläubigen sollen Knechte sein und bleiben, sollen fröhnen und steuern. Und
in der That dürfen die Muhamedaner in der Türkei nicht darein willigen,
bei den Abgaben, vor Gericht und im sonstigen Verkehr auf eine Stufe mit
den Christen gestellt zu werden; denn solche Gleichheit wird ihr Untergang,
sie müßten dann das Unmögliche vollbringen, sich in ihrer Anschauung der
Dinge, ihrer Stellung zur Arbeit, ihrem ganzen Wesen und Leben ändern.
Jahrhunderte hindurch gewöhnt, die Früchte fremder Thätigkeit zu ernten,
versteht der Türke in Europa, wo er mit Christen zusammenwohnt und nicht
wie an den Küsten und in den großen Städten an der Ausbeutung der¬
selben durch fremde Ueberwachung gehindert ist, nur im Einsammeln dieser
Früchte Energie zu entwickeln. An Trägheit gewöhnt, verkommt er da, wo
die freie Concurrenz des Christen neben ihn tritt. Endlich aber kommt hierzu
noch Eins. Dazu, daß jede Gleichstellung der Christen mit den Muslimen


save wohnte, auch was ihre Sprache redete, wurde von ihnen zu den
„Schwaben", den Deutschen gerechnet. Jetzt erfuhren sie, daß jene Sprach¬
genossen ihre nahen Anverwandten, ihre leiblichen Vettern und Brüder waren.
Immer bedeutsamer und verführerischer wurde den Bosniern die Kraft und
das freiere Leben ihrer Nachbarn, der Serben, der Kroaten, der Montene¬
griner, und schmachvoll erschien nicht wenigen der Druck, mit welchem der
Türke auf ihnen lastete. Viele von ihnen, darunter auch Muhamedaner,
strömten jenem serbischen Freicorps, welches den Kroaten zu Hülfe zog, nicht
allein aus Lust am Kampfe überhaupt und aus Beutegier zu, und als sie
heimkehrten, nahmen sie das Gefühl mit, für die Freiheit gestritten und an
der Seite von Christen, die sie als Brüder begrüßt, ihr Blut vergossen zu
haben. Es bedürfte nur eines Anstoßes, um sie zu einem Versuch zu ver¬
anlassen, auch daheim „für die Freiheit" zu kämpfen.

Dieser Anstoß ging von Konstantinopel aus. Die Fortschrittspartei
unter den türkischen Staatsmännern hatte die Nothwendigkeit eingesehen, der
schwindenden Kraft des Reiches entgegenzutreten. Sie glaubte diese Schwind¬
sucht durch Einführung einzelner Grundsätze des europäischen Staatsrechts
heilen zu können. Aber dieß wäre auch dann unmöglich gewesen, wenn man
dabei mit mehr Eifer und Ernst zu Werke gegangen wäre. Der Islam
erlaubt keine Gleichstellung aller Angehörigen des Staates. Er macht nur
alle Gläubigen gleich vor dem Gesetz; daß die „Kafirs", die Ungläubigen,
die Christen, die Juden mit den Muslimen gleiche Pflicht erfüllen und
gleiches Recht haben, ist ein Zustand, der entschieden gegen das Gebot des
Propheten verstößt und jeden echten Muhamedaner geradezu empören muß.
Der Sohn des Islam soll Herr der Welt sein, die Raja ihm unterworfen,
ihr die Privilegien der Gläubigen zu geben, den Gläubigen ihre Lasten auf¬
zuerlegen, ist Verbrechen, ist Sünde. Der Glaube allein macht frei, die Un¬
gläubigen sollen Knechte sein und bleiben, sollen fröhnen und steuern. Und
in der That dürfen die Muhamedaner in der Türkei nicht darein willigen,
bei den Abgaben, vor Gericht und im sonstigen Verkehr auf eine Stufe mit
den Christen gestellt zu werden; denn solche Gleichheit wird ihr Untergang,
sie müßten dann das Unmögliche vollbringen, sich in ihrer Anschauung der
Dinge, ihrer Stellung zur Arbeit, ihrem ganzen Wesen und Leben ändern.
Jahrhunderte hindurch gewöhnt, die Früchte fremder Thätigkeit zu ernten,
versteht der Türke in Europa, wo er mit Christen zusammenwohnt und nicht
wie an den Küsten und in den großen Städten an der Ausbeutung der¬
selben durch fremde Ueberwachung gehindert ist, nur im Einsammeln dieser
Früchte Energie zu entwickeln. An Trägheit gewöhnt, verkommt er da, wo
die freie Concurrenz des Christen neben ihn tritt. Endlich aber kommt hierzu
noch Eins. Dazu, daß jede Gleichstellung der Christen mit den Muslimen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/76>, abgerufen am 06.05.2024.